Ein sorgfältig angeordnetes Chaos

Dies & Das

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Eine scheinbar ungeordnet vollgepackte Rumpelkammer in Zürich folgt in Tat und Wahrheit einem Konzept. Aber warum ist dieser sonderbare, weit gereiste Raum nach einer Zuger Gemeinde benannt?

  • Der «Chamer Raum» ist seit 2014 als Leihgabe der Walter-A.-Bechtler-Stiftung im Kunsthaus Zürich ausgestellt. Er ist durch eine verglaste Tür einsehbar. (Bild Andreas Faessler / ©1991, Peter Fischli & David Weiss, Installation im Kunsthaus Zürich)
    Der «Chamer Raum» ist seit 2014 als Leihgabe der Walter-A.-Bechtler-Stiftung im Kunsthaus Zürich ausgestellt. Er ist durch eine verglaste Tür einsehbar. (Bild Andreas Faessler / ©1991, Peter Fischli & David Weiss, Installation im Kunsthaus Zürich)

Zug – Da drin herrscht ein ziemliches Durcheinander. Allerlei Krempel, Gebrauchsgegenstände und Arbeitsutensilien stehen und liegen ungeordnet im Raum herum, türmen sich stellenweise, manches scheint seit Jahren unberührt, einiges sieht aus, als wäre es noch in Gebrauch. Jeden Moment würde man jemanden in schmutzigem Overall erwarten, der ins Bild tritt, sich ein Werkzeug aus dem Haufen sucht, an irgendwas herumklempnert oder einfach nur ein Bier aus dem altmodischen Kühlschrank holt.

Die Kammer, in die wir hier blicken, finden wir im Kunsthaus Zürich. Es handelt sich um die Installation «Ohne Titel (Chamer Raum)», welche 2014 von der Besitzerin als Dauerleihgabe dem Kunsthaus anvertraut worden ist. Für die Installation wurde innerhalb der Sammlung im ersten Obergeschoss ein ­eigens abgetrennter und auf die richtigen Masse von knapp 3 mal 4 mal 5 Metern zugeschnittener Raum eingerichtet.

Die Installation ist das Werk des bekannten, von 1979 bis 2012 gemeinsam tätigen Künstlerduos Peter Fischli (*1952) und David Weiss (1946–2012). Ihr Augenmerk galt seit Anbeginn dem Unspektakulären des Alltags, dem Banalen, scheinbar Nichtssagenden. Inspiration für die beiden war unter anderem die genaue Beobachtung trister Agglomerationen und deren ästhetischer Anspruchslosigkeit sowie auch der fliessende Übergang der Agglo zur historischen Bebauung, wie auch zur ländlichen Idylle. Die entstandenen Eindrücke übertrugen sich auf ihr künstlerisches Schaffen.

Und so ist denn auch jener Raum entstanden, um den es hier geht. Es war der Beitrag von Fischli & Weiss für die im ­Sommer 1991 vom Forum Junge Kunst Zug durchgeführte ­Gruppenausstellung «Chamer Räume», im Rahmen derer 19 Kunstschaffende in öffentlich zugänglichen Privaträumen der Gemeinde Cham ortsspezifische Werke präsentieren sollten. Fischli & Weiss wählten eine unspektakuläre Beton-Normgarage aus den 1960er-Jahren neben dem zur Villette gehörenden Gärtnerhaus an der Bahnlinie.

Alles nur Schein

Hier richteten Peter Fischli und David Weiss ihren «Chamer Raum» ein, indem sie rund 150 Objekte unterschiedlicher Art um ein leeres Zentrum anordneten. Das Besondere: Sämtliche Gegenstände sind aus Polyurethan angefertigt, einem speziellen Schaumstoff, welcher im Alltagsgebrauch als Dämm- und Füllmaterial zur Anwendung kommt. Bemalt ist alles mit Dispersions- und Acrylfarbe. So sind und bleiben die Gebrauchsobjekte zwangsläufig unbrauchbar. Sie seien somit keine Sklaven mehr, soll das Künstlerduo dazu gesagt haben. Das Einzige, was man mit den Gegenständen machen könne, ist, sie zu betrachten. Nichts in diesem Raum ist also zu etwas verpflichtet, von sämtlichen Aufgaben von Anfang an befreit – die Objekte sind seelenlose Abbilder ihrer selbst.

Das wild zusammengewürfelte Rauminventar stammt stilistisch aus unterschiedlichen Zeiten, nichts passt aus ästhetischer Sicht zusammen oder korrespondiert. So finden sich im Fischli-Weiss’schen «Chamer Raum» die Beobachtungen aus den Agglomerationen wieder, wo viel Austauschbares ebenso ungeordnet wie uneinheitlich zusammentrifft.

Installation auf Wanderschaft

Im Anschluss an die Ausstellung in Cham wurde das Kunstwerk von der Walter-A.-Bechtler-Stiftung angekauft, die sich für zeitgenössische, im öffentlichen Raum zugängliche Kunst engagiert. Im Folgejahr ging der «Chamer Raum» auf Tour und war Teil weiterer Ausstellungen: 1992 wurde er in Schorndorf nahe Stuttgart aufgebaut – wiederum in einer Garage. Danach zeigte die Hayward Gallery in London die Installation, ehe sie in die Schweiz zurückkehrte und ab 1994 an wechselnden Orten in Zürich installiert war. Als die Stiftung 2014 den «Chamer Raum» dem Kunsthaus Zürich zur Verfügung stellte, war das Werk in einem sogenannt «ehemaligen Raum der Feuerwehr» in S-chanf im Oberengadin eingerichtet. Von dort kam es schliesslich an seinen heutigen Standort im Kunsthaus. Hier ist der «Chamer Raum» als Reminiszenz an die Ausstellung in der Zuger Gemeinde vor knapp 30 Jahren auf unbestimmte Zeit als Teil der Sammlung zu besichtigen. (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und ­Zuger Bezug nach.