Niemand sieht die Hülle

Kunst & Baukultur

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Die Künstlerin Katharina Anna Wieser zeigt Räume, wie sie noch nie jemand 
erlebt hat. Dafür muss man nicht immer ganze Wände neu einziehen.

  • Frischer Boden für weisse Räume: Katharina Anna Wiesers Arbeit mit dem Raum. (Bild: zvg)
    Frischer Boden für weisse Räume: Katharina Anna Wiesers Arbeit mit dem Raum. (Bild: zvg)
  • Hin zu kleineren Formaten: Hier der Holzschnitt «Vesuv». (Bild: zvg)
    Hin zu kleineren Formaten: Hier der Holzschnitt «Vesuv». (Bild: zvg)
Zug – Dieser Text ist in der Juli/August-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Vor rund zehn Jahren hat Katharina Anna Wieser im Kunsthaus Baselland einen neuen Boden eingezogen: Im weissen, oberlicht-durchfluteten Raum mit dem Charme einer Arztpraxis lag da nun ein witterungsgrauer Bretterboden, vollkommen schräg: die eine Seite war an manchen Stellen fast einen Meter höher als der Fussboden des Museums.
Ein Detail, so ein Boden, könnte man meinen, dabei stellt er alles infrage.
Am 28. Juni wird die Ausstellung Jukebox im Verwaltungszentrum in Zug eröffnet, wo Wieser neue Arbeiten zeigt. Jedoch keine raumfüllenden Installationen wie früher, sondern zwei­dimensionale Bilder. Wie man von temporären Komplettumbauten in öffentlichen Museen zu Drucken kommt, die an einer Wand Platz finden, kann man erst nachvollziehen, wenn man versteht, worum es der Künstlerin geht.

Wieser macht seit über fünfzehn Jahren Kunst mit etwas, dem die meisten Menschen nie Beachtung schenken. In ihrer Kunst dreht sich alles um Räume, am liebsten leer, aber nicht steril! «Die grösste Herausforderung sind neue Museumsräume, White Cubes», sagt Wieser, «diese sterilen, weissen Quader.» Also Räume, die fast nur Hülle sind. Und gerade deshalb alles verstärken, was man daran verändert.

Auf Katharina Wiesers Instagram-Profil zeigt ein Foto eine Ecke eines weiss gestrichenen Raumes, braune Zierleisten zwischen Wand und Parkett. Doch statt der Ecke stülpt sich der Raum der Kameralinse entgegen: ein weisser Sperrholzblock ist passgenau auf die Ornamente der Zierleiste gegossen, kneift man die Augen zusammen, man könnte ihn einfach übersehen, so grundsätzlich und selbstverständlich tut das Ding. Katharina Wieser schreibt darunter: Schade, ist nicht von mir. Trotzdem bekommt sie Komplimente. Jemand kommentiert: Wow, gute Arbeit! Wieser schreibt nochmals: «Leider nicht von mir!»

Ist das Wand oder schon Objekt?
Wiesers Arbeiten öffneten der Kommentatorin die Augen. Hat man erst einmal verstanden, was Wieser sieht, dann geht eine Welt auf. «Nicht jede Betrachterin schaut auf die Hülle, auf die eigentlichen Räume. Wenn man das aber tut, sieht man Räume als Möglichkeiten, als Voraussetzung, als Partner und Herausforderung.»
Wieser wollte eigentlich Primarlehrerin werden. Eine Freundin und sie haben während des Lehrerinnenseminars in Menzingen angefangen, sich für Architektur zu interessieren. Einmal warteten sie vor dem Haus «Seepark» in Zug, bis eine Bewohnerin vorbeikam und sie das Treppenhaus sehen liess. Nach der Matura war klar, es sollte zwar in diese Richtung weitergehen. Aber die mathematischen Aspekte eines klas­sischen Architekturstudiums waren nicht das, was sie interessierte, viel eher die Verbindung von Kunst und Architektur.

Ist das noch Keller oder schon Vernissage?
«Ich hatte das Gefühl, mir die Sporen abverdienen zu müssen», sagt Wieser. Wer frisch aus dem Studium kommt – Wieser hatte Kunstvermittlung in Luzern studiert –, muss zeigen, dass man da ist. Mit grosser Geste und massiver Wirkung. Sie machte grosse, raumgreifende Installationen, sie veränderte riesige Ausstellungsräume, indem sie schräge Wände einzog oder eine Rampe baute, so dass man plötzlich das mil­chige Oberlicht der ehemaligen Fabrikhalle im Unterwerk Selnau auf Brusthöhe hatte. Ein unfassbarer Aufwand, trotz Hilfe von Fachper­sonen.
Die Werke von Katharina Wieser haben sich in den letzten Jahren verändert. Für eine Ausstellung in Freiburg (D) im vergangenen November hat Wieser sich im Keller des dortigen Kunsthauses bedient. Kunsthauskeller sind ein eigener, ziemlich spezieller Ort. Es sind Fund-
gruben. Aus dem vergessenen Keller hat sie Gegenstände genommen und im Ausstellungsraum oben neu aufgestellt. Plötzlich sieht man: Den Kellergegenständen haftet noch etwas Keller an, in die fremd gewordenen Umgebung tragen sie eine modrige Stimmung mit, nur ganz fein zu spüren, wenn man es spüren will. «Das ist eher ein Konzept, ich habe das an mehreren Orten gemacht, und das Spannende ist: Überall sind es andere Gegenstände. Ich weiss noch nicht, was entstehen wird, wenn ich mich das erste Mal am Ausstellungsort umsehe.»

Ist das nun flach oder schon 3-D?
«Mit meiner Erfahrung und dem Alter wage ich immer mehr, Neues auszuprobieren», sagt Wieser. Sie, die angefangen hat mit riesigen Installationen, findet nun den Mut, kleinere Dinge zu machen und sich «neuen Materialien und Medien zu widmen», wie sie sagt. Und untersucht immer mehr Dimensionen von Raum. Balance kommt hinzu, Spannung, Spielereien. Einmal balanciert sie einen Stuhl mit einem Holzscheit auf der Sitzfläche genau so, dass er auf den hinteren beiden Füssen zum Schweben kommt, die vorderen in der Luft, erstarrt im Moment, wie ein Schnappschuss.

Kunst und Familie
Im Frühjahr 2021 verbrachte Wieser anlässlich des Atelier Flex des Kantons Zug vier Monate in Wien, mit dabei ihre ganze Familie. Erstmals sah man während des österreichischen Lockdowns ganze Prachtstrassen menschenleer. «Ich stand einmal vor dem Stephansdom, ganz alleine.» Mit Familie steht einem nicht mehr beliebig viel Zeit für die Kunst zur Verfügung, also verändert sich auch die Kunst. Seit einigen ­Jahren beschäftigt sie sich mit dem Druck. Sie druckt Flächen von Formen, die sie in früheren Arbeiten schon entwickelt hatte, aufgeblätterte Volumen, die sich erst im Kopf der Betrachterinnen zusammenfügen.
Im Verwaltungszentrum Zug werden nebst Grafiken auch neue Arbeiten aus Textil ausgestellt. «Mein Experimentierfeld hat sich in diesem Frühling weiter geöffnet.» Und Wieser, die 2016 ein über ein Kirchturmuhrwerk mechanisch ­angetriebenes Mobile über zwei Stockwerke im Aargauer Kunsthaus eingebaut hat, ist nervös. «Ich weiss nicht, ob die neuen Arbeiten funktionieren werden», sagt sie.

(Text: Lionel Hausheer)

Hier gehts zur Ausstellung: zugkultur.ch/fdXxDq