Ausflug in Gontscharows Erzähl- und Dylans Songkosmos

Literatur & Gesellschaft

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Ein grosser Romancier sowie ein wirkungsmächtiger Singer und Songwriter stehen im Zentrum der Zuger Übersetzer-Gespräche.

Zug – Der eine steht für die russische Erzählkunst des 19. Jahrhunderts, der andere für moderne Songpoesie erster Güte. Iwan Gontscharow und Bob Dylan – die Zuger Übersetzer präsentierten am Wochenende ein genreübergreifendes Programm und stiessen damit beim Publikum auf grosses Interesse.

Der Freitagabend stand ganz im Zeichen von Iwan Gontscharow und auch im Schatten des russischen Angriffskrieges, der seit dem 24. Februar die Arbeit aller Russischübersetzerinnen und -übersetzer überschattet. Vera Bischitzky gab im Gespräch mit Georg Gerber denn auch nicht nur Einblick in ihre Übersetzungsarbeit an Gontscharows Roman «Das Steilufer», mit dem sie dessen berühmte Romantrilogie abschliessen wird. Aufschlussreich waren auch ihre Ausführungen zum an Umwegen reichen beruflichen Werdegang in der DDR, die sie Mitte der 1980er Jahre schliesslich desillusioniert in Richtung Westberlin verliess.

Sie fühle sich Gontscharows Werk besonders nahe, weil er sich, anders als die berühmteren Zeitgenossen Tolstoi und Dostojewski, dem Wesen des Menschen «frei von jeglicher Missionsattitüde» nähere, so Vera Bischitzky. Auch dies eine Art Statement zur bedrohlichen Gegenwart in Russland. Bischitzkys Lesung aus «Oblomows Traum», Herzstück in Gontscharows berühmtesten Roman, führte dem Publikum die plastische Schreibkunst des Autors vor Augen. Wie er locker und detailreich ein märchenhaft anmutendes Porträt der russischen Provinz entwirft. Recherchen vor Ort wären für die Berliner Übersetzerin in normalen Zeiten selbstverständlich gewesen in Zeiten des Krieges sind sie unmöglich geworden.

Auch Songs sind Literatur

Der Samstagmorgen gehörte dann Bob Dylan, dem Musiker, der als einziger seiner Zunft den Nobelpreis für Literatur erhalten hat. Entlang einer Reihe von prägenden Dylan-Songs aus den Alben «Blond on Blonde» (1966), «John Wesley Harding» (1967), «Blood on the Tracks» (1975), «Oh Mercy» (1989), «Time Out of Mind» (1997) durchstöberten Moderator Röbi Koller und der Übersetzer und Autor Gisbert Haefs Dylans Lied-Kosmos.

Ein Dickicht, reich an literarischen und biografischen Querbezügen, in das der Sänger notabene bis heute verändernd eingreift. Was das für den Übersetzer heisst, der wie Gisbert Haefs alle Dylan-Songs von 1962 bis 2012 für die deutsche Edition von Hoffmann und Campe übersetzt hat, ist leicht vorstellbar. Restriktive Vorgaben von Dylans Management verpflichteten Haefs zudem zu einer reinen Interlinearübersetzung, ohne Fussnoten oder Anmerkungen. Kollers und Haefs Suche nach klärenden Hinweisen oder konkreten, biografischen Verständnishilfen war von hohem Unterhaltungswert.

Mit Bewunderung verwies Haefs immer wieder auf die innere Stimmigkeit, die (metaphysische) Vieldeutigkeit, insbesondere aber auch auf die Bildhaftigkeit der Lyrics, die im Kopf des Hörers einen eigenständigen Film zum Text in Gang setze. Haefs Illusionslosigkeit angesichts der schieren Unübersetzbarkeit vieler Dylan-Songs hat ihn – so schien es wenigstens – erst so richtig hellhörig für die Qualität der Songs in der Originalsprache gemacht. (Text von Paula Marty)