«Gute Kunst würde Unfälle provozieren»

Kunst & Baukultur

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Mit dem Chamer Bildhauer Daniel Züsli (37) geht es vom Ennetsee über die Berggemeinden bis nach Walchwil. Das Ziel lautet, sämtliche Kreisel im Kanton zu begutachten. Die Reise zeigt: Kreisel werden oft völlig zu Unrecht übersehen – und manche sind gar nicht rund.

Cham – Die Kreiselkunst bildet ein eigenes Genre. Sie ist umstritten, zumal sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Ablenkung im Strassenverkehr stellt. Im Kanton Zug ist man eher zurückhaltend mit der Gestaltung der Rondelle durch Künstler.

Das gefällt dem Chamer Bildhauer Daniel Züsli (Bild). Der 37-Jährige ist im Allgemeinen kein Anhänger von Kreiselkunst. «Autofahrer sind kein qualitatives Kunstpublikum. Es fehlt ihnen die Zeit für die Auseinandersetzung mit einem Werk», erklärt er. «Ausserdem würde gute Kunst Unfälle provozieren.» Dennoch hat er sich bereit erklärt, im Auftrag unserer Zeitung sämtliche 36 Kreisel einer (nicht immer bierernst gemeinten) gestalterischen Begutachtung zu unterziehen. Vorweggenommen sei die Erkenntnis, die nach der Kreiseltour in Züsli gereift ist: «Die Kunst wird Kreisel nicht retten – und Kreisel wohl auch nicht jede Form von Kunst.»

Die Hecke vor lauter Hecken nicht sehen

Hecken sind ein beliebtes Kreisel-Gestaltungsmittel. Aber bei der Umsetzung gibt es höchst unterschiedliche Ansätze. Zwischen Holzhäusern und Rotkreuz etwa setzt man auf eine lichte Bepflanzung mit Durchblick zwischen den Hecken je nach Blickrichtung. Daniel Züsli urteilt anerkennend: «Spannende Sichtachsen, gestalterisch toll!» Auf eine ganz andere Taktik setzen besonders Steinhauser Kreiselgestalter: Dicht ist Pflicht. «Das ist wenig interessant anzusehen, aber vielleicht eine gärtnerisch grosse Leistung», sagt Züsli. Im Rondell an der Knonauer- und Industriestrasse erkennt er eine Torte mit Kerze in Form eines Baums. «Wenn der Kreisel Geburtstag hat, kommt vielleicht ein weiter Baum dazu.»

Friedhöfe für Skulpturen

An der Zuger Nordstrasse befindet sich der Kreisel mit der Schwingerlogo-Skulptur, die hinsichtlich des Eidgenössischen Schwingfests 2019 in Zug geschaffen wurde. Züsli ist nicht angetan von dieser Lösung: «Diese Logo-Skulptur ist nicht für einen Kreisel konzipiert, das erkennt man sofort. Sie hätte einen besseren Platz verdient.»

Vor eine grosse Herausforderung stellt ihn die Figur im «Bossard-Kreisel» beim gleichnamigen Schraubenhersteller in Zug. Der verwitterte Kunststoff verleiht ihr einen tristen Eindruck. «Bei Chromstahl würde das ganz anders wirken», sagt Daniel Züsli. Dennoch beginnt ihn das Werk – es soll das Ende eines Schraubgewindes darstellen, das durch die Erde bricht – bei der Betrachtung von verschiedenen Seiten zu interes­sieren. «Es ist eine komplexe geometrische Form. Sie bietet einen Anreiz, um den Kreisel zu fahren und die Figur von allen Seiten zu betrachten.»

Kreisförmiger Willkommensgruss

Stehen Kreisel an einem Ortseingang, können sie eine Begrüssungsfunktion wahrnehmen. So etwa in Unterägeri, wo eine Stele den Ortsnamen buchstabiert. «Eine solche Stelle für Standortmarketing zu nutzen, ist legitim. Es ist jedenfalls ehrlicher, als einfach eine oder mehrere Hecken darauf zu pflanzen», sagt Züsli. Er fragt sich allerdings beim Anblick der Blumenrabatten: «Braucht es diese Steinsärge?»

Auch die Gemeinde Risch setzt auf Willkommenskreisel mittels Stelen-Einsatzes, namentlich in Holzhäusern und in Rotkreuz. Ersterer zeichnet sich zudem durch seine besondere Form aus. «Eine Nierenschale, ganz klar», erkennt Züsli darin. Tatsächlich ist dieses vermeintliche Rondell eiförmig – das beflügelt den Künstler. «Ein unrunder Kreisel: ganz toll!»

Der Lindenkreisel in Rotkreuz ist der am aufwendigsten gestaltete im Kanton Zug, Züsli bezeichnet ihn als «Statussymbol». Die charakteristischen «Hecken-Schiffe» sind nicht nur auf dem Kreisel, sondern auch auf den Trottoirs in dessen Umgebung platziert, die Gestaltung bezieht also die Umgebung ein. «Der eigentliche Kreisel verschwindet darin, eine gelungene Idee», findet Züsli.

Steinhausen verfügt, gemessen an seiner Fläche, über die höchste Kreiseldichte im Kanton. Jeder sechste steht in dieser Ortschaft. Darunter findet sich der lustigste: in der Albis- und Schulhausstrasse. «Da hat jemand seinen Helm vergessen», kommentiert Daniel Züsli die gelbfarbene Installation in der Mitte. Eingebettet in ein Idyll aus Gebäuden, Löwenzahnwiesen und einem Hochspannungs­leitungsmast, ist diese kleine Rondell eine extrarunde Sache. Und ein Ort, der sich laut Züsli für Kunst eignen würde.

Apropos: Der Künstler hat zwei Sehnsuchtskreisel. Diese befinden sich unweit seines Ateliers in Lindencham, vor und nach der Autobahnbrücke. Einer zeichnet sich durch eine karge Vegetation aus, der andere durch eine üppige. «Von 1800 Metern über Meer ins Tal», kommt es Züsli vor, auf dem zweiten Kreisel blühe sogar ein Apfelbaum. Die Affinität des Bildhauers dazu hängt auch mit einer besonderen Idee zusammen: «Für Ateliers für Kunstschaffende fehlt im Kanton Zug bekanntlich der Platz. Warum also nicht auf Kreiseln?» (Text von Raphael Biermayr)