Schutzengel mitten im Quartier

Dies & Das

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Einst auf freiem Feld errichtet, überrascht die Schutzengelkapelle aus dem 17. Jahrhundert im jungen, gleichnamigen Quartier in Baar. Sie birgt Geschichte und Geschichten vom Feinsten.

  • Ein schmucker «Fremdkörper»: die Schutzengelkapelle im gleichnamigen Baarer Quartier. (Bild Maria Schmid)
    Ein schmucker «Fremdkörper»: die Schutzengelkapelle im gleichnamigen Baarer Quartier. (Bild Maria Schmid)

Baar – Betrachtet man den Ortsplan von Baar, erkennt man sie im dicht bebauten Quartier nicht sofort: die Schutzengelkapelle. Folgt man von der Langgasse her der Schutzengelstrasse, entdeckt man zwischen Wohnhäusern völlig unverhofft das schmucke Kapellchen, das schön und leise aus vergangener Zeit erzählt. Der nördliche Teil des Schutzengelquartiers wurde im Zuge des starken Bevölkerungswachstums in den frühen 1960er-Jahren planmässig angelegt und in der Folge kontinuierlich bebaut. Charakteristisch dafür sind – wie auf dem Ortsplan gut erkennbar – der regelmässige Strassenraster und die identische Ausrichtung der Parzellen und Gebäude. Einzige Ausnahme: die Schutzengelkapelle. Auf einer Parzelle, die sich unförmig und grösser als die anderen darstellt, ist ihre Grundfläche schräg zu jener der anderen Häuser ausgerichtet. Warum? 

Die Schutzengelkapelle wurde 1666 erbaut und 1667 geweiht. Dies, nachdem in der Nähe – wie der Journalist Silvan Meier im Hingeschaut «Ein himmlischer Hinweis?» vom 13. August 2014 ausführlich darlegt –, im Chirchliboden im unteren Lorzentobel eine ältere Kapelle durch ein Hochwasser zerstört worden war. Dabei sollen die Fluten ein Tafelbild der Krönung Mariens aus der Kapelle mitgetragen und bei der Birst angeschwemmt haben. Als Zeichen des Himmels verstanden, liess darauf die Dorfgemeinde an diesem Ort eine neue Kapelle zu Ehren des heiligen Schutzengels und des heiligen Wendelins errichten. Auf offenem Feld erbaut, hatte man sie «geostet». Das heisst, der Chor wurde – wie üblich bei kirchlichen Bauten – gegen Osten ausgerichtet, also zum himmlischen Jerusalem hin, das im Osten liegt, bzw. zum Sonnenaufgang hin, der die Auferstehung Christi symbolisiert. Die Kapelle wurde im Laufe der Zeit mehrfach renoviert, im Kern jedoch überdauerte sie bis in die Gegenwart. Bis heute ist die Schutzengelkapelle, die seit 1990 unter kantonalem Denkmalschutz steht, Eigentum der Korporation Baar-Dorf. Philippe Bart, Gemeindearchivar von Baar, erklärt: «Die Schutzengelkapelle dürfte, wie auch die von 1737 bis 1739 erbaute Heiligkreuzkapelle, von Anfang an im Besitz der Dorfgemeinde Baar gewesen sein, der heutigen Korporation Baar-Dorf. In deren Archiv finden sich Unterlagen zum Kapellenbau und zur Rechnungsablage des Kapellenvogtes, der jeweils aus dem Kreis der Dorfgenossen erwählt wurde».

Die kleine, schmucke Kapelle mit steilem Satteldach und feinem Dachreiter mit Spitzhelm lädt zum Eintreten ein. Der schlichte Innenraum wird durch sechs Rundbogenfenster belichtet. Ein gedrückter Bogen trennt optisch das einräumige Schiff vom wenig schmaleren, etwas erhöhten Chor. Die heutige, schlichte klassizistische Raumgestaltung geht auf eine Renovation im Jahr 1851 zurück. Blickfang ist der schöne Hochaltar. Dieser stammt aus dem 17. Jahrhundert, jedoch erhielt er bei der genannten Renovation einen neuen Altaraufsatz und sein aktuelles, charakteristisches Aussehen: Er wurde grau marmoriert, die beiden korinthischen, schwarzen Säulen mit vergoldeten Kapitellen wurden vorgestellt und die flankierenden Figuren der Heiligen Sebastian und Antonius von Ägypten aus dem 17. Jahrhundert neu blassrot gefasst. Zudem ersetzte man das alte Altarblatt durch ein neues, das noch heute den Raum mit lichtvollem Glanz erfüllt: Das Bild mit dem Schutzengel, der die Kinder im Wald behütet, malte der aus Menzingen stammende Xaver Zürcher 1853 nach dem Vorbild desjenigen des bekannten Stanser Malers Melchior Paul Deschwanden in der Schutzengelkapelle in Zug.

Auch das originale Altarblatt, ebenfalls mit Schutzengeldarstellung, lässt sich in der Kapelle noch bewundern. Es hängt an der nördlichen Seitenwand zwischen den Fenstern. Die ursprüngliche Fassung von 1667 stammt aus der Hand des Zuger Malers Johann Jakob Kolin. Sie wurde 1815 von David Alois Schmid aus Schwyz übermalt. Dargestellt sind gross im Vordergrund die beiden Patrone der Kapelle, der Schutzengel links mit einem Kind an der Hand und der heilige Wendelin rechts. Zentral im Bild etwas zurückversetzt ist die Heilige Familie zu erkennen. Sie ist vom Strahl der Heiliggeist-Taube erleuchtet, die von Gottvater in einem von Putten umspielten Wolkenkranz gesandt wird.

Mitten im modernen, planmässig angelegten Quartier überrascht die historische Schutzengelkapelle. Ein kleiner, feiner Zeitzeuge aus der Vergangenheit, der ganz beiläufig unsere Geschichte in die Gegenwart trägt. Schutzengel, die erfreuen und behüten. Immer noch und immer wieder. (Brigitte Moser, Kunsthistorikerin)

Hinweis
Mit «Hingeschaut!» gehen wir wöchentlich mehr oder weniger auffälligen Details mit kulturellem Hintergrund im Kanton Zug nach. Frühere Beiträge finden Sie unter www.zugerzeitung.ch/hingeschaut