Mehrfach lebenslänglich für diesen Zuger
Brauchtum & Geschichte
Serie Zuger Skandale/Teil 11: Gleich zu 325 Jahren Haft wurde der Zuger Rohstoffhändler Marc Rich verurteilt. Dennoch sass er nie im Gefängnis. Ein Wirtschaftskrimi der besonderen Art.
Zug – Es war am 3. April 1974, als Marc Rich, amerikanischer Trader des Rohstoffhandelshauses Philipp Brothers, in Zug seine Marc Rich & Co. AG gründete – und damit den Grundstein legte für eine überaus bewegte und auch bewegende Firmengeschichte. Zusammen mit vier Händlerkollegen machte er sich selbstständig. Es war damals die Zeit, während der im Rohstoffhandel nicht gerade alles, aber doch vieles möglich war.
Die Rohstoffförderländer begannen, den Abbau von Zink, Blei, Kupfer, Nickel, Mangan, Chrom, Eisenerz, Tonerde, Bauxit, Aluminium, Öl und so weiter zu rationalisieren – die Trader in Zug kauften die Ware ab, waren für die Logistik zuständig, mieteten von heute auf morgen Transportschiffe an irgendeiner Ecke der Welt, liessen die Ware verschiffen und verkauften die Rohstoffe innert kürzester Zeit, natürlich mit riesigen Gewinnen.
Limousinen und Legenden
Weil man in Zug von den Vorgängen dieses Geschäfts nichts mitbekam, kam es zu Legendenbildungen, wie etwa beim amerikanischen Autor Craig A. Copetas in der Biografie über Marc Rich: «Zug ist ein Paradies für Freibeuter, eine Dodge City, in der die steckbrieflich Gesuchten in Limousinen anstatt auf Pferden sitzen und mit Fernschreibern anstatt mit Winchestern schiessen.»
Das war masslos übertrieben und ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, welcher Marc Rich unangenehmerweise ins Rampenlicht der Öffentlichkeit brachte. Denn rund zehn Jahre nach der Firmengründung – Rich war längst in den aufsehenerregenden Glasbau an der Baarerstrasse 37 umgezogen – wurde Marc Rich und seine Firma in den Vereinigten Staaten des Steuerbetrugs und des Verrats am Vaterland bezichtigt. Der Staatsanwalt (und spätere Freund von Donald Trump) Rudolph Giuliani nannte Rich «den grössten Steuerbetrüger in der Geschichte der USA». Das war eine massive Anschuldigung.
Der Hintergrund der Anklagen war der folgende: Zur Zeit der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran untersagte der damalige US-Präsident Jimmy Carter jegliche Handelskontakte mit dem Iran. Diesen Wirtschaftsboykott unterlief jedoch der amerikanische Staatsangehörige Marc Rich, indem er den höchst lukrativen Ölhandel aufrechterhielt, kein Wunder nannte man ihn in der Traderbranche den «King of Oil».
Schliesslich handle er, stellte sich Rich auf den Standpunkt, nicht als amerikanischer Bürger, sondern als schweizerische Firma. Richs Firma unterlief zudem zwischen 1979 und 1988 mindestens 78-mal das Embargo, welches das Apartheidregime in Südafrika wirtschaftlich schwächen sollte.
Druck und Debatten
Damit nicht genug. Die amerikanischen Politiker und Behörden dämonisierten Rich und sahen in ihm die Personifizierung des Bösen. Um konkret zu werden, warfen sie ihm Steuerdelikte vor: Vor amerikanischen Gerichten wurde Rich schliesslich in Abwesenheit zu insgesamt 325 Jahren Haft verurteilt!
Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in Madrid wurde es Rich möglich, die spanische Staatsbürgerschaft anzunehmen, er besass auch Pässe von Belgien, Bolivien und Israel. Doch der Konflikt schwelte jahrelang: Die Schweiz wurde von Amerika unter Druck gesetzt, Rich an die USA zu überstellen. Doch die Schweiz liefert wegen Steuervergehen niemanden aus, auch wenn er Rich heisst. In der Folge gab es hier in Zug verschiedene politische Debatten und auch Demonstrationen um die Legalität und Moral der Rohstoffhandelsgeschäfte.
So kam es, dass Marc Rich viel bekannter wurde, als es ihm lieb war. Schliesslich bezahlte die Marc Rich & Co. 170 Millionen Dollar, um sich von der Steuerbetrugsklage zu befreien – doch die Ausschreibung zur Verhaftung blieb bestehen.
Marc Rich zog sich 1994 aus der Marc Rich & Co. zurück, worauf diese sich in Glencore International umbenannte – auch um die lästige Vergangenheit abzustreifen. Glencore macht mittlerweile einen weltweiten Umsatz von 256 Milliarden Dollar (und ist damit eine der grössten Firmen der Schweiz).
1996 zügelte die Glencore in einen grösseren Neubau auf der Baarermatte. Marc Rich schaffte es aber nicht, sich nach einem langen Händlerleben zur Ruhe zu setzen: Stattdessen wagte er 1996 einen Neustart – und konkurrenzierte damit seine ehemalige Firma. Mit Büros in Zug, London, New York, Moskau, Madrid und Singapur handelte er in den lukrativen Geschäftsnischen des Öl-, Metall- und Agrartradings.
Begnadigung und Beisetzung
Zudem arbeitete Rich mit seinen Rechtsanwälten weiter an seiner Rehabilitierung. Seine Firma bekannte sich in 35 Fällen der Steuerhinterziehung für schuldig und bezahlte nochmals 90 Millionen Dollar Strafgelder. Schliesslich brachte der damalige US-Präsident Bill Clinton im Jahr 2001 alles ins Lot: Er begnadigte den Zuger Rohstoffhändler Marc Rich – notabene am allerletzten Amtstag Clintons!
Zuletzt wohnte Rich in der Villa Rose in Meggen mit direktem Seeanstoss. 2013 verstarb er an den Folgen eines Schlaganfalls. Beigesetzt wurde er in der Nähe von Tel Aviv in Israel.
Sein Reichtum lebt weiter in verschiedenen gemeinnützigen Projekten: In Tel Aviv gibt es ein «Marc Rich Israeli Cinema Center», im Kunsthaus Zürich die «Marc Rich Collection», eine international tätige «Rich Foundation» spricht ebenso Gelder wie die Schweizerische Stiftung für den Doron-Preis mit Sitz in Zug. (Text von Michael van Orsouw)
HinweisDr. Michael van Orsouw ist Historiker und Schriftsteller. Er beleuchtet Zuger Skandale des 20. Jahrhunderts. In Folge 12 geht es um einen weiteren Zuger Businessman mit sehr merkwürdigem Geschäftsgebaren..