«Ich will von diesem Politikerbashing wegkommen»

Theater & Tanz

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Im Restaurant neben dem Casino Theater Zug herrscht am späten Nachmittag Besucherflaute. Michael Elsener stört das nicht. In nur wenigen Tagen wird er die Segel setzen und übers Meer schippern, um noch etwas Kraft zu tanken. Denn der Comedian hat sich mit seiner interaktiven Show «Alles wird gut» viel vorgenommen. Wer drinsitzt, darf mitdiskutieren – wie bei einer Gemeindeversammlung – und nach Lösungen für die Probleme der Schweiz suchen.

  • Comedian Michael Elsener im Theater Casino Zug: Der Scheinwerfer ist in seiner Show nicht nur auf ihn gerichtet. (Bild Alex Spichale)
    Comedian Michael Elsener im Theater Casino Zug: Der Scheinwerfer ist in seiner Show nicht nur auf ihn gerichtet. (Bild Alex Spichale)

Zug – Michael Elsener, Sie sind momentan das Sorgentelefon der Schweiz. Für Ihre neue Polit-Comedy-Show «Alles wird gut» haben Sie die Bevölkerung dazu aufgerufen, Ihnen die grössten Probleme des Landes zu schildern. Was kam denn da für ein Problemberg ­zusammen?

Michael Elsener: Ich war selbst überrascht über die vielen Zusendungen. Wir sind mit dem Auswerten immer noch nicht fertig. Was man jetzt schon sagen kann: Weder die hohen Krankenkassenprämien noch die Zuwanderung sind ein Thema, wie das die Sorgenbarometer von Versicherungskonzernen oder Banken immer suggerieren.

Worüber sorgen die Menschen sich dann?

Ein paar Spass-Freaks haben mir von ihren privaten Problemen erzählt – denen habe ich wie allen anderen auch eine seriöse Rückmeldung gegeben. (Lacht). Viele schreiben mir, sie leiden darunter, dass ihre Anliegen nicht ernst genommen werden. Sie stehen mitten im Leben. Sie sind bestrebt, ein gutes Leben zu führen. Und sie spüren: Wenn es um die konkrete politische Umsetzung von etwas geht, das sie direkt betrifft, etwa bei der Gleichstellung der Geschlechter, werden diese Anliegen im politischen Prozess blockiert mit der Begründung, es gebe gerade wichtigere Probleme. Und wenn nicht, dauert die Umsetzung viele Jahre.

Ist das ein Gefühl der Machtlosigkeit?

Ja, ich denke, es hat viel damit zu tun. Werde ich gehört? Nimmt man mich wahr? Gibt es jemanden in der Politik, der nachvollziehen kann, in welchen Problemen ich gerade stecke?

Sind das nicht die üblichen Ressentiments gegenüber der Politik?

Natürlich. Aber sie entstehen nicht grundlos. Ich mache mit meinem Publikum in meiner neuen Polit-Comedy-Show ein Spiel. Wir schauen uns an, wie viele Vertreterinnen und Vertreter einer Berufsgruppe prozentual im Zuschauerraum sitzen. Dann vergleichen wir das mit dem Parlament in Bern, das zu einem sehr grossen Teil aus Juristinnen und Juristen besteht. Die repräsentieren ein Land, in dem die meisten Menschen im Verkauf oder in der Pflege arbeiten oder das KV absolviert haben. Wie will man da wirklich spüren, was die Leute beschäftigt – ausser vom Hörensagen?

Zurück zum Problemberg: Wie repräsentativ ist Ihre Umfrage, die Sie da in Ihrer Fangemeinde veranstalten?

Repräsentativ ist sie überhaupt nicht. Trotzdem haben mich auch ausserhalb meiner eigenen Bubble sehr viele Anliegen erreicht. So haben mir Landwirte erzählt, welch enormer Druck auf ihnen lastet. Da ist zum einen dieses Grundgefühl, man werde nicht gehört. Und dann sind da die vielen Ansprüche, denen man gerecht werden möchte: Man will die Umwelt schützen und gleichzeitig diesem enormen Preisdruck standhalten. Dieses Dilemma ist kein OK-Zustand, in dem man ein wirklich zufriedenes Leben führen kann. Wir leben in einem Land, das sehr wohlhabend ist, und gleichzeitig gibt es unglaublich viel Frust. Das hat mich sehr beschäftigt.

Woher kommen denn diese überzogenen Anforderungen?

Es ist ein Lebensgefühl, das viele von uns beherrscht. Man schaut raus in die Welt, möchte etwas tun, etwa fürs Klima. Dann schaut man auf gewisse Konzerne, die viel weniger machen. Gleichzeitig ist da die Inflation, die einen im Handlungsspielraum beschneidet. Man muss sich fragen, ob man für Atomkraftwerke sein will, um das Klima zu schützen. Es ist unglaublich anspruchsvoll geworden, zu leben, weil man die ganze Zeit zu allem eine Meinung haben und sich trotz aller Widersprüchlichkeiten entscheiden muss.

Verspricht ihr neues Programm Linderung gegen diesen Zustand?

Neben meinen Sketchen und Parodien ist es mein Anliegen, diese Grundstimmung am jeweiligen Aufführungsort im Voraus abzuholen. Ich recherchiere: Was ist hier das grösste Problem? Dann frage ich das Publikum. Einen Abend lang versuchen wir dann herauszufinden, wie wir dieses Problem kreativ lösen können.

Das stelle ich mir sehr konstruktiv, aber auch sehr trocken vor. Wo bleibt da der Humor?

Politik ist unterhaltsam! Zu verhandeln, wie wir morgen zusammenleben wollen, ist interessant und witzig zugleich. Wer jemals in einer WG gelebt hat, weiss, wovon ich rede. Da sind die einen, die schon beim Kauf neuer Tischsets eine Grundsatzdebatte fordern. Und da sind die anderen, die schon daran scheitern, den Grünabfall herauszutragen. Wenn die Kreativität und die Ideen der Menschen im Saal gefragt sind, ist sofort viel Humor im Spiel. Jede Show ist anders.

Worüber wurde in Ihren Try-outs denn debattiert?

An einem Abend haben wir darüber diskutiert, ob man die Dorfstrasse mit mehr Bäumen begrünen soll. Im linken Saalbereich formierte sich sofort eine Opposition, die fand, die Bäume würden zu viel Schatten werfen. Ich improvisiere dann mit den Leuten über ihre Baum-Ideen und baue auch spontan Sketche aus meinem Repertoire ein, die zum Thema passen. Lokalpolitiker aus dem Publikum oder auch Vertreter verschiedener Berufsgruppen geben dann meistens spontan Inputs und Expertisen ab. Im Grunde lasse ich die engagierte Pausen-Debatte bereits in der Show stattfinden.

Was soll dieses Demokratietraining bewirken?

Viele Dinge, die an Politikerinnen und Politikern nerven, tut man in meiner Show auf einmal selbst. Man verwendet Scheinargumente, wie es die Gegner der begrünten Dorfstrasse tun. Und die Zuschauerinnen und Zuschauer lernen, wie schwierig es ist, Kompromisse zu finden. Man gewinnt wieder mehr Respekt für die Arbeit von Politikerinnen und Politikern, die das die ganze Zeit machen müssen. Ich will von diesem Politikerbashing wegkommen.

Also ist Ihr Abend eine Art Schulungsseminar für mehr Eigenverantwortung?

In erster Linie gibt es viel zu lachen. Aber ja, in der Schweiz sitzt man Entscheide gerne aus. Man wartet lieber, bis für einen entschieden wird. Am Ende ist niemand glücklich, weil man es verpasst hat, selber zu agieren. Das betrifft auch das Wählerverhalten: 55 Prozent aller Stimmbürgerinnen und Stimmbürger stimmen nicht ab. Auf Social Media hingegen sagt jeder und jede jederzeit Ja und Nein zu allem. Ist das nicht absurd?

Zehntausende Menschen schauen sich regelmässig Ihre Erklärvideos zu Abstimmungsvorlagen auf Youtube an. Was motiviert Sie, diese aufwendigen Clips zu produzieren?

Manchmal warte ich am Bahnhof auf den Zug, und dann kommt plötzlich ein 14-jähriger Teenager auf mich zu, der noch gar nicht abstimmen darf, und sagt zu mir: «Hey, ich habe dein Video angeschaut und es meinen Eltern gezeigt. Wir haben zusammen debattiert.» Das finde ich sehr berührend. Diese Clips sind für viele junge Menschen ein Einstieg in politische Themen. Ich stelle deshalb immer auch ein Quellenverzeichnis zusammen, mit dem man sich weiterinformieren kann. Ich schicke ihnen auf Anfrage auch noch weitere Studien und Artikel zu.

Ist stelle mir die Produktion dieser Clips – ohne Medienunternehmen im Rücken – sehr aufwendig vor.

Mittlerweile habe ich Leute, die mich bei meinen Recherchen und beim Faktencheck unterstützen. Die Pointen müssen wahr sein, damit sie wehtun. Für mich ist die Arbeit an so einem ­Video auch eine persönliche Weiterbildung. Eigentlich müsste ich die Chance ergreifen, an dieser Stelle einmal all den Menschen in der Bundesverwaltung Danke zu sagen, die sich immer wieder viel Zeit nehmen, um mir in etwa zu erklären, wie unsere Pensionskassen wirklich funktionieren.

Es gibt das politische Kabarett, das die Welt auf Abstand hält. Und dann gibt es den Michael Elsener, der alles sehr nah an sich heranlässt. Warum?

Das klassische Politkabarett mit dem Zeigefinger mag ich nicht. Ironie und Zynismus sind nicht die richtigen Werkzeuge für mich, da sie Distanz erzeugen. Indem ich die Themen nah an mich heranlasse, finde ich die grundsätzlichen Widersprüche in einer Thematik. Dinge, die nicht aufgehen. Das führt mich zu meinen Pointen.

Dass Sie jeder Politikerin und jedem Politiker offen begegnen, bewiesen Sie, als Sie 2017 den SVP-Hardliner Andreas Glarner zu sich auf die Bühne einluden. Wie ist Ihnen das gelungen?

Ich wollte ihm keine Plattform geben. Also entschied ich mich, den ganzen Abend nicht über seine Stammthemen zu reden und ihn stattdessen nur mit Liebe zu empfangen. Wir haben über Liebe geredet, um herauszufinden, ob man den Mann irgendwie auftauen kann. Er hatte gerade Geburtstag. Also hat Tino, der aus dem Balkan in die Schweiz geflüchtet ist, ihm auf Schweizerdeutsch ein Geburtstagsständchen gesungen. Da haben wir gemerkt: Mit dem Menschen passiert etwas. Er hat uns eine grosse Dankeskarte geschickt.

Vor einigen Monaten überraschten Sie auf Ihrem Instagram-Kanal mit Fotos, die Sie in Frauenkleidern und geschminkt in einer Bar in Kambodscha zeigen. Wie kam es zu dieser Verwandlung?

Ich habe in den vergangenen Jahren viel über Geschlechterrollen gelesen und mich mit anderen darüber ausgetauscht. Und wie bei vielen Dingen im Leben wollte ich nicht nur darüber lesen und reden. Ich wollte es ausprobieren und so weit es geht erleben. Also hat mich ein Freund, der Dragqueens schminkt, in eine Frau verwandelt.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Als ich mich zum ersten Mal als Michèle im Spiegel angeschaut habe, merkte ich, dass ich anfing, mich in meiner Interpretation weiblicher zu bewegen. Ich begann viele Verhaltensmuster zu imitieren, die ich von Rollenbildern in meinem Kopf her kannte. Und ich begann mich zu fragen: Warum mache ich das eigentlich so? Dieses Hinterfragen habe ich in meinem Alltag mitgenommen. Gerade auch im Umgang mit anderen queeren Menschen und ihren Anliegen.

Ist Reisen ein Grundbedürfnis für Sie?

Ich reisse mich gern aus meinem Alltag heraus. Auf Reisen überlege ich mir, was aus mir wohl geworden wäre, wenn ich etwa in einer Stadt wie Kairo zur Welt gekommen wäre. Ich mag es, mich mit anderen Menschen auszutauschen, mich in ihnen zu spiegeln. Jedes Mal sehe ich das Leben anders, sehe ich die Schweiz anders, schreibe ich andere Texte. Ein politsatirischer Text über die Schweiz gelingt mir in Kairo besser als in Oberägeri. In Kairo habe ich mich mit Menschen getroffen, die sich ernsthaft überlegen, nochmals eine Revolution zu starten. Als ich zurück in der Schweiz die Zeitung lese, debattiert man über den Schattenwurf eines Hochhauses.

Apropos hineinversetzen in andere Rollen: Ganz nebenbei haben Sie mit Roman Riklin Ihre ersten zwei Theaterstücke geschrieben. Wie kam es dazu?

Ich habe in den letzten Jahren sehr viel Drehbuchliteratur gelesen und wolle schon lange ein Stück schreiben. Das ständige Touren hat das aber immer verunmöglicht. Dann kam der Lockdown. Und im zweiten Lockdown war ich mit Roman Riklin unterwegs, und da fanden wir, lass uns ein Stück schreiben über Political Correctness.

Ihr Stück «Shitstorm für Anfänger*innen» thematisiert unter anderem Blackfacing. Eine umstrittene Praxis, bei der sich weisse Menschen das Gesicht schwärzen. Worum geht’s denn da genau?

In unserem Theaterstück diskutieren die Mitarbeiterinnen einer NGO, wie sie mit dem Blackfacing ihres frisch gebackenen Geschäftsführers sowie grünen Nationalrats umgehen. Sie verhandeln dabei Themen wie Alltagsrassismus und weisse Privilegien.

Im neusten Videoclip von Marco Rima betreibt dieser auch Black­facing. Was halten Sie davon?

Ich wünschte mir, es gäbe die Bereitschaft dazu, zu sehen, dass wir in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, die viele Menschen benachteiligt und sich dies in vielen Situationen auch in Form von rassistischem Verhalten gegenüber diesen Menschen äussert. Dies zu erkennen, wäre wichtig für unser Zusammenleben. Wir zeigen damit Empathie und Respekt. Es tut mir weh, wenn ich sehe, dass manche Menschen das Gegenteil befeuern. Mit der französischen Politologin Emilia Roig gesprochen: Wenn man einer anderen Person auf den Fuss tritt, sagt man automatisch: «Bitte entschuldige.» Niemand sagt: «Das war nicht so gemeint.» Wenn eine Person eine rassistische Äusserung oder Aktion macht, dann ist es bei uns verbreitet zu sagen: «Ach, das habe ich nicht so gemeint.» Warum sagt man hier nicht «Entschuldigung»? Es geht ja nicht darum, wie dieser jemand etwas gemeint hat, sondern wie fast immer geht es darum, wie dies bei der betroffenen Person angekommen ist.

Alt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf schaffte es in ein Theaterstück, das zum Kassenschlager wurde. Wie sehen Sie das Potenzial für die Bühne unserer Politiker?

Spontan fände ich ein Stück über ihren Kontrahenten Christoph Blocher interessant. Kürzlich konnte ich Blochers Wortmeldungen an einer Diskussionsrunde satirisch zusammenfassen. Ich finde es beeindruckend, wie diese Person seit Jahrzehnten den Diskurs in der Schweiz definiert und dominiert. Ich bin überzeugt, dass er sehr lange an seinen Reden herumfeilt, damit die so wirken, als seien sie nur so dahergeredet. Andererseits könnte ich mir auch ein Stück mit Bundespräsident Alain Berset vorstellen. Alain Berset – das Musical. Ein Medienpolitskandal mit Beziehungsaffären plus Actionszenen in einem Flugzeug nach Frankreich.

Und wer soll ihn verkörpern?

Vin Diesel! Wer sonst?

Polit-Comedy« Alles wird gut». Ab 1.3. am Theater am Hechtplatz, Zürich. Tourdaten: www.michaelelsener.ch «Shitstorm für Anfänger*innen». Ab 2. 3. im Casinotheater Winterthur. «Vier werden Eltern». Komödie über Kinderwunsch und Regenbogenfamilie. Theater am Hechtplatz, Zürich. Bis 25.2.

Michael Elsener geht ab März wieder auf Tournee. Im Interview erklärt er, wie er mit seiner neuen Show die Demokratiemüdigkeit der Schweizerinnen und Schweizer kurieren will. Und wieso er über Alain Berset gerne ein Musical schreiben würde.