Zehn Worte mit Tiefgang

Dies & Das

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Auseinandersetzung mit Licht und Text: Eine Wand in der City-Kirche ist so unaufdringlich wie aussagekräftig.

  • Zurückhaltend und subtil: Judith Bieris «Lichterscheinung» in der City Kirche Zug. (Bild Stefan Kaiser)
    Zurückhaltend und subtil: Judith Bieris «Lichterscheinung» in der City Kirche Zug. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Die Installation ist schlicht, zurückhaltend, fällt kaum auf, und man könnte sie auf den ersten Blick für eine moderne Beleuchtungseinrichtung des Altarbereiches halten: Dort an der Wand unter der Orgelempore der reformierten City Kirche, wo bis 1968 die Kanzel gestanden hat, ragt eine waagrecht angeordnete Reihe an Plexiglasleisten knapp 40 Zentimeter in den Raum hinein. Sie ist 3,6 Meter lang und nimmt somit genau die Breite eines dahinter liegenden, hellgrauen Feldes an der Wand ein. Tritt man näher, erkennt man mit Spiegelfolie aufgetragene Worte auf den Plexiglaselementen. Je nach Lichteinfall und -winkel werden diese als Schatten entweder über der Installation als Positiv oder unterhalb davon spiegelverkehrt auf die Wand geworfen.

Das Kunstwerk «Lichterscheinung» besteht an sich aus zwei Teilen: zum einen aus den eben beschriebenen transparenten Leisten, zum anderen aus dem ebenfalls erwähnten grauen Feld dahinter. Dieses ist jedoch nicht einfach grau: Unter der sichtbaren Deckschicht sind sechs Spektralfarben aufgetragen. Je nachdem, wie stark das Licht auf die Fläche fällt und aus welchem Blickwinkel sie betrachtet wird, schimmern die Farben schwächer oder stärker durch die graue Deckschicht.

Dem Wesen des Lichts nachspüren

Der Part mit der stärksten Aussagekraft sind jedoch die schattenwerfenden Worte auf den Leisten. Sie lauten: Vielleicht / dass uns / etwas aufginge / einmal / per Zufall / für immer. Es ist das Kurzgedicht «Wunsch» aus dem 1995 erschienenen Gedicht- und Prosaband «Kurze Durchsage» des Schweizer Schriftstellers Klaus Merz (*1945). Diesen Vers wählte die Kirchgemeinde damals aus und liess Künstlerinnen und Künstler Konzepte für dessen gestalterische Umsetzung in der neu renovierten Kirche einreichen. Die «Lichterscheinung» von der damals 29-jährigen Luzerner Kunststudentin Judith Bieri wurde schliesslich auserkoren. Ihr Hauptgedanke galt dem Licht, wie die Künstlerin ihre Idee ausführte. Vor allem das Wort «aufginge» sei ihre grösste Inspiration gewesen. Aufgehen würde beispielsweise die Sonne oder auch eine wichtige Erkenntnis in uns, welche uns neue Wege zeige. Mit diesen Gedankengängen machte sich die Künstlerin daran, dem Wesen des Lichts nachzuspüren.

Diese Ergründung sollte sich in der Form der Installation jedoch niemandem aufdrängen, sondern subtil bleiben. Deshalb ist die Farbgebung unter der grauen Deckschicht sehr fein und zurückhaltend. So auch die Installation mit den Worten. Jeder und jede kann an das Kunstwerk in Ruhe herantreten, es auf sich wirken lassen, es betrachten, erfahren, aufnehmen ... Klaus Merz’ Worte haben Tiefgang und lassen zugleich reichlich Raum für Interpretation. Für jeden mögen sie auf indi­viduelle Weise einen Sinn er­geben. Ob sie eine göttliche Erfahrung in Aussicht stellen oder – wie die Künstlerin andeutet – einen Moment der Selbster­kenntnis? Eine Tür, die sich öffnet in einer schwierigen Lebenslage und hoffen lässt?

Eine sprachliche Brücke

Pfarrer Hans-Jörg Riwar, welcher mit Schriftsteller Klaus Merz persönlich bekannt ist und dieses Gedicht gewählt hat, sieht in den Worten des Kurztextes eine sprachliche Brücke zwischen den Verkündenden und den Hörenden. Das Vertrauen in das Wort sei ein zentrales reformiertes Anliegen und die Sprache das Transportmittel für das Wort Gottes. Somit ist der Platz, wo einst die Kanzel mit den Verkündenden gestanden hat, auch der prädestinierte Ort für Judith Bieris Installation.

Mit der Vollendung von «Lichterscheinung» waren die Erneuerungsarbeiten im Inneren der Kirche abgeschlossen. Am Sonntag, 5. Februar 2006 – am Geburtstag der Künstlerin –, wurden der neu gestaltete Raum und das Kunstwerk mit einem Gottesdienst gefeiert. (Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.