Gender-Grenzen aufbrechen

Theater & Tanz

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Im zehnten Jahr ihres Bestehens präsentiert die Zentralschweizer Nachwuchsplattform «Tankstelle Bühne» drei
Bühnenprojekte aus den Sparten Theater, Tanz und Performance – auch im Burgbachkeller.

  • Benjamin Heller und Stephan Q. Eberhard waren Teil der «Tankstelle Bühne» im Burgbachkeller. (Bild Jan Pegoraro)
    Benjamin Heller und Stephan Q. Eberhard waren Teil der «Tankstelle Bühne» im Burgbachkeller. (Bild Jan Pegoraro)
Zug – Neben der Kasse des Burgbachkellers prangt ein Hinweis mit einer Warnung: «Auf der Bühne wird mit einem Gewehr geschossen, ohne Munition.» Er verspricht Sprengkraft für die angesagten 90 Minuten, in denen drei junge Theaterkollektive ihre Produktionen zeigen werden. Und so füllt sich das Foyer am Samstagabend vor allem mit vielen jungen Theateraffinen.
«Tankstelle Bühne» entstand als gemeinsames Projekt von Kleintheater Luzern und Südpol und bekam 2013 durch die Masterarbeit von Judith Rohrbach seine aktuelle Ausrichtung: Jährlich wird die Entwicklung von drei ausgewählten Theaterprojekten unterstützt; die Aufführungen der Kurzstücke sollen die Zentralschweizer Kulturlandschaft bereichern und frischen Wind auf die Bühnen bringen.
Seit 2019 wird der Verein von allen Zentralschweizer Kantonen mitfinanziert. In den letzten drei Jahren erweiterte sich die Partnerschaft um das Chäslager Stans, das Theater Uri und den Burgbachkeller.

Skurril und zart
Der Theaterabend beginnt auf einer schwarzen Bühne voller skurriler Dinge, die auf Ständern befestigt sind: Fotos, Briefe, ein Tagebuch und ein Taschentuch, eine Pendeluhr vielleicht aus dem 19. Jahrhundert; darüber schwebt so etwas wie ein riesiger, grünblau schimmernder Eisvogel. Die stampfende Anfangsmusik vergeht und Stimmen aus dem Off begleiten zwei junge Männer, die sich vor das Publikum stellen, die Augen schliessen und zu sprechen beginnen, auf Schweizerdeutsch (Benjamin Heller) und auf Hochdeutsch (Stephan Q. Eberhard).
Plötzlich wird es ganz still, die Worte tasten nach alten Erinnerungen an die verstorbenen Grosseltern und deren lebenslanger Liebe, während Hildegard Knef im Hintergrund ihren berühmten Hit «Für mich soll’s rote Rosen regnen» singt.
Die «Dinge, die bleiben», so heisst das Kurzstück, schaffen pingpongartig neue Räume – vergangene, innere Räume, die jedoch Teil heutiger Biografien sind, der Enkel und Urenkel. Ein zartes Stück seelischer Genetik, in welchem am Ende auch nicht mehr klar ist, wer Mann, wer Frau und ob das überhaupt wichtig ist.

Humor gegen Gewalt
Das Spiel mit der Gender-Thematik wird im zweiten Stück des Abends, einem Solo, todernst: Die indische Schauspielerin und Trans-Aktivistin Living Smile Vidya erzählt von ihrem patriarchalen Stammbaum, der zur «unberührbaren» Kaste gehört und in dessen Linie der Vater den sozialen Aufstieg des endlich geborenen Sohnes plant. Als dieser sich als Frau outet, das Geld für die Geschlechtsumwandlung zusammenbettelt und die «gefährliche, qualvolle Tortur der Kastration» als Befreiung erlebt, zerbricht eine alte Welt.
Dafür rächt sie sich: «Introducing Living Smile Vidya» wird auf der Bühne zwar zu einem goldig-blauen Schmetterlingstanz voller Freude und Humor, aber der radikalisierte Hindu-Faschismus zwingt schliesslich zur Flucht in die Schweiz. Der erworbene weibliche Körper ist das Zentrum der Performance, er wird in seiner Fülle hemmungslos gefeiert; das Gewaltpotenzial der Hassreaktionen, die er hervorruft, dokumentiert eine daneben hängende Leinwand.

Die Stücke werden weiterhin zu sehen sein
Auch das dritte Stück, «Fötzeliräge» des Kollektivs «schwestern» (Emma Hütt, Miriam von Kutzleben, Tina Muffler, Ricarda Hillermann, Anna Schill, Lucas Guigonis), nimmt eine patriarchale Tradition aufs Korn – die Fasnachtszünfte. Drei Maskierte hängen herum und lallen besoffen vor sich hin, bis einer grünen Plastikmasse ein junger Männerkörper entsteigt, der einen lasziven Striptease hinlegt.
Ob alt, ob jung, an der Fasnacht darf man alles, aber plötzlich hat die Strippenzieherin namens Brigitte genug, greift zum Gewehr und erschiesst alle Larven: «Nach sechs Tagen ist alles vorbei und ich bin froh drum. So, wir ziehen weiter.»
Die drei jungen Theaterstücke ziehen, nach begeistertem Applaus, weiter und werden noch zweimal zu sehen sein: im Theater Uri und im Chäslager Stans. (Text von Dorotea Bitterli)

Hinweis Weitere Infos zu den Aufführungen 2023 der «Tankstelle Bühne» finden Sie unter www.tankstellebuehne.ch.