Neue Farben fürs Chamäleon

Musik

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Madeleine Nussbaumer liebt Kammermusik. So sehr, dass sie sich jedes Jahr auf die Suche macht – nach neuen Stücken und versteckten Konzertorten.

  • Ensemble Chamäleon bei der Probe. Bild: Philippe Hubler
    Ensemble Chamäleon bei der Probe. Bild: Philippe Hubler
Cham – Dieser Artikel ist in der März-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Zwei Flügel stehen in Madeleine Nussbaumers Wohnzimmer, direkt nebeneinander, als würden sie gleich zusammen abheben. Wie dazu
gemacht, jederzeit spontan in Musik münden zu können – und zwar in gemeinsamer Musik. Madeleine Nussbaumer ist Pianistin und die Gründerin des Kammermusik-Ensembles Chamäleon und des Kammermusikfestivals Sommerklänge.
Das Ensemble Chamäleon gibt’s nun schon seit 30, das Festival seit bald 20 Jahren. Angefangen hat es hier, im Haus der Chamer Pianistin, bei Proben mit befreundeten Musikern für ein Neujahrskonzert in der Chamer Villette. «So ist das ja oft in der Kammermusik: Man spielt zusammen und stellt fest, dass es gut passt.» Und es hat sehr gut gepasst: Im April 1990 stellten Nussbaumer und das frisch gegründete Trio das erste Konzert auf die Beine.

Nussbaumer ist quasi die Leitfigur der Kammermusik im Kanton Zug. Oder besser: die perso­nifizierte Begeisterung für Kammermusik. Begeisterung für diese Form der Musik, bei der Pub­likum und Musiker in grosser Nähe etwas Flüchtiges teilen, einen Moment des Berührt- Werdens, der fragilen Interaktion. «Es ist einfach etwas Wunderbares», sagt sie. «Was gibt es Schöneres, als Kammermusik zu spielen?» An der Musikhochschule werde einem zwar der Solo­abend als das grosse Ziel eingetrichtert – quasi der musikalische Monolog.
«Aber ein Werk nur im stillen Kämmerchen vorzubereiten und dann alleine zu spielen, das hat mich nie so stark begeistert wie die Kammermusik.» Kammermusik heisst: mit Musikern interagieren, die ihre eigene Interpretation des Werks mitbringen. «In der Kammermusik muss man aufeinander hören, muss wissen, wann man führen und wann man sich zurücknehmen muss. Es ist sehr intim und sehr direkt», sagt Nussbaumer. Und das Publikum sitzt schon fast mit auf der Bühne, so nahe ist alles. Es ist, als würde das Publikum mitmusizieren, als wäre ein Kammermusikkonzert etwas, das Musiker und Publikum gemeinsam schaffen. «Das Publikum ist Teil davon», sagt Nussbaumer. «Die Musik muss keinen Graben überwinden.»

Das Publikum reagiert direkt auf das, was die Musiker spielen: Da wird auch mal geweint, es gibt Berührung. «Wir hören immer wieder von Menschen, die zum ersten Mal bei uns im Konzert Kammermusik hören: Das hätten sie nicht gedacht, dass das so nahe gehen kann.» Um genau diese Nähe geht es. Man hört das Atmen der Musiker, das Geräusch des Bogenstrichs auf den Saiten, die spürbare Verwebung einzelner Stimmen zu etwas, das grösser ist als seine Bestandteile. Nussbaumers Faszination ist spürbar. Und war die letzten 30 Jahre spürbar. An der Wand neben dem Cheminée stapeln sich die Schallplatten: Klassiker der Kammermusik. Aber noch lange nicht so vollständig wie das Repertoire, das sich Nussbaumer angeeignet hat: «Wir haben über 200 Werke gespielt in den letzten 30 Jahren», sagt Nussbaumer. «Wer uns also über die Jahre ein bisschen verfolgt hat, konnte hier in Zug einen grossen Teil der wunderbarsten Kammermusikwerke der Welt hören.»

Neue Farbe einladen
Das Trio hat sich über die Jahre stetig gewandelt, auch aktiv: Immer wieder haben Nussbaumer, Tobias Steymans (Violine) und Luzius Gartmann (Violoncello) Gäste dazugeholt. Der Name, der damals 1990 fürs erste Konzert recht schnell hermusste, ist zum Programm geworden: Chamäleon. «Die Farben haben wir eingeladen: Bläser, einen weiteren Streicher, Gesang. Je nach Werk konnten wir so ganz anders klingen.» Nur die drei Kernmusiker sind geblieben, mehr oder weniger. Gartmann ist seit 1992 dabei, also fast von Anfang an. Steymans ist 2004 dazugestossen. «2009 dachten wir, wir hätten ihn verloren: Da hat er eine Stelle als Konzertmeister im welt­berühmten Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München angetreten. Aber er ist uns treu geblieben», sagt Nussbaumer und lacht. «Nun fährt er jeweils für die Proben und Konzerte hierher.»

Es ist eine logistische Leistung, ein Projekt wie das Ensemble immer wieder zusammenzubringen. Auch für die Finanzierung immer wieder zu sorgen. Das braucht Durchhaltevermögen. «Das ist sicher meine Stärke», sagt Nussbaumer. Das und die Neugierde auf Neues. «Ich verbringe
viel Zeit damit, nach neuen Werken Ausschau zu halten. Wir wollen nicht nur quasi die Schlager der Kammermusik spielen – aber auch.»
Fürs Jubiläumskonzert etwa haben sich die drei das «Dumky-Trio» von Antonín Dvořák vorgenommen – «das ist wunderbar, aber das spielen alle Ensembles auf der Welt.» Daneben gibt es aber auch ein Frühwerk von Claude Debussy: «Ein Stück, das er mit 17 Jahren geschrieben hat. Das muss man sich mal vorstellen, das ist so, wie wenn heute ein Kantischüler musikalische Weltliteratur schreiben würde.» Dazu ein Werk von Jean Françaix. «Der Komponist war 76, als er dieses Werk geschrieben hat. Und trotzdem sprüht es vor jugendlicher Leichtigkeit», sagt Nussbaumer. «Das wollen wir: nicht nur das zeigen, was die Leute schon kennen, aber auch. Und daneben etwas Neues, etwas, das sie entdecken können.»

Lust auf Neues
Diese Lust auf Entdeckungen, die zieht sich auch durch Nussbaumers zweites Werk: das Kammermusikfestival Sommerklänge. Dieses Jahr wird es zwanzig Jahre alt. Und immer noch funktioniert die Idee wie zu Beginn: Das Festival lädt seine Gäste in Räume, die alles andere sind als Konzertsäle. Und gerade deshalb entsteht eine Stimmung, die der Musik noch mehr Raum gibt, als ein Konzertsaal das wohl könnte. Woher kommt diese Neugierde und die Lust auf Neues? «Na, ich war damals auf der Suche nach einem Kammermusiksaal, und habe immer wieder gehofft, dass die Stadt einen solchen Saal bauen würde. Das ist nie geschehen.»
Aus der Not wurde eine Tugend. Und Nussbaumer hat ihren Konzertsaal immer wieder gefunden. Mal in einem Raum in der ehemaligen Fabrik von Orris Speisefett. Mal in einem Produktionsraum der V-Zug. Auf einem Bauernhof. In einer alten Scheune. «Diesmal haben wir uns einen Traum erfüllt», sagt Nussbaumer. «Eines der Konzerte spielt auf der Wiese bei der Mündung der alten Lorze. Das wollten wir schon lange mal versuchen.»

(Text: Falco Meyer)