Der lange Pfad des Dorfes zur eigenen Pfarrei
Dies & Das
Der Historische Verein Zug lud zum Referat ins Pfarreiheim Sonnenhof. Urspeter Schelbert hatte Spannendes zu erzählen.
Unterägeri – Zu den Erkenntnissen der geglückten Abkurung von Oberägeri bedarf es der Erörterung kirchenrechtlicher ebenso wie volkskundlicher, siedlungstypischer, bildungspolitischer und gesellschaftlicher Aspekte, worüber Urspeter Schelbert souverän gebietet!
Eingeladen durch den Historischen Verein des Kantons Zug, hielt er sein Referat bezeichnenderweise im Pfarreiheim Sonnenhof Unterägeri, erhielt doch gerade dieses Gemeinwesen 1714 nach einem Vierteljahrhundert unentwegter Mühewaltung das Recht kirchlicher Eigenverantwortung. Seinerzeit präsentierte sich das Ägerital als hofreiches Siedlungsgebiet mit drei kleinen, kirchenbestandenen Zentren namens «Dorf», «Wilen» und «Hauptsee» mit einer hablichen Bevölkerung, welche Viehzucht und -handel, Acker-, Obst- und Gartenwirtschaft, Fischerei, Vogelfang sowie Holz- und Sammelwirtschaft betrieb. Auch ländliches Handwerk und Heimarbeit gehörten zum dörflichen Leben.
Reise ins 17. und 18. Jahrhundert
Wie aus einer Kopie des Hofrechtes Ägeri von 1407 hervorgeht, gab es «offene» (= öffentliche) Strassen und Wege, deren Verlauf Schelbert detailliert beschrieb. Die Bevölkerungszahlen beziffert er für 1700 auf 800 für Ober- und 600 für Unterägeri, wovon hier ein Drittel unter 15 Jahre und gut die Hälfte zwischen 15 und 60 Lenze zählte. Das Bildungswesen lag in den Händen Geistlicher, welche Religionslehre, Lesen, Schreiben, Rechnen, Gesang und Musik unterrichteten. Eine unmittelbare Bedeutung für die Pfarreigründung weist Schelbert dem Priester Josef Nussbaumer mit seiner fruchtbaren Bildungs- und Kulturoffensive zu, woraus unter anderem ein Reservoir an Prälaten sprudelte. Neben religiösen Traditionen strukturierten politische Verpflichtungen mit Frühlings-, Martini- und Rechnungsgemeinden den Alltag im Jahresverlauf. Kirchgemeinden als solche existieren erst seit 1874, zuvor meinte dieser Begriff keinen spezifischen Gemeindetyp. Die Talgemeinde Ägeri mit fünf Räten aus Oberägeri und vier aus Unterägeri regelte die Beziehungen nach aussen und übte bis 1765 die Rechte über die Pfarrei Oberägeri aus.
Anforderungsreiche Gründung
Die für Unterägeri erfüllten Voraussetzungen für eine Pfarreigründung lauteten: Bestimmte Anzahl Pfarreiangehöriger, ausreichende Zahl Priester, zu grosse Distanz zur Mutterkirche, territoriale Grenzen. Eingehend schilderte Schelbert die Niederlagen von Unterägerer Kandidaten bei mehreren Pfarrwahlen zwischen 1668 und 1698 und die vernachlässigte seelsorgerische und schulische Betreuung Unterägeris. Auf den erbitterten Gegner der Abkurung, Jakob Billeter, folgte 1712 Pfarrer Wolfgang Hasler mit moderatem Ton, sodass 1714 die bischöfliche Kanzlei in einer sogenannten Finalsentenz den Grundsatzentscheid zu Gunsten einer eigenen Pfarrei Unterägeri fällte und er mit Wohlwollen die weiteren Schritte begleitete. Die in Konstanz mitwirkende wichtige und mit Pfarrer Bernhard Fliegauf befreundete Ägerer Persönlichkeit, Johann Kaspar Euster, bezeichnet Schelbert als den politischen Wegbereiter der Pfarreigründung. Euster wie Fliegaufs Vetter Sigmund Heinrich schöpften aus des Letzteren Vielseitigkeit als Grossbauer, Baumeister, Dorfchirurg, Gemeindeschreiber und Ratsherr sowie seiner wirtschaftlichen Potenz gewaltige Energien für ihren persönlichen Einsatz zu Gunsten der Eigenständigkeit Unterägeris. Heinrich beschaffte Bargeld und Kredite und leitete den Bau des 1714 fertig gestellten Pfarrhauses und der dank vieler Wohltäter und der Überwindung zahlreicher Widerstände aus Teilen der Bevölkerung mittels Übernahme der Kosten des Fundamentes seitens Heinrichs und jener für die Bauleute seitens Fliegaufs 1721 eingeweihten Pfarrkirche.
Sigmund Heinrich und Bernhard Fliegauf zeichnet Schelbert als entscheidende Figuren zur Pfarreigründung aus. Der Ägerer Bürger Fliegauf wuchs hierorts auf, studierte in Mailand und erhielt die Priesterweihe 1860 und die Primiz 1862 in Ägeri, wo er bei Pfarrwahlen unterlag. Um 1700 nahm anlässlich einer Pilgerreise nach Rom in Fliegaufs Denken die selbstständige Pfarrei erste Konturen an. In seinem Testament von 1710 stellte er 5000 Gulden für eine Pfarreipfrund in Aussicht, welche er aber bereits zu Lebzeiten grösstenteils selber alimentierte. Mittlerweile erfüllten sich die Konstanzer Bedingungen samt und sonders: Pfarrkirchen- und Pfarrhausbau, Gerätschaften, Unterhalt durch Gemeinde, Pfarrwahlrecht, Besuche der Mutterkirche. Doch – der Pfarrer selber kam und kam nicht! Erst vier Jahre nach der Kirchweihe bequemte er sich zur Übernahme «seiner» Pfarreipfrund! Nach segensreichem Wirken verstarb er 1739 – und blieb bis dato der einzige einheimische Pfarrer!
Für den historischen Verein des Kantons Zug: Jürg Johner