Hundert Jahre Stadtorchester

Musik

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Wie viel Herzblut und Arbeit es braucht, damit etwas wie ein Stadtorchester 
100 Jahre alt werden kann: Viele Tausend Stunden Freiwilligenarbeit, tonnenweise Liebe zur Musik, Generationen von Spielfreude. Zeit, das alles zu feiern.

  • Mitglieder des Stadtorchesters bei Proben mit der Kadettenmusik. (Bild: zvg)
    Mitglieder des Stadtorchesters bei Proben mit der Kadettenmusik. (Bild: zvg)
  • Hier hat alles angefangen: Das Cäcilienorchester, 1923. (Bild: Archiv St. Michael)
    Hier hat alles angefangen: Das Cäcilienorchester, 1923. (Bild: Archiv St. Michael)
Zug – Dieser Text ist in der Juli/August-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Mittwochabend, Aula Schulhaus Loreto. «Perkussion und Geige einmal alleine. Ihr müsst zusammen atmen», ruft Sebastian Rosenberg mit bestimmter Stimme durch den Saal. Die zwei Register spielen dieselbe Stelle nochmals, versuchen den Puls zu spüren – es wackelt noch ein bisschen. «Das machen wir nochmals», sagt Rosenberg und gibt wieder den Einsatz. Zwischen Perkussion und der ersten Violine sind gefühlt 20 Meter Abstand. Sie geben ihr Bestes, der Rest des Orchesters sitzt still und hört zu. Diesmal klappt es. Beide Instrumente, so unterschiedlich in der Klangerzeugung, spielen wie aus einem Guss. Wir befinden uns inmitten der Probe des Zuger Jugendorchesters und der Kadettenmusik Zug für ihr Konzert Ende Juni. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt zwischen den jugendlichen Musikern auch solche älteren Semesters. Wie kommen sie dazu, bei einer Jugendformation mitzuspielen? Anlass dafür ist das 100-Jahr-Jubiläum des Stadtorchester Zug.
1922 schlossen sich musikbegeisterte Streicher und Bläser zusammen und gründeten, unter dem Dach des Cäcilienvereins St. Michael, das Cäcilienorchester Zug. Der Verein hatte zum Zweck, einerseits die bereits seit den 1880er-Jahren bestehende Tradition der Ostermesse-Aufführung längerfristig zu bewahren, andererseits aber auch, die weltliche Orchestermusik zu fördern. 1969 wurde der Name – seiner hauptsächlichen Tätigkeit entsprechend – in Stadt­orchester Zug geändert, welches nun sein Hundertjähriges feiert.

Ein Stück Zuger Stadtgeschichte
Das Stadtorchester bezeichnet sich selbst als professionell verstärktes Amateurorchester in sinfonischer Besetzung. Das daraus resultierende Sinfonieorchester besteht, im Vergleich zum Streichorchester oder Kammerorchester, sowohl aus Streichinstrumenten (Violine, Viola, Cello, Kontrabass), Holzbläsern (Oboe, Flöte, Klarinette, Fagott, selten Saxofon), Blechbläsern (Trompete, Waldhorn, Posaune, Eufonium, Tuba) wie auch Schlagwerk (Pauke, Schlagzeug, Glockenspiel, etc.), Harfe, selten Klavier oder Chor und kann beliebig erweitert werden. Es gilt als die grösste der Orchesterformen und ist dementsprechend selten anzutreffen.

Nicht bloss vom Blatt spielen
«Seit den 80er-Jahren arbeitet das Stadtorchester Zug mit professionellen Stimmführern», erzählt Gregor Hotz, Präsident des Orchesters. «Das hat einerseits einen Einfluss auf die Qualität des Schlussresultates und stabilisiert die einzelnen Register. Andererseits ist es auch einfach motivierend, neben einem Profi zu sitzen und direkt mitzubekommen, wo man noch hin kann mit dem Instrument.»
Hotz sitzt ebenfalls an diesem Mittwochabend im Jugendorchester und spielt die erste Geige. «In dieser Kombination sind wir vom Stadt­orchester die, welche vielleicht etwas weitergeben können. Die zeigen können, wie viel man als Amateurmusikerin erreichen kann, wenn man jahrzehntelang auf seinem Instrument spielt.»
Diese Aussage ist auch ganz im Sinne von Droujelub Yanakiew, dem Dirigenten des Jugend­orchesters Zug, der an diesem Abend ebenfalls anwesend ist. «Natürlich hilft es dem Klangkörper, wenn plötzlich erfahrene Zuzüger mitspielen», erzählt Yanakiew in der Pause, bevor er aufspringt und den Dirigierstab übernimmt. «Aber 50 Prozent im Orchester ist auch die soziale Komponente. Und hier sehen unsere jungen Musiker und Musikerinnen, dass es auch nach der Musikschule noch weitergehen kann.» Das Orchester beginnt wieder zu spielen, diesmal ein Lord-of-the-Rings-Medley. «Das ist schon schwierig», sagt Yanakiew nach der Probe. «Aber sie haben gut gearbeitet.»

Aus der Komfortzone gelockt
«Uns war es von Anfang an wichtig, nicht einfach ein Konzert zu machen, sondern wir haben die Frage in den Vordergrund gestellt, was wir als Stadtorchester der Stadt und ihren Menschen noch geben können. Denn ohne die Stadt gäbe es auch kein Stadtorchester», erzählt
Regula Hassler, OK-Präsidentin des 100-Jahr-Jubiläums und Kontrabassistin im Orchester. «Und wir wollten uns auch ein bisschen aus der Komfortzone locken.»
Das passiert auf jeden Fall, denn ein Teil des Jubiläums ist die Tour d’Orchestre am 2. Juli. Auf fünf öffentlichen Plätzen gibt es an diesem Tag von 11.30 bis 17 Uhr Musik. Allerdings nicht Orchestermusik. Stattdessen haben sich die einzelnen Mitglieder zu Ensembles formiert und spielen sich einmal quer durch die Musikgeschichte. Das Programm liest sich wie ein Sammelsurium von Geschmäckern und Stilrichtungen – Piazzolla folgt auf Rachmaninov, Casanova auf Joplin.
«Da haben, glaube ich, einige von uns schon mehrmals leer geschluckt», erzählt Hassler weiter. «Normalerweise bist du Teil eines grossen Ganzen, oftmals ist deine Stimme mehrfach besetzt, und nun plötzlich stehst du im Vordergrund.»

Grosses Konzert gibt’s trotzdem noch
Das brauchte eine intensive Zusammenarbeit mit den einzelnen Registerleitungen und viel Austausch mit dem Dirigenten Joonas Pitkänen, der den Ensembles mit Rat und Tat zur Seite steht. «Aber der Hunger ist gekommen», lacht Hassler verschmitzt. Ein grosses Konzert gibt es dann aber natürlich trotzdem, das Orchester soll ja auch zusammen Jubiläum feiern können. Dieses findet dann am 26. November statt, mit Werken von Rautavaara, Tschaikowsky und einer Auftragskomposition des Zuger Komponisten Tobias Rütti.

Organische Nachwuchsförderung
Das Stadtorchester Zug kämpft, wie jeder Verein heutzutage, mit einem Nachwuchsproblem. Und nimmt das Jubiläum zum Anlass, dieses aktiv anzugehen. Denn für die Tour d’Orchestre wurde die Musikschule der Stadt Zug zur Zusammenarbeit angefragt und hat dort offene Türen eingerannt. «Wir mussten nicht lange überlegen», erzählt Mario Venuti, der Leiter der Musikschule. «Wir hatten sogar schon das Konzept quasi vorbereitet, da wir im Jahr 2020 einen ähnlichen Anlass absagen mussten.»

Lebenslanges Lernen
So werden also am 2. Juli auch Ensembles der Musikschule anzutreffen sein, genauso wie das erweiterte Orchester, welches an diesem Mittwoch in der Probe war. Dieser Generationenaustausch ist unbezahlbar, da sind sich alle Beteiligten einig. «Musik ist lebenslanges Lernen», sagt Venuti. «Und wenn wir damit unseren Schülerinnen und Schülern zeigen können, dass das Musikmachen nicht mit 18 aufhört, dann haben wir unser Ziel erreicht.»
Dem pflichtet auch Regula Hassler bei, die ihre Orchesterkarriere in der Kadettenmusik Zug begonnen hat. Damals noch Flötistin und eines der ersten Mädchen. «Ich wollte unbedingt Piccolo spielen, und als das Stadtorchester für Beethovens Pastorale jemanden suchte, hab ich die ­Gelegenheit beim Schopf gepackt. Und bin geblieben. Denn so schnelllebig unsere Welt geworden ist, das Orchester bleibt beständig.»

(Text: Laura Livers)