«Ich wusste wenig über meinen Grossvater»

Kunst & Baukultur, Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

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Schriftsteller, Historiker und fleissiger Maler: Josef Mühle (1890–1950) war in Zug und Luzern zu Lebzeiten eine bekannte und angesehene Persönlichkeit. Nun lässt ihn sein Enkel wieder aufleben – durch seinen umfangreichen künstlerischen Nachlass.

  • Alexander Mühle hat das Wohnhaus seiner Eltern in ein temporäres Museum umfunktioniert. (Bild Mathias Blattmann)
    Alexander Mühle hat das Wohnhaus seiner Eltern in ein temporäres Museum umfunktioniert. (Bild Mathias Blattmann)

Zug – Vielleicht mögen sich noch die einen oder anderen Zugerinnen und Zuger fortgeschrittenen Alters an Josef Mühle erinnern oder sind zumindest mit dessen Name nicht ganz unvertraut. Zu Lebzeiten war Josef Mühle (1890–1950) in unterschiedlichen Ämtern und Institutionen Zugs und Luzerns tätig, er war fleissiger Publizist, kunsthistorisch ausserordentlich bewandert und – seine heute wohl am wenigsten bekannte Seite – ambitionierter Kunstsammler und vor allem -maler. Nach Jahrzehnten der Vergessenheit lebt der gebürtige Luzerner nun wieder auf; durch seinen künstlerischen Nachlass, von seinem Enkel inventarisiert, aufgearbeitet und temporär für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Aber wer war dieser Josef Mühle, dessen Name einem wiederholt begegnet, durchforstet man die jüngere Geschichte Zugs und auch Luzerns? 1890 in Sursee geboren und aufgewachsen, besuchte er das Gymnasium in Stans und die Kantonsschule Zug. 1911 begann er sein Architekturstudium an der ETH Zürich mit Nebenfach Kunstgeschichte an der Universität ebenda. Sein ausgeprägtes schriftstellerisches Talent bewies Mühle bereits in seiner Dissertation über die Baumeisterfamilie Purtschert und deren Kirchen im Kanton Luzern. Diese hochgewürdigte Arbeit brachte ihm als erstem Architekten der Schweiz den Doktortitel, wie aus einem Nachruf zu entnehmen ist.

Zug als langjähriger Lebensmittelpunkt

Nachdem Mühle in Sursee stellvertretend den Zeichenunterricht an der Mittel- und Gewerbeschule übernommen hatte, kam er 1918 als Zeichenlehrer ans Lehrerseminar in Zug. Einige Jahre danach wurde er dessen Direktor. Er war Mitglied der Baukommission bei der Aussenrenovation der Kirche St.Oswald sowie künstlerischer Berater wie auch Vorstandsmitglied beim Bau der Kirche Gut Hirt in der Zuger Neustadt. Nebenamtlich war Josef Mühle über mehrere Jahre Präsident der Literarischen Gesellschaft Zug und verfasste eine Vielzahl an Publikationen, hauptsächlich kunsthistorischen Inhalts.

Bis 1939 lebte Mühle in einem Haus an der Löberenstrasse in Zug. Danach erhielt er den Direktorenposten an der Kunstgewerbeschule in Luzern, verlegte seinen Wohnsitz nach da und machte mit seiner grossen Festschrift anlässlich 700 Jahre Franziskanerkirche Luzern zusätzlich von sich reden. Verheiratet mit Martha Hediger aus Zug, hatte Josef Mühle zwei Söhne. Das familiäre Umfeld fand dann schliesslich vielfach Einzug in Mühles Malerei, welcher er sich neben all seinen zahlreichen Ämtern, Projekten und Engagements intensiv widmete.

Kaum Überliefertes zum Privatleben

Wie so oft der Fall, droht mit dem Ableben eines Menschen, dass sein künstlerischer Nachlass aus Augen und Sinn gerät. Das war nach dem Tod Josef Mühles vor über 70 Jahren nicht anders – bis sich nun sein Enkel Alexander Mühle um diese Hinterlassenschaft gekümmert hat. Er ist der einzige Nachkomme Josef Mühles, da dessen zweiter Sohn kinderlos geblieben ist. Für den heute in Stansstad lebenden 56-jährigen Enkel keine leichte Aufgabe, zumal er noch nicht auf der Welt war, als sein Grossvater gestorben ist.

«Ich wusste nur sehr wenig über ihn», sagt Alexander Mühle. Auch sei innerhalb der Familie kaum von ihm berichtet worden. «Aus seiner Biografie ist zu schliessen, dass er permanent beschäftigt war, weshalb über sein Privatleben nur Bruchstücke überliefert sind.» Als nach dem Tod von Alexander Mühles Mutter deren Wohnhaus in Langnau am Albis leer geworden war, entschloss er sich, es vorübergehend zu einer Mühle-Galerie umzufunktionieren.

«Ich habe ein Museum geerbt, also sollte ich auch eines daraus machen», so der Nachfahre, der die Hinterlassenschaft seines illustren Grossvaters auch als Verpflichtung sieht. Innert gerade mal zwei Wochen – die Pandemie spielte ihm dabei zu – hatte er den umfangreichen Fundus gesichtet, sortiert, eingeordnet und alles damit Zusammenhängende so weit wie möglich recherchiert. Das Resultat dieser intensiven Arbeit ist zum einen eine eigene Website über seinen Grossvater und zum anderen die sorgfältig und liebevoll konzipierte Ausstellung in seinem Elternhaus, welche vorläufig von Interessierten besichtigt werden kann.

Familienmitglieder als Modelle

«Mein Glück für die aufwendige, zuweilen fast detektivische Arbeit war, dass die meisten Dokumente, Schriften, Artikel und weiteren Publikationen meines Grossvaters und über ihn die Zeit überdauert haben», führt Alexander Mühle aus. Darunter hat es auch kostbare Trouvaillen wie briefliche Korrespondenzen mit Prominenz, etwa mit dem Schriftsteller Meinrad Inglin oder dem Zuger Künstler Fritz Kunz. Der Mammutteil der rund 80 Ölgemälde und weitere zahlreiche Aquarellen und Zeichnungen Josef Mühles hängen nun in den geräumten Räumen des Wohnhauses in Langnau. Man trifft auf eine Vielzahl an stimmigen Porträts und Genrebildern, welche Mühles Frau, deren Schwestern und seine Mutter in unterschiedlichen Situationen zeigen.

Landschafts- und Stadtveduten – davon mehrere dokumentarisch wertvolle aus dem alten Zug –, Interieurs, religiöse Motive und Charakterköpfe bilden einen Kontrast. Eine grossformatige französische Kaffeehausszene oder eine junge Frau in Zuger Tracht sind nur zwei von besonders hervorzuhebenden Werken. Eine Auswahl an historischen Fotografien und Kunstobjekten aus dem Nachlass wie auch Josef Mühles persönliche Schreibmaschine machen das kleine Privatmuseum zugleich zu einer Gedenkstätte.

Eine Vorliebe fürs Aktzeichnen

Der eine oder andere Frauenakt zeugt von Mühles Auge für schöne Körper. «Es ist überliefert, dass mein Grossvater den Aktzeichenunterricht länger als nötig besucht hat», weiss sein Enkel sichtlich amüsiert. Auf Gemälden abgebildete, im Original erhaltene Objekte hat Alexander Mühle bewusst vor oder neben dem entsprechenden Werk platziert. Alles ist genau beschriftet und erklärt, da und dort verweisen QR-Codes auf weiterführende Informationen – das Resultat ist respektabel und sehenswert. Die Website www.josef-muehle.ch gewährt erste Einblicke. Dort sind auch sämtliche Informationen aufgeschaltet für Interessierte, welche die Josef-Mühle-Ausstellung in Langnau am Albis besuchen möchten (Anmeldung erbeten). Eine offizielle Vernissage erfolgt am Samstag, 15. Januar 2022, um 10 und 14 Uhr.

Und wie sieht die Zukunft von Josef Mühles künstlerischem Nachlass aus? «Ideal wäre natürlich, wenn seine Werke dereinst auch am Ort seines Wirkens, in Zug und Luzern, zu sehen sein könnten», sagt Alexander Mühle. Er ist bereits jetzt damit beschäftigt, nach einer geeigneten Lokalität Ausschau zu halten. (Andreas Faessler)

Hinweis
www.josef-muehle.ch