Gleichzeitig Abschluss und Neuanfang
Musik
Das Abo-Konzert der Sinfonietta in Zug und Cham brachte die Uraufführung von David Philip Hefti sowie zwei bekannte Werke von Jean Sibelius und Robert Schumann.
Zug – Sowohl Lion Gallusser (Zuger Sinfonietta) als auch Ute Haferburg (Casino Zug) freuten sich über den grossen Zuschaueraufmarsch am Samstagabend für das 4. Abo-Konzert «Im Fluss der Zeit». Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass auch der Vorverkauf für die neue Saison, welche am 27. September beginnt, sehr gut angelaufen ist.
Das stimmungsvolle Konzert liess verstehen, warum die meisten Abonnentinnen und Abonnenten der Zuger Sinfonietta und ihrem Dirigenten Daniel Huppert treu bleiben. Es brachte mit «Zerrissene Stille» eine Uraufführung von David Philip Hefti und nachfolgend zwei bekannte Werke: das Violinkonzert Opus 47 von Jean Sibelius mit der Hauptsolistin Liv Migdal sowie die dritte Sinfonie in Es-Dur, Opus 97, von Robert Schumann.
Eine Auftragskomposition
Die Uraufführung «Zerrissene Stille» des 1975 geborenen Schweizers David Philip Hefti wurde zu Recht an den Anfang des Programms gestellt. Die Auftragskomposition der Sinfonietta brachte eine für Ausführende und Publikum anspruchsvolle Klangsprache im Grenzbereich zwischen Expressionismus und Atonalität. Wie der Komponist auch im Begleittext betonte, suchte und fand er einen klaren Bezug zu den Spielmöglichkeiten, insbesondere der Bläser.
Der Titel wurde vor allem durch einen plötzlichen Fortissimo-Einbruch nach der eher flächigen Einleitung gerechtfertigt. Die in der Konzerteinführung betonten Anspielungen an das spätere Programm und an den Auftraggeber tauchten punktuell immer wieder auf, etwa mit dem einleitenden d-Moll-Akkord, welcher den Auftakt zum Violinkonzert vorausnahm. Die choralartige Passage wiederholte sich stimmungsmässig später im vierten Satz der Schumann-Sinfonie.
Bei der Uraufführung bot das einzige Violinkonzert von Jean Sibelius (Opus 47 in d-Moll) gewaltige spieltechnische und organisatorische Probleme, die es für rund 20 Jahre wieder in den Archiven verschwinden liessen. All dies galt aber für die Zuger Aufführung nicht. Mit Liv Migdal stand eine ausgezeichnete Solistin vor dem Orchester. Der Komponist hatte die Weisheit, den Orchesterpart trotz vielfältiger Klangfarben fast immer so zu gestalten, dass die Solistin auch ohne Forcieren stets gut hörbar blieb und sie sich voll auf die vor allem in den Ecksätzen sehr hohen spieltechnischen Herausforderungen einstellen konnte. Daneben erschien der Mittelsatz homofoner, und der Dirigent betonte viel stärker den Gesamtklang. Als Zugabe spielte Liv Migdal ein Solostück des deutsch-israelischen Komponisten Paul Ben-Haim (1897–1984) – im Gedenken an einen jungen Musikerkollegen, welcher kürzlich entführt worden ist.
Die zweite Konzerthälfte umfasste die dritte Sinfonie in Es-Dur von Robert Schumann. Diese entstand 1849/50 in seiner letzten voll produktiven Schaffensphase. Als neugewählter Musikdirektor in Düsseldorf huldigte er mit ihr seiner neuen Heimat; darum wurde sie von der Nachwelt – nicht vom Komponisten selbst – als die «Rheinische» Sinfonie bezeichnet.
Vorfreude ist angezeigt
Die heitere Grundstimmung entstammt der Vorfreude auf die zukünftige Anstellung. Die von einigen Musikwissenschaftlern kritisierte Parallelführung der Stimmen sollte sich bei späteren Werken – insbesondere für die Neubearbeitung der 4. Sinfonie – noch verstärken. In der Sinfonietta-Aufführung mit einer gegenüber dem voll romantischen Orchester deutlich reduzierten Streicherbesetzung wirkte sie aber angemessen. Einzelheiten kann man durchaus als Symptome auf die bevorstehende tragische Entwicklung Schumanns deuten. Die Fröhlichkeit wird plötzlich durch den choralartigen Posaunenklang unterbrochen, was durch die vorher lange pausierenden Stimmen sehr prägnant und wirkungsvoll zur Geltung kam.
Der Gesamteindruck blieb beim kräftig applaudierenden Publikum haften: Auch mit zahlenmässig reduzierter Besetzung gelingt die vollgültige Interpretation einer Schumann-Sinfonie. Gerade die dritte wirkt auf diese Weise sogar noch eine Spur überzeugender. (Text: Jürg Röthlisberger)