Als noch die «Billige Waarenhalle» lockte

Kunst & Baukultur

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Der Zytturm prägt das Stadtbild von Zug seit langem. An seinem Fuss wurde einst «Ellenware» verkauft.

  • Der Zytturm, das heutige Zuger Altstadtwahrzeichen: Vor 125 Jahren war er ganz offensichtlich sehr renovationsbedürftig. Foto: CH Nationalmuseum/Max van Berchem
    Der Zytturm, das heutige Zuger Altstadtwahrzeichen: Vor 125 Jahren war er ganz offensichtlich sehr renovationsbedürftig. Foto: CH Nationalmuseum/Max van Berchem

Zug – Zugegeben: Er sah damals «schitter» aus, der sich heute so prächtig präsentierende Zuger Zytturm. Noch ganz ohne die Dacheindeckung in den kantonalen Farben Weiss und Blau – die bekam er erst 1952 rundum – und mit schadhaftem Verputz gab er optisch nicht viel her. Selbst ab dem verwitterten Zifferblatt die Zeit abzulesen, dürfte damals schwierig geworden sein. Der Turm war im Mittelalter als Wachtturm nicht nur Teil der Zug umfassenden Stadtmauer; er diente, seit 1480, auch als Zeitgeber und barg ein paar Gefängniszellen. Und oben unter dem Turmdach befand sich das Föhnwächterstübli, wo der Wachhabende nach eventuellen Feuerbrünsten Ausschau hielt und dann gegebenenfalls mit dem Feuerhorn die Anwohner alarmierte.

Wir erkennen auf dem Uralt-Foto bereits das Restaurant Aklin, das sich seit dem Jahre 1787 an den Turm schmiegt. Und erstaunt stellen wir fest, dass es in der Altstadt damals mit der «Billige Waarenhalle» bereits einen Früh-Discounter gab, im Haus Fischmarkt 10 neben dem Zytturm, Eingangs der Altstadt Obergasse. Seit 1883 wurde dieses Ladengeschäft von Meier-Hirsch Bollag, einem jüdischen Händler aus Endingen im aargauischen Surbtal, betrieben.

Die Schrift an der Fassade, «Waare» – mit doppeltem «a» geschrieben–, war nicht ganz unüblich für jene Tage. Die Duden-Regeln fürs Deutsche kamen ja erst ab 1902 auf – zuvor wurde geschrieben, wie es beliebte. Der Auftraggeber und der Schriftenmaler hatten sich offenbar auf diese am Dialekt orientierte Schreibweise geeinigt («Gottlob d‘ Waar ab» – ist als erlöster Seufzer damaliger Hausierer überliefert). Die Bezeichnung «Halle» sollte den Zugerinnen wohl vermitteln, dass es sich hier um ein geräumiges Geschäft mit reichlicher Auswahl handle – und das «Billige» konnte ihnen gegebenenfalls die Schwellenangst nehmen.

Tücher, Borden, Bänder und Kordeln im Verkauf

Verkauft wurde hier, gemäss den alten Zuger Handelsregister-Einträgen, «Ellenware». Das war Tuch – und im weiteren Borden, Bänder und Kordeln. Der Begriff «Ellenware» stammt aus der Zeit noch vor 1877. Denn bevor an diesem Datum in der Schweiz der Meter als allgemeingültiges Längenmass eingeführt wurde, war es in den Tuchläden Usus, nach der Elle – Unterarmlänge – das gewünschte Tuch ab der Rolle abzumessen und zuzuschneiden.

Im Altstadt-Eckhaus befand sich erdgeschossig wohl seit seiner Erstellung ein Ladenlokal. Einst war es in Zug als das «Schumacherhaus» bekannt, das Haus, in dem der legendäre «Schwarze Schumacher», Josef Anton Schumacher (1677–1735), wohnte. Der war Jurist, Ratsherr und Salzhändler. Als Machtpolitiker hatte er eine abenteuerliche Laufbahn, wollte von Gewinnen aus Salz und Militärsold aus Frankreich profitieren. Im Jahr 1735 drehte das politische Machtgefälle in der Stadt Zug zu seinen Ungunsten; er wurde aus dem Rat verstossen und wegen Landesverrats zu einer lebenslangen Galeerenstrafe verbannt. Er verstarb kurz darauf im italienischen Turin.

Und aus welchem Grund wurde im September vor 125 Jahren die hier gezeigte Fotodokumentation erstellt? Es war der Genfer Max van Berchem, der hinter der schweren Glasplattenkamera stand. Van Berchem war Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft zur Erhaltung historischer Kunstdenkmäler, einer Vorläuferinstitution des heutigen Eidgenössischen Archivs für Denkmalpflege. In deren Auftrag dokumentierte er in der Zeit von 1898 bis 1907 in der ganzen Schweiz Gebäude. Auf weit mehr als tausend Glasnegativen sind Details und Gesamtansichten von Bauten zu sehen, die er als schutzwürdig einstufte. Solche fand er nicht nur in Städten, sondern auch weit oben in entlegenen Bergdörfern. Alle seine Aufnahmen – von teilweise fast unglaublich guter Auflösung – sind bis heute erhalten.

Was er im Zug von 1900 weiter als «erhaltenswert» fotografierte? Das «Grosshaus» an der Neugasse, das Hotel Boeuf mit Lindenbrunnen, den Kapuzinerturm, die St. Oswald-Kirche und das Rathaus, das damals noch eine mit ziemlich wilder Ornamentik bemalte Fassade hatte. Der Fotograf van Berchem, in Sachen Schweizer Denkmalpflege unterwegs, war von Haus aus eigentlich Orientalist. Sein erstrebtes Ziel, an dem er sein Leben lang festhielt, war das Erstellen einer umfassenden Sammlung arabischer Schriften. Dazu unternahm er Reisen nach Ägypten, Palästina und Syrien.

Neue Haupteinkaufsstrassen

Zentrum für Einkäufe in Zug war zur Zeit dieser Fotoaufnahme bereits nicht mehr die Altstadt, sondern Läden zwischen Kolin- und Postplatz an der Neugasse und an der anschliessenden Bahnhofstrasse. Diese galten nun als die Haupteinkaufsstrassen, an denen sich die alteingesessenen Zuger Geschäfte befanden.

Im Gebäude der Billigen Warenhalle in der Altstadt war später die Kleiderfärberei und chemische Waschanstalt Duschinsky untergebracht. Doch ein Geschenk- und Souvenirshop – wie heute – ist ganz im Sinne der heutigen Anwohner der Unter- und Ober-Altstadt. Ihnen liegen der Erhalt der Lebensqualität und des historischen Erscheinungsbildes dieses Teils der Altstadt am Herzen. Kleingeschäfte sind höchst willkommen. Kein Interesse hingegen besteht an einer Belebung der Gassen durch Bars und Nachtlokale.

Wer gerne mehr über all die Häuser der Altstadt-Untergasse und -Obergasse erfahren mag, ist bestens bedient mit der Broschüre der Zuger Bauforscherin Brigitte Moser mit der Überschrift «Hausgeschichten – Auf den Spuren des Gewerbes in der Altstadt von Zug». Darin ist die Geschichte aller Häuser detailliert und mit Abbildungen dokumentiert. Und wer erfahren möchte, wie sich die Einkaufs-Flaniermeile der Stadt allmählich weg von der Altstadt hin zu Herti und Metalli bewegte, kann das anhand der Publikation der Historikerin Angela Bhend nachvollziehen: «Als Zug modern wurde: Warenhäuser, Konsumgenossenschaften und Einkaufszentren – die Entwicklung des Zuger Detailhandels», ist ihre Schrift betitelt. (Text: Karl Horat)