Die Pionierin mit Singstimme und Kamera

Brauchtum & Geschichte

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Das erste professionelle Fotostudio im Kanton Zug betrieb eine «Starke Zuger Frau»: Die «Jungfer» Katharina Weiss (1834–1911). Noch heute erinnert ein Gebäudename an diese erste «Photographistin».

  • Im Fotoatelier inszeniert: Katri Weiss mit ihrem Neffen Josef Schwerzmann-Hotz im Attrappen-Schiff. (Bild Katharina Weiss)
    Im Fotoatelier inszeniert: Katri Weiss mit ihrem Neffen Josef Schwerzmann-Hotz im Attrappen-Schiff. (Bild Katharina Weiss)
  • Die Fotopionierin um 1890: Sie kleidete sich gerne auffällig und war dadurch stadtbekannt. (Bild Katharina Weiss)
    Die Fotopionierin um 1890: Sie kleidete sich gerne auffällig und war dadurch stadtbekannt. (Bild Katharina Weiss)
  • Das seltene Ereignis einer Seegförni: Katri Weiss hält die Situation im Winter 1890/91 fest. (Bild Katharina Weiss)
    Das seltene Ereignis einer Seegförni: Katri Weiss hält die Situation im Winter 1890/91 fest. (Bild Katharina Weiss)
  • Auf der Rückseite der Fotokartons von Katri Weiss: eine Illustration ihres Chalets an der Bahnhofstrasse. (Bild Katharina Weiss)
    Auf der Rückseite der Fotokartons von Katri Weiss: eine Illustration ihres Chalets an der Bahnhofstrasse. (Bild Katharina Weiss)

Zug – Wer heute im Hochhaus an der Bahnhofstrasse 32 Brillen order Brot kauft, zum Arzt oder zum Anwalt geht, achtet kaum auf den Schriftzug «Katharinahof» über der seitlichen Glastüre. Damit erweist der Bau einer einst stadtbekannten Frau Referenz, nämlich Katharina Weiss. Sie ist damit eine der wenigen Frauen, deren Wirken eine bleibende öffentliche Würdigung erfahren hat.

Katharina Weiss kommt 1834 in der Kollermühle zur Welt, wo ihr Vater Burkard Weiss (1790–1863) eine Müllerei betreibt und wo sich ihre Mutter Anna Maria Cäcilia, geborene Stocklin, um die sechs Kinder kümmert. Wohl ahnt damals noch niemand, dass aus der kleinen Katharina, die ihrer Herkunft wegen «Kathri Koller» genannt wird, dereinst eine künstlerisch-technische Pionierin der Stadt Zug werden würde, die landesweit Achtung erfährt.

Mitte des 19. Jahrhunderts, als Katri ihre Jugend erlebt, entwächst die Fotografie ihren Kinderkrankheiten. Die Technik wird einfacher, das Verfahren günstiger, die Nachfrage steigt. Es ist ein guter Zeitpunkt, um professionell in die Fotografie einzusteigen.

Wo Katharina Weiss das damals nicht einfache Handwerk mit dem nassen Kollodiumverfahren erlernt hat, wissen wir nicht. Vielleicht war sie von Franziska Möllinger (1817–80) beeinflusst, der ersten Frau in der Schweiz, die Daguerreotypien anfertigte, diese Urform der Fotografie. Vielleicht stieg einer der Wanderfotografen bei ihr in der Kollermühle ab, als er mit Ross und Wagen durch die Schweiz reiste und da und dort seine Kamera aufstellte. Vielleicht bekam sie das berufliche Wissen bei Joseph Schmidt mit, der die Weinhandlung «Zum italienischen Keller» an der Zuger Vorstadt und im dritten Stock nebenbei ein Fotoatelier betrieb.

Ganz neu und interessant

Überlieferte Tatsache ist, dass Katharina Weiss 1862 im «Amtsblatt» und 1864 in der «Neuen Zuger Zeitung» für ihr «photographisches Atelier» wirbt: Es sei ihr gelungen, «Porträts aufzunehmen nach einer ganz neuen und interessanten Erfindung, die hervorstehend erscheinen und den gewöhnlichen an dauerhafter Schönheit bei weitem vorzuziehen sind.» Meint sie hiermit die Daguerreotypien? Oder die Malerei?

Damals übt sie ihren Beruf noch in der elterlichen Kollermühle aus. Vier Jahre später, 1868, übernimmt Katharina Weiss pachtweise das Geschäft von Josef Schmidt in der Zuger Vorstadt. Verkäufer Schmidt empfiehlt «hiesigem und auswärtigem Publikum» die Nachfolgerin «für alle in das Fach Photographie einschlägigen Arbeiten, unter Zusicherung schneller, naturgetreuer und sorgfältiger Ausführung»; er selber beschränkt sich fortan auf Weine und Spirituosen. Katharina Weiss hat der Konkurrenz etwas Wichtiges voraus: Anders die damals häufigen Wanderfotografen kennt sie viele Menschen in der Stadt Zug persönlich, und fast alle kennen sie. Denn Kathri Weiss ist eine stadtbekannte Persönlichkeit. Das Geschäft läuft auf Anhieb gut, so gut sogar, dass sie mitten in der Stadt Land kaufen kann.

1872 zieht sie von der Vorstadt an die Bahnhofstrasse, die damals noch wirklich zum Bahnhof führt. Auf der Höhe des Dreiangels – dort, wo heute der Katharinahof steht – lässt sie sich ein Chalet erbauen, mit schönem Fachwerk, lauschigem Erker und praktischem Atelieranbau gegen Norden. Dadurch hat sie das für Fotoateliers erforderliche gleichmässige Licht und ist noch näher bei der Kundschaft. Weiss zeigt fortan das schmucke Häuschen, indem sie bis zu ihrem Lebensende wohnt und arbeitet, als unverwechselbares Markenzeichen auf der Rückseite ihrer Fotokartons.

Grosse Hüte und ein zahmer Fuchs

Katharina Weiss fällt in der damaligen Kleinstadt Zug nur schon dadurch auf, dass sie als Frau alleine wohnt und alleine geschäftet. Zudem erregt sie mit ihren grossen Hüten Aufsehen, aber auch mit ihren Hunden und Katzen, und zeitweilig hält sie sich sogar einen zahmen Fuchs. Bei sich zu Hause an der Bahnhofstrasse spielt sie gerne Gitarre, singt lautstark dazu oder jodelt, was weitherum zu hören ist. Ja, die Kathri Weiss gilt in Zug als Stadtoriginal.

Sie porträtiert die halbe Stadt in ihrem Atelier, das sie mit verschiedenen Requisiten für Hintergründe ausgestattet hat. Später heisst es dazu in der Zeitung: In Zug sei sie «in den verflossenen Jahrzehnten … eine Art städtischer Hof-Photograph» gewesen; die weibliche Form des Berufs war anscheinend noch nicht bis zur Presse gekommen. Weiter heisst es: «Das halbe Zug, Gross und Klein, ist von ihr abkonterfeit worden.» Mit den Porträts verdient sie ihren Lebensunterhalt. Doch darüber hinaus fertigt sie die Bilder von Landschaften, städtischen Baudenkmälern oder von seltenen Geschehnissen an, so etwa Fotografien der Seegförni von 1890/91. Ein Zeitgenosse urteilt über sie: «Es steckte echtes Künstlerblut in der Jgfr. Katharina Weiss, …, und an der Brust trug sie die blaue Blume der Romantik.»

Sie ist überhaupt eine Frau voller Lebenslust, welche die angewandte Kunst in Form der Fotografie ausübt und zudem die Musik liebt. Während mehr als sechs Jahrzehnten singt sie in Zugs Kirchen, wo sie «ihre wohlklingende Stimme von weitem Tonumfang zur Verherrlichung des Gottesdienstes und zu Gottes Lob und Preis» habe ertönen lassen, sodass sie am Lebensende als «Zugs älteste Kirchensängerin» gelobt wird.

Die Männerchorsänger klopfen auf dem Heimweg gerne bei ihr an: «Reich war sie nicht, aber einen Most gab es immer.» Schliesslich habe Katharina Weiss noch wenige Tage vor ihrem Tod «auf dem Krankenlager gesungen, gejodelt und Gitarre dazu gespielt». Am 29. November 1911 stirbt sie im Alter von 77 Jahren. Zwei Jahre später weicht ihr Chalet von der Bahnhofstrasse, das Abbruchmaterial kommt an den Guggiweg 1, wo ein neues Chalet darauf erbaut wird. Währenddessen entsteht am Standort die erste Etappe des Geschäftshauses, das noch heute ihr zu Ehren «Katharinahof» heisst.

Aber nicht nur der Bau erinnert an die Fotopionierin: Laut dem Schweizer Fotografiekenner Markus Schürpf gilt Katharina Weiss als «eine der profiliertesten fotografierenden Frauen hierzulande … Unter den lichtbildnernden Frauen ihrer Generation hat sie schweizweit die längste Karriere aufzuweisen und diese am ausgeprägtesten und konsequentesten verfolgt.» (Michael van Orsouw)

Hinweis
Für die Serie «Starke Frauen» stellt der Historiker und Schriftsteller Dr. Michael van Orsouw bemerkenswerte Frauen aus der Zuger Geschichte dar. In Folge 5 geht es um eine reiche Erbin, die Gutes tat.