Die Form, aus Lehm gebaut...

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Stampflehmbauten, Pisé genannt, haben in Europa eine lange, aber vergessene Tradition. Welches Potenzial sie für zukünftiges Bauen bieten, zeigt die neue Ausstellung des Ziegeleimuseums Hagendorn.

  • In der Ausstellung sind massstabsgetreue Turm-Miniaturen zu sehen. (Bild Patrick Hürlimann)
    In der Ausstellung sind massstabsgetreue Turm-Miniaturen zu sehen. (Bild Patrick Hürlimann)

Hagendorn – Am letzten Samstag eröffnete der Zuger Baudirektor Urs Hürlimann die Vernissage der diesjährigen Sonderausstellung des Ziegeleimuseums mit den Worten: «Wir wissen, dass 2025 die Kiesreserven des Kantons Zug zur Neige gehen. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Bevölkerung ist eine nachhaltigere Architektur also dringend nötig. Ab nächstem Jahr wird auf dem Gelände des Ziegeleimuseums ein neuer Aussichtsturm stehen, ganz aus Stampflehm gebaut – ein ‹Leuchtturm› der Innovation!»

Rund 100 Interessierte, darunter viele Architekten, sassen auf den improvisierten Stuhl­reihen zwischen den offenen Regalen des verwitterten Ziegelei­gebäudes, durch das sanft der Frühlingswind wehte. 

Ein Zeuge: Die berühmte Alhambra in Spanien

«Roger Boltshauser, Pisé – Tra­dition und Potenzial» lautet der Titel der neuen Ausstellung. Pisé bedeutet Stampflehm und bezeichnet eine Bauweise, bei der erdfeuchtes, lehmig-schottriges Material direkt aus der Erde genommen und durch Stampfen verdichtet wird. Sie ist in den letzten 200 Jahren, mit dem Aufkommen der gebrannten Ziegel und des Betons, verloren gegangen, hat aber – entgegen landläufiger Meinung – eine lange europäische Tradition, und noch immer gibt es manche Zeugen davon: alte Bauern- und Wohnhäuser, Scheunen, Fabriken, ja Kirchen, Schlösser und Festungen. Die berühmte Alhambra in Spanien, die Kasbahs in Marokko oder die Grosse Mauer in China sind Beispiele für die weltweite Verbreitung des Pisé. In Frankreich entwickelte sich Pisé vor allem in Lyon, wo nach den Bränden der Französischen Revolution der Stampflehm als kostengünstiges Baumaterial der armen Leute eine grosse Bedeutung bekam. Auch in der Schweiz gibt es «Enklaven» des Pisé-Baus, vor allem im Kanton Genf und in der Ostschweiz.

Von dieser uralten Bau-Tradition erzählte Roger Boltshauser als Hauptreferent der Vernissage mit grosser Begeisterung. Der Zürcher Architekt erforscht seit Jahren Pisé – oft in Zusammenarbeit mit dem Vorarlberger Lehm-Pionier Martin Rauch. Boltshauser hat bereits mehrere moderne Lehmbauten realisiert und ist inzwischen als Koryphäe dafür bekannt. Dem Kanton Zug ist er durch weitere Projekte wie die Papieri Cham verbunden. Im Rahmen seiner Gastprofessur an der Technischen Hochschule München und in enger Zusammenarbeit mit dem Ziegeleimuseum entwickelten Studenten Entwürfe für einen Aussichtsturm aus Stampflehm. Dieser soll im Sommer 2019 unter baumeisterlicher Anleitung eigenhändig gebaut werden und das Museumsgelände fortan bereichern. Insgesamt 14 massstabsgetreue Turm-Miniaturen füllen aktuell den Ausstellungsraum des Museums und beeindrucken durch fantasievolle Formen, spannenden Umgang mit der visuellen und taktilen Struktur des Materials, räumliche Sensibilität oder praktische Nutzbarkeit.

Die Pisé-Ausstellung des Ziegeleimuseums dauert bis zum 21. Oktober und wird zur Renaissance eines Baumaterials beitragen, das sich durch nachhaltige Quellen, einen sehr kleinen Kreislauf, Belastbarkeit, hervorragende Feuchteregulierung und Wärmespeicherung, Einbettung in die Landschaft und vielseitige ästhetische Formbarkeit auszeichnet. (Dorotea Bitterli)