«Zuerst bin ich Rapper»

Musik

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Er hat die Geduld für 1500 Papier­schiffchen. So viel Fleiss, Liebe, und ­Detailversessenheit steckt der Zuger Rapper Chandro in seine Musik.

  • Chandro ist noch hungrig auf neue Musik. Deshalb das neue Album. (Bild: zvg)
    Chandro ist noch hungrig auf neue Musik. Deshalb das neue Album. (Bild: zvg)
Zug –
Dieser Artikel ist in der Januar/Februar-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.

Nicolas Bisig hat rund 1500 Papierschiffchen ­gefaltet, selbst und von Hand an langen Abenden über Wochen. Nicht unbedingt die erste Kopfkino-Szene bei einem Rapper, der Lines schrieb wie: «Ich bin de Gockel im Stall, pass uf d Hüehner uf.»
Aber Nicolas Bisig mit Künstlernamen Chandro, der eine Teil aus dem Baarer Rap-Duo Fratelli-B, er wollte für seine erste Soloplatte etwas Spezielles. Simon den Otter, sein Manager meint: «Das ist irgendwie typisch, er hat eine unglaubliche Detailversessenheit», der Style müsse stimmen, immer! Also faltete Chandro über eintausend Papierbögen zu Schiffchen, steckte sie in Couverts, gedacht als Beilage zu den CDs. Dann ging das ganze weg, nach Tschechien, wo die CDs gepresst werden sollten.

Kellerkinder
Chandro Mundart-Rap-Szene-Bestandteil, seit 15 Jahren rappt er in verschiedenen Formationen. Meist als Fratelli-B zusammen mit seinem Bruder, Künstlernamen Flap, oft mit C.mEE, Phumaso und Smack und Bandit als Möchtegang. Angefangen hat alles in einem Keller in Baar. Die beiden Fratellis hätten eigentlich mit je anderen Partnern angefangen zu rappen, erzählt Flap. Sie besorgten sich ein Mikrofon und zwei Boxen und verwandelten den Keller der Eltern in eine Open-Mic-Bühne mit 24 Stunden Öffnungszeiten. Während andere Musiker eine halbe Stunde pro Tag probten, verbrachten Flap und Chandro einen Grossteil ihrer Jugend im Keller. Irgendwann war es ganz logisch, dass sie auch zu zweit auf die Bühne gehören. 2005 ­nahmen sie in Zürich eine erste EP auf, wurden besser, und landeten mit ihren letzten beiden ­Alben, 2015 und 2017, je auf Platz 3 der Schweizer Albumcharts. Das Album «Campione» der Möchtegang landete sogar auf Platz 2.
«Wir hatten bei Fratelli-B immer einen sehr ­klaren Plan, wie es weitergeht», sagt Chandro, «aber nach dem letzten Album war klar, dass Flap das nicht mehr so durchziehen will.»
Und auch die Künstler der Möchtegang hatten in den letzten Jahren andere Projekte, oder gleich ganz andere Prioritäten in ihrem Leben gesetzt. Aber Chandro «hat noch Hunger», wie er auf dem ­Album rappt. «Ich will nicht in den Tennisclub!», sagt er.

Papastress
 «Wenn ich mich im Spiegel anschaue, dann bin ich erst Rapper und erst viel später Lehrer. Es gibt nichts anderes, was mich so glücklich macht.» Viele würden aufhören, wenn sie Eltern werden. Bei ihm ist es eher das Gegenteil. Seit er Papa ist, muss er sich viel mehr überlegen, ­wofür er sich Zeit nehmen will. Für ihn war es klar: Musik. Und aus der Zeit, zwischen Papasein und Job, entstand das Album «Robin».  
In Tschechien am Zoll verschwanden die Schiffchen. Chandro sei sehr gefasst gewesen als er am Telefon davon erzählte, sagt Chandros Manager Simon den Otter. «Gefasster als ich jedenfalls – wahrscheinlich hatte er sich zuvor schon ­abreagiert», lacht er.

Montagslandung
Chandro ist in Zug ein berüchtigter Tischfussball-Gegner. Er spielt meist vorne, wer hinten mitspielt ist beinahe egal. Der Zuger Rapper Weibello weiss: «Wenn man mit Chandro im Team ist, kann man den ganzen Abend gratis spielen, die Verlierer bezahlen ja immer für den Ball.»
Weibello begleitete Fratelli-B eine Zeit lang auf ihrer Tour, manchmal sprang er als Tourbus­fahrer ein. Oft mussten sie auf dem Hirzel eine Pause machen, weil sich Kurven und Alkohol in Mägen von Crewmitgliedern nur sehr schlecht vertragen. Sogar eine Strichliste führte jemand ein, weil die regelmässigen 30-Minuten-Stopps doch etwas nervten. Aber wegen Chandro mussten sie nie anhalten.
«Wir haben früh gemerkt, dass es uns guttut, nach dem Höhenflug von Konzert und Party am Wochenende am Montag wieder arbeiten zu ­gehen», sagt Flap. Deshalb wollten beide auch nie von der Musik leben. «Aber ich fiel vermutlich jeden Montag ein paar Meter tiefer auf den Boden der Realität zurück als Chandro.»

Nomenreime
«Chandro ist ein Handwerker», sagt Flap. Ihm sei die Rhythmik extrem wichtig, die Reime, «selbst die Silben müssen mit ihren Hochs und Tiefs in den Beat passen, die Reime sind meist drei oder viersilbig», sagt Flap. Chandro sei verliebt in die Technik.
«Er ist da schon ein bisschen ein Freak», sagt auch Weibello. «Chandro macht Rap-Hausaufgaben: Wenn er jemanden hört, der technisch besser ist als er, dann setzt er sich hin und übt, bis er wenigstens ähnlich gut ist.» Es gäbe wohl wenige Rapper in der Schweiz, die mit Chandro mithalten können, bezogen auf eine technische Disziplin, die ihm wichtig sei, meint Flap.
Aber einmal, nach einem Konzert im Berner Dachstock, erinnert sich Weibello, da habe ihn Chandro zu einem Freestyle Battle herausge­fordert. «Er war so betrunken, dass er ‹Geil› auf ‹Style› reimte. Ich weiss nicht, ob er heute zugeben würde, dass er da verloren hat.»
«Ich finde krass, wie Chandro Dinge zu Ende denkt», sagt er. «Er hat eine Idee – und dann zieht er sie durch. Und zwar genau so, wie er sich das vorstellt.» Für einen Clip recherchierte Chandro ein Wildwest-Dorf in Deutschland – und fand die passende Kirche für die zweite Clip­hälfte leider in Italien. Also ging’s erst nach Deutschland, dann nach Italien.
Bei einem Konzert in Uri zockte Chandro einen ganzen Saal voller Fratelli-B-Fans ab: Er kün­dete auf der Bühne an, dass er und Flap alle im Publikum nachher beim Tischfussball herausfordern. Alle, die gewinnen, bekommen ein Fratelli-B-Cap beim Merchandise-Stand geschenkt. Alle, die verlieren, müssen es sich selber kaufen. Die armen Urner unterschätzten Chandros Tischfussball-Talent. «Halb Altdorf trug Fra­telli-B-Caps an dem Abend», erinnert sich ­Simon den Otter.

Sudokusound
Auf dem Album «Robin» haben teilweise Produzenten Beats beigesteuert, die auch für die ganz grossen Beats geliefert haben: Sido, Capital Bra, Jay-Z. «Dank Kontakten, die über Jahre ­gewachsen sind», sagt Chandro, sei das möglich gewesen.
Wenn er einen Text schreibt, dann fängt er oft ohne Worte an. Er macht Schlagzeuggeräusche und zählt die Takte durch, probiert aus, wie sich die Silben anfühlen müssen, damit sie sich in der richtigen Rhythmik, mit den richtigen Klängen in den Beat einschmiegen.
Manchmal, da gibt es Themen, wie der Song «Papitag» auf dem neuen Album, bei denen Chandro etwas sagen will. Aber manchmal steht auch nur ein Wort am Anfang eines Textes. Oder ein Geräusch, ein Vibe: Beim Song «Sidekick» da seien als erstes solche tiefgezogenen Summ­laute am Anfang gestanden. Und dann recherchiert er neue Wörter, dreht und zwirbelt an den Sätzen bis jede Silbe passt. «Das ist manchmal vielleicht wie Sudokus lösen.» Manchmal ­bekommt Chandro Nachrichten von Menschen aus Deutschland, oder noch unwahrscheinlicher: Kuba, die natürlich die Texte nicht verstehen, aber lieben, wie es klingt.

Fussmarschmusik
Die CDs aus Tschechien blieben am Schweizer Zoll nochmals hängen. Es sah eher unwahrscheinlich aus, dass die CDs rechtzeitig auf das ursprüngliche Datum im Handel sein werden. Aber damit wenigstens einige CDs bei der ­Albumtaufe zu kaufen sein werden, setzte sich Chandro in den Zug und fuhr mit Bus und Bahn ins Winterthurer Industriegebiet. Die letzten beiden Kilometer zu Fuss. Dort holte er zwei ­Migros-Säcke voller frisch gepresster CDs ab und fuhr wieder zurück. Alle bekamen ihr ­Album rechtzeitig.


(Text: Lionel Hausheer)