Kleines Format, keine kleine Kunst

Kunst & Baukultur

,

Die Kunstwerkstatt an der Lorze, getragen vom Verein Kubeïs, feiert 2023 ihr 10-jähriges Bestehen und beginnt den Fest-Reigen mit einer dreiwöchigen Ausstellung im Kunstkubus Cham.

  • 10 Jahre Kubeïs: Ausstellung «darüber hinaus – Kunst im Kleinformat» im Kunstkubus Cham. Andrea Röthlin leitet zusammen mit Lukas Meyer die Kunstwerkstatt. (Bild Matthias Jurt)
    10 Jahre Kubeïs: Ausstellung «darüber hinaus – Kunst im Kleinformat» im Kunstkubus Cham. Andrea Röthlin leitet zusammen mit Lukas Meyer die Kunstwerkstatt. (Bild Matthias Jurt)

Cham – Der kleine, aber feine Kunstkubus in Cham beging 2022 seinen 10-jährigen Geburtstag. Die Kunstwerkstatt an der Lorze, ebenfalls eine wichtige Institution in Cham, feiert dasselbe Jubiläum in diesem Jahr, und da passt es wunderbar, im Kunstkubus zu Gast sein zu dürfen. Und so wie der ambitionierte Kunstkubus – ein umgewandeltes, ehemaliges stilles Örtchen – damals seine erste Ausstellung mit dem Motto «Achtung, Kunst!» deutlich markieren musste, schwebt auch über der Kubeïs-Vernissage 2023 so etwas wie ein widerständiger schöpferischer Geist, der Kunst nicht an Konventionen, Strömungen und Trends festmacht. Und an diesem Ort auch nicht an räumlicher Grösse.

Kubeïs bedeutet «Kunst und Beeinträchtigung Innerschweiz» und bietet in seinem Atelier in der alten Papieri an der Lorze rund 40 Kunstschaffenden mit einem gesundheitlichen Handicap 20 Arbeitsplätze. Während fünf Wochentagen wird dort rund ums Jahr gearbeitet, jeder und jede muss sich vertraglich für mindestens zwei davon verpflichten. Begleitet werden sie von vier Fachbegleiter und Fachbegleiterinnen, die künstlerisch und im sozialen Bereich ausgebildet sind. Die jüngeren und älteren Menschen werden nicht mit Basteln oder Handwerk beschäftigt oder gar therapiert, sondern kreieren selbstständig ihre Werke. In eigenen «Treppenhausausstellungen» sowie in externen Galerien werden diese in Gruppen-, Einzel- und Jahresausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erhalten damit auch gesellschaftliche Relevanz.

Ein eigenes Verständnis von Kunst

«Ihre Schaffenskraft entspringt ihrem Innern. Sie folgen ihrem eigenen Verständnis von Kunst und Ausdruck», beschreibt es Andrea Röthlin in ihrer Rede zur Eröffnung der diesjährigen Vernissage. Sie und Lukas Meyer leiten zusammen die Kunstwerkstatt. Im Gespräch mit ihnen und einem der Begründer der ersten Stunde, Mathys Wild, spürt man eine vitale Freude an ungewöhnlichen Kunstprozessen. Und eine tiefe Zugewandtheit zum Menschsein in allen Formen. Der Mini-Ort forderte die Auseinandersetzung mit dem kleinen Format geradezu heraus. Die Künstlerinnen und Künstler wurden mit einem Einführungstag dafür sensibilisiert. «Sie haben die Herausforderung angenommen, ihre Kreativität auf begrenztem Raum zu entfalten», erzählt Röthlin, «entstanden sind über 60 Werke – grosse Aussagen im kleinen Format».

Auf einem schmalen Regal von kaum fünf Meter Länge stehen oder liegen die neuen Kreationen unter mundgeblasenen Glasglocken, die jedem Werk Grenzen setzen, aber auch Schutz bieten. Zeichnungen, Scherenschnitte, Aquarelle, Druckgrafiken, Objekte aus Ton, Stein, Gips, Draht, Klebeband, Metall oder Fundstücke spiegeln en miniature sehr persönliche Universen.

Man hat das Gefühl, in die Wunderkammer, das Kuriositätenkabinett menschlicher Innenwelten, Wünsche und Sehnsüchte zu blicken. Und muss plötzlich bewundern, wie ungeschönt und unalltäglich mutig diese Aussagen sind: Da wird ein Traummann gesucht, und dabei besteht er aus lauter Schrauben, Muttern und Metallplättchen; ein rotes Herz ist von drei Reihen Stecknadeln von allen Seiten lückenlos eingeschlossen; ein grosser rosa Frosch versucht, so etwas wie eine eingepackte grüne Leiche zu verspeisen, daneben steht «… die Natur schlägt zurück»; ein winziges beschriftetes Aquarell thematisiert mit gelbem Flugzeug vor blauem Himmel Flugpionier Lilienthals Ikarus-Tod; und das Motiv der nackten Venus mit grossen Brüsten kommt gleich mehrmals vor. Aus Malerkrepp und Leim kunstvoll und sofort erkennbar geformt sind Figürchen aus der afrikanischen Tier- und Pflanzenwelt – Giraffe, Antilope, Rhinozeros, Affenbrotbaum und die beigefügte Schrift «miniaBENtür» überrascht mit dem Spiel zwischen zwei Wörtern. Ein buntglitzerndes Pandora-Schächtelchen schliesslich verspricht «das grosse Glück».

Von den psychischen und gesellschaftlichen Rändern scheinen manchmal unvermittelt, befremdend und bezaubernd wichtige Botschaften aus dem unbewussten Kontinent zu kommen, den wir in uns tragen. Weil es so sein muss. Und auf einmal denkt man auch an Van Gogh. (Text von Dorotea Bitterli)

Hinweis Die Ausstellung «Kunst im Kleinformat» von Kubeïs ist bis zum 9. September zu sehen. Parallel dazu werden vom 4. bis 25. September auf dem Papieri-Platz in Cham Fotos von Kunstwerken als Weltformat-Plakate gezeigt.