Sternenmathematik und Chomer-Lied

Musik

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Mit dem finnischen Organisten Tuomas Pyrhönen an der Orgel der Pfarrkirche St. Jakob in Cham endeten die diesjährigen 40. Internationalen Zuger Orgeltage.

  • Organist Tuomas Pyrhönen und Registrantin Verena Steffen in der Pfarrkirche Cham. (Bild Jan Pegoraro)
    Organist Tuomas Pyrhönen und Registrantin Verena Steffen in der Pfarrkirche Cham. (Bild Jan Pegoraro)

Cham – Keiner kann wohl kompetenter die jährlichen Zuger Orgeltage organisieren und orchestrieren als der in Zürich geborene, jahrelang als Geschichtslehrer an der hiesigen Kantonsschule tätige und als begehrter Organist rund um die Welt gekommene Olivier Eisenmann. Welchen Dom hat er wohl nicht bespielt, welche Orgelkoryphäe nicht kennen gelernt?

Und so konnten auch dieses Jahr an den verschiedenen Kirchenorgeln des Kantons neben berühmten Kostbarkeiten auch noch nie gehörte Kompositionen und Arrangements genossen werden. Die acht Anlässe hatten das Spiel von Musikerinnen und Musiker aus Deutschland, Italien, Polen, Österreich, Estland und USA zu Ohren gebracht. Den krönenden Abschluss aber machte Tuomas Pyrhöhen, einer der aktivsten Organisten Finnlands, in der Chamer Pfarrkirche St.Jakob.

Man ist sehr dankbar für ein derart sorgfältig konzipiertes Programmheft wie das, welches Eisenmann persönlich verfasst hatte – als Leitfaden für so hoch komplexe Musik wie J.S. Bachs Präludium und Fuge e-Moll BWV 548. Mit diesem Werk begann das Konzert.

Musik wie Mathematik

Es gilt als Gipfelpunkt des Bachschen Orgelschaffens und wird in der Musikwissenschaft mit Superlativen bedacht. Ja, man liest das: Das Präludium verflicht einen Hauptsatz und drei Seitensätze ineinander, vielschichtig, vier Stimmen in dichter Verwobenheit; aber um das zu hören, wird das Laienohr zu rasant vom Klangrausch fortgerissen. Es vermag zwar der dynamischen Fuge mit ihren aufwärtsrauschenden und abwärtsstürzenden Passagen zu folgen, erkennt die Bravour atemberaubender Sechzehntel-Virtuosität, begreift jedoch am Ende nur immer wieder, dass hier so etwas wie Mathematik am Werk ist.

Musik ist Mathematik – so wie die Harmonie der Sternenbewegungen Mathematik ist. Und Pyrhönen spielte das auch so, unkitschig registriert, persönlich zurückgenommen, ein Kanal für Bachs Sphärenmusik. Ins Unendliche und in alle Ewigkeit könnte sie so fortgesponnen werden.

Das zweite Bach-Werk, ein Choralvorspiel nach dem lutherischen Kirchenlied «Schmücke dich, o liebe Seele», erschien dann wie die kleine sanfte Schwester des vorangegangenen: Liedhaft, expressiv, eine Aufforderung zur Öffnung der Seele, mehr Stimmung, aber doch noch immer einfach reine Musik.

Dass Mendelssohn-Bartholdy der Schöpfer der romantischen Orgelsonate ist, beweist seine Sonate f-Moll, op. 65, Nr. 1 im ersten Satz sofort: Eigenwillig subjektiv wird ein bewegtes Hauptthema gegen einen abgeklärt-ruhigen Choral gesetzt – beide auf verschiedenen Manualen gespielt.

Ebenso eigenwillig, in sehr heutiger Art und Weise, wählte Pyrhönen die Registerfarben: warm-majestätisch, flötenhaft, drahtig-schnarrend. Dadurch entstanden spannungsvolle Kontraste, wurden die Stimmen erkennbar, die gleichsam miteinander redeten. Mit diesem dialogischen Prinzip distanzierte sich der Organist konsequent von der potenziell allzu gefühlshaften Romantik des Stücks.

Die Heimat in die Chamer Pfarrkirche geholt

Mit zwei finnischen Komponisten entführte Pyrhönen im dritten Teil das etwa 50-köpfige Publikum in seine Heimat. Elegia II, op. 9, Nr. 3 ist spätromantisch-impressionistische Trauermusik: Mit ihr beerdigte Aimo Känkänen 1986 seinen Freund, den Pfarrer Väinö Hovila, mit dem er lange in derselben Kirchengemeinde der südfinnischen Stadt Lahti zusammengearbeitet hatte. Ein Ton durchzieht das Stück, zu dem die Klangfolgen immer wieder zurückfinden, ein Anziehungs- und Ruhepunkt, von dem alles ausgeht und hochsteigt, zu dem am Ende alles niedersinkt. Religiöse Musik.

In der 1942 entstandenen fünfteiligen Choralpartita «Loblied auf den Sommer» von Sulo Salonen aber glaubte man sich als Zuhörende an einen der vielen finnischen Seen im melancholischen Licht des Mitsommers versetzt. Wieder fiel die metallisch-maskuline Nüchternheit der Registerwahl auf, sie verstärkte die nördliche Stimmung. Vom Sternenhimmel über romantische Brillanz und erdige Skandinavier zurück nach Cham: Zum Abschluss des Konzertes improvisierte Pyrhönen über das «Chomer-Lied». Und hier wurde es nun ganz persönlich: Die einfache Volksweise erfuhr tief-brummende und hüpfend-flötende Varianten, wurde rhythmisch aufgelöst in beinah clownesk flimmernde Abschnitte, verwandelte sich in Pedalen-Tremolos oder einen mutwillig-dämonischen Tanz, um schliesslich durch eine immer wieder modulierte mächtige Schlusssequenz von Akkordfolgen ganz kirchenmusikmässig ihr Ende zu finden.

Als das Publikum stehend klatschte, rannte Pyrhönen von der Empore nach unten vor den Altar, um sich tief zu verbeugen – das ist in Finnland so üblich. (Text von Dorotea Bitterli)