Sie arbeiten wie einst Vermeer und Co.
Kunst & Baukultur
Neue «alte Meister» in der Altstadthalle: Dorian Iten und Patrick Devonas beherrschen die Maltechniken vergangener Jahrhunderte. Ihre Werkschau ist wie eine Reise in der Zeit.
Zug – Da hängt sie, Jan Vermeers «Dienstmagd mit Milchkrug» von 1660 in Echt. Und doch nicht das Original. Aber hochauthentisch und mit derselben Technik erschaffen, wie sie einst das Delfter Genie angewendet hat. Urheber dieser verblüffenden Nachbildung in der Altstadthalle ist der Zuger Künstler Dorian Iten. Schon früh war der heute 30-Jährige der bildenden Kunst sehr zugetan, allem voran Malerei und Zeichnung. Doch für das Angebot an den Schweizer Kunsthochschulen vermochte er sich nicht wirklich zu erwärmen, er vermisste hier das «wahre» Kunsthandwerk.
So begann Iten 2006 an der Angel Academy of Art in Florenz das Studium und setzte sich intensivst mit den Mal- und Zeichentechniken bis zurück in die Renaissance auseinander. «Je geschulter das Auge und je versierter man in der Technik ist, desto freier wird man beim Arbeiten», hält der Zuger fest im Hinblick auf die enormen Fertigkeiten, über welche die Meister von damals verfügen mussten. Beim Malen stelle er sich vor, so Iten, dass der Geist des Genies beispielsweise Vermeer, einer seiner Favoriten – ihm bei der Arbeit unterstützend über die Schulter schaue. «Ich vertiefe mich so weit in den Arbeitsprozess, dass ich die Präsenz des Künstlers förmlich spüre.» für Iten, der auch Unterricht gibt und im Oktober eine Stelle an der Barcelona Academy of Art antritt, wird Malen somit gleichsam zu einer Art Meditation.
Vanitas, Stillleben, Körperstudien ...
Dorian Itens eingehende Auseinandersetzung mit der Realität und dem Ziel der Selbsterkenntnis, gepaart mit seinem erstaunlichen Wissen über alte Techniken, und nicht zuletzt mit seinem unleugbaren Talent schlägt sich in seinen Werken eindrücklich nieder. Eine feine Auswahl an Aktbildern viele davon Kohle auf Papier, teils erweitert mit Bleistift und Öl – verblüfft durch die scheinbare Hyperrealität, als handle es sich um Fotografien. Von den Lebenden zu den Toten: Ein menschlicher Schädel als Vanitassymbol liesse sich kaum von einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert unterscheiden. Ebensolches gilt für die Stillleben, bei denen Iten Lichteinfall sowie Anordnung so gekonnt einbringt, dass sie das Werk eines barocken Holländers sein könnten. «Allein das Positionieren der Gegenstände kann Tage oder Wochen dauern, bis das Szenario als Vorlage perfekt ist. Es sind Hunderte von Entscheidungen», erklärt der Zuger.
Oder hier der gezeichnete Gipsabdruck einer Hand, so raffiniert zu Blatt gebracht, dass man glaubt, das originale Objekt in 3-D hänge an der Wand. Weniger detailgetreu, aber stark an die typischen Anatomiestudien der Renaissance wie beispielsweise bei da Vinci angelehnt sind Itens Entwürfe zu menschlichen Torsi oder anderen anatomischen Sujets.
«Extreme Finesse»
Fast befremdlich wirkt es, wenn man bedenkt, dass es sich bei den meisten seiner ausgestellten Werke, auch beim Vermeer-Gemälde, um Studienarbeiten handelt bestechen sie doch mit scheinbarer Perfektion. «Dorian verfügt über eine extreme Finesse. Jeden einzelnen Strich zieht er mit der nötigen Feinfühligkeit», würdigt ihn Co-Aussteller Patrick Devonas. 1965 in Luzern geboren, studierte Devonas ab 1986 in den USA Kunst und war dort bis 2012 als Künstler tätig, gab Unterricht – zuletzt als Professor für Malen, Zeichnen und Anatomie an der Utah Valley University. Zahlreiche Werke von Patrick Devonas sind im Besitze von Privatsammlungen in den Vereinigten Staaten und in Europa.
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz gründete Patrick Devonas mit Dorian Iten sowie der Malerin Esther Gnädinger das Narasca-Atelier in Surava GR. Dort werden Künstler gefördert. Auch die Werke von Devonas sind prinzipiell mit der Technik der alten Meister entstanden. Seine Motive lehnen dem Réalisme-imaginaire-Stil des 19. Jahrhunderts an. Er schafft fantastische Welten, surreale Traumbilder, in die zuweilen mehrere Sujets mit allegorischen Aussagen eingebracht sind. Mehrere seiner Gemälde beinhalten zudem Aussagen politischer oder auch moralischer Natur. Während Dorian Iten seine Gemälde vornehmlich aber nicht nur – in klassische Rahmen einfasst, wird bei Patrick Devonas der Träger der Bilder zu einem wichtigen Bestandteil des Ganzen. Sei das eine Jalousie, eine Holztür oder die Fassung eines Barockspiegels – der Rahmen macht viele seiner Gemälde zu einem plastischen Gesamtkunstwerk.
Gedenken an die «Kinderhexe»
Naheliegend insofern, als Devonas gleichsam als Bildhauer arbeitet. Dieser Aspekt seines Daseins als Künstler kommt in der Altstadthalle mit dem Projekt «Katharina Schmidlin» zum Ausdruck. Der Hintergrund: 1652 wurde das elfjährige Mädchen Katharina Schmidlin aus Romoos als Hexe zum Tode verurteilt, weil sie angeblich «Vögel machen» konnte. Die Begebenheit berührt Patrick Devonas so tief, dass er dem Mädchen über 350 Jahre nach dessen Tod ein Mahnmal setzen möchte. «Ihm soll wenigstens im Nachhinein ein Stück Gerechtigkeit widerfahren.» Hierfür hat er eine Bronzeskulptur geschaffen, die dem endgültigen Marmor/Bronze-Mahnmal, das insgesamt nahezu 3 Meter hoch werden soll, als Vorlage dient. Als sein Lebenswerk betrachtet Devonas diese Mission. Die Erinnerung an Katharina und somit das Denk- und Mahnmal sollen allgemein den Schwächeren und Unterdrückten in der heutigen Zeit gelten.
Mit der gemeinsamen Ausstellung in der Zuger Altstadthalle unter der Überschrift «Der Mensch im Mittelpunkt» mit über hundert Werken feiern die zwei Künstler und Freunde ihre runden Geburtstage, 30 und 50. Als kleine Besonderheit im Rahmen der Ausstellung können die Besucher den beiden während der gesamten Öffnungszeit bei der Arbeit vor Ort über die Schulter schauen. (Andreas Faessler)
Hinweis«Der Mensch im Mittelpunkt», Ausstellung von Dorian Iten und Patrick Devonas in der Altstadthalle Zug. Vernissage heute Freitag, 1922 Uhr. Finissage am Mittwoch, 15. April, 10–13 Uhr. 11. bis 14. April geöffnet, 10–21 Uhr.