Orgel-Virtuosität mit Bach-Werken

Musik

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Zuger Orgeltage: Der international bekannte Organist Mario Verdicchio ersetzte in der Kirche Oberwil die verhinderte Gail Archer. Der Italiener wählte ein besonderes Schwerpunktprogramm.

  • Mario Verdicchio an der Orgel in der Kirche Bruder Klaus. (Bild Matthias Jurt)
    Mario Verdicchio an der Orgel in der Kirche Bruder Klaus. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Die Leute durch Abschrankungen verteilt in der Kirche Bruder Klaus Oberwil, fast alle wortkarg und mit Maske, aber immerhin: Das «Ersatzkonzert» der Zuger Orgeltage fand statt – mit Mario Verdicchio an Stelle von Gail Archer, die aus gegebenem Anlass nicht aus den USA anreisen konnte. Schon die Programm-Auswahl des seit Jahrzehnten aktiven Orgelvirtuosen bestätigte seine Vorliebe für Johann Sebastian Bach.

Bach ist der Anfang und ist das Ende – dies wird Verdicchio gedacht haben; so eröffnete das Präludium Es-Dur BWV 552 das Konzert, und die Fuge mit der gleichen Werknummer bildete den Schluss. Schon der allererste Einsatz zeigte Verdicchios Vorliebe für kräftige Registerkombinationen und beschwingte Tempi. Rechtzeitig, das heisst mit dem Erscheinen des ersten Seitenthemas, folgten aber kontrastierende Wechsel in der Klangfarbe, und das zweite Seitenthema erhielt auch die notwendige innere Ruhe. Die sowohl im Präludium wie in der Fuge an verschiedenen Stellen hörbare Dreizahl war nicht ein musikalischer Zufall. Vielmehr betonte der streng kirchengläubige Protestant damit immer wieder die Heilige Dreieinigkeit. Dass die Gesamtform trotzdem nicht konstruiert erscheint, sondern in tiefer musikalischer Empfindung mündet, ist eines der Geheimnisse, das Bach seinen Schülern und Nachfahren nicht mitgeben konnte.

Drei Instrumente werden zu einem

Ähnliche Überlegungen gelten wohl auch für die Triosonate BWV 530. Die ursprünglich drei Instrumente sind auf der Orgel zu einem einzigen verschmolzen. Was aber geblieben ist, sind drei nach Tonqualität deutlich unterscheidbare Melodiestimmen, ausgeführt durch unterschiedliche Registrierung in den beiden gleichzeitig gespielten Manualen und dem Pedal. Gerade die Selbstständigkeit der Mittelstimme erschien hier sehr wichtig. Darum hat wohl Bach auf die damals üblichen Füll-Akkorde nach Generalbass-Manier verzichtet.

Ob man das nachfolgende Werk, das Concerto a-Moll, als RV 522 Antonio Vivaldi zuschreiben soll oder als BWV 593 Johann Sebastian Bach, ist Ermessenssache. In der Bearbeitung liess Bach die Vivaldi-Thematik und ihre Durchführung gegenüber dem Original fast unverändert. Nur der zweite Satz entfernte sich mit weit mensurierter Registrierung sehr deutlich vom Klangcharakter der Streicher, und er erhielt so einen wesentlich veränderten Stimmungsgehalt. Während zwei Sätze beim Publikum einen abgerundeten Eindruck hinterliessen, erschwerte das sehr schnelle Tempo im ersten Satz den Nachvollzug. Ans Limit gelangte trotz gutem technischen Zustand die Mechanik des Orgelwerks. Auch die beste Traktur erreicht bei schnellen Figurationen nicht die Eleganz der Violin-Solisten im Original.

Auch mit Medelssohn bleibt Verdicchio bei Bach

Die Sonate Opus 65 von Felix Mendelssohn brachte nochmals einen Bach-Bezug. Mendelsohn hat viele Bach-Werke nicht nur gekannt, sondern auch als ausführender Interpret nachvollzogen. Besonders in seinen grossen Oratorien übernahm er mit der Abfolge von Rezitativen, Turba-Chören, Arien und Chorälen oft auch die Eigenheiten der Bach-Gesamtform. Daneben zeigte er aber gerade in der B-Dur-Sonate genügend musikalische Eigenständigkeit weit über das Epigonentum hinaus. Der als Zugabe gebrachte weitere Satz reichte mit seiner freien Tonalität schon in den Bereich späterer Zeitepochen.

Mario Verdicchio vermied den direkten Kontakt mit dem Publikum; selbst für die Entgegennahme des Schlussapplauses blieb er auf der Empore. In der aktuellen Krisensituation ist es leider ungewiss, was in welcher Form von den weiteren Konzerten der Zuger Orgeltage am 8. und 15. November realisiert werden kann. (Jürg Röthlisberger)