Er rührt sein Publikum zu Tränen

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In den Kinos ist der neuste Film des Zuger Regisseurs Christoph Kühn zu sehen: Das Porträt einer Träumerin, gedreht von einem, der durchaus pragmatisch denkt.

  • Der Zuger Regisseur hat einen Film über die ­argentinische Dichterin Alfonsina Storni gedreht. (Bild Werner Schelbert)
    Der Zuger Regisseur hat einen Film über die ­argentinische Dichterin Alfonsina Storni gedreht. (Bild Werner Schelbert)

Zug – Er blickt den Träumern in die Seele: Dafür steht er auch gerne nachts auf und dreht dann in den frühen Morgenstunden, wenn das Licht am besten passt. Seine Bilder rührten im vergangenen Oktober die Argentinier zu Tränen als sein Dokumentarfilm «Alfonsina» (siehe Box) zum 75. Todestag der unvergessenen Dichterin in Südamerika uraufgeführt wurde. Selbst jedoch steht der 1955 in Zug geborene Regisseur Christoph Kühn recht fest auf dem Boden. Und arbeitet präzise, um den Zwischentönen des Lebens Gehör zu verschaffen. Seit der Jahrtausendwende habe er in einer Serie von Dokumentationen versucht, «Menschen in ihrer inneren Welt zu erfassen – das innere Drama in Bilder umzusetzen». Christoph Kühn findet: «Das Einzige, was der Mensch in Perfektion baut, ist der Traum.»

Mit viel Einsatz

Für seinen eigenen Traum vom Filmdrehen legte sich der Zuger einst schwer ins Zeug: Nach der Matura verlegte er sein Leben für ein halbes Jahr in die Pariser Cinemathek «das wichtigste Filmarchiv der Welt». Der Filmregisseur blickt zurück: «Sechs Monate lang schaute ich mir Filme an, täglich fünf, sechs an der Zahl. Alte Russen, Franzosen, Amerikaner, Japaner, alles, was mich interessiert hat.» Später verbrachte er drei Monate in London und putzte Häuser. «Ich sammelte Lebenserfahrung.» Christoph Kühn bewarb sich an Filmhochschulen in London, Paris und München. Alle hätten ihn genommen – er entschied sich für München. Aus ganz pragmatischen Gründen: «Es war bekannt, die haben Geld, man kann und darf dort drehen.» Vier Jahre lang studierte er Regie an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, 1979 schloss Christoph Kühn mit seinem Diplomfilm «Falsche Bilder» sein Studium ab. ZDF und Schweizer Fernsehen kauften den Film, er wurde im Fernsehen und im Kino gezeigt. Christoph Kühn blickt gerne auf die Münchner Zeit zurück: «Wir hatten traumhafte Dozenten, Rainer Werner Fassbinder ist mir unvergesslich, er war sehr kollegial, sagte, ‹das musst du so machen, das so› – er wusste immer, welches Objektiv am besten passt, ein Supertalent.» Auch der deutsch-amerikanische Regisseur Douglas Sirk drehte mit den Filmschülern: «Er war damals schon über 80 Jahre alt.» Christoph Kühn sagt heute: «Ich bin immer wieder erstaunt, wie reichhaltig die Hollywoodproduktion doch ist.» Er schaue sich auch gerne amerikanische Independents an und natürlich Europäisches, Filme aus Frankreich, Italien, Polen. In den Siebzigerjahren habe ihn der junge Schweizer Film geprägt: «‹La groupe de cinq› um Alain Tanner, Michel Soutter, Yves Yersin – es war ziemlich grossartig, was da lief.»

Zahlreiche Preise gewonnen

Persönlich hat der Zuger Regisseur, der schon viele Preise entgegennehmen durfte, bislang mehr Dokumentar- als Spielfilme gedreht. Viel Beachtung fanden 1984 die Doku über den Schweizer Regisseur Franz Schnyder «FRS Das Kino der Nation» und 1993 die filmische Auseinandersetzung mit der Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp. Im Tessin, wo Kühn seit zwölf Jahren lebt, stiess er auf den Mythos um Alfonsina Storni: «Ein Emigrantenschicksal, aber ein positives – in der Schweiz wäre das Verständnis für ihre Lyrik zu ihrer Zeit nicht so gross gewesen.» Vier Mal hielt sich Kühn für einige Zeit in Argentinien auf, bis «Alfonsina» fertiggestellt war. «Die Filmindustrie ist in Argentinien ein riesiger Wirtschaftszweig, die Argentinier lieben ihre Schauspieler, die Kinos sind immer voll.» Vor der Kamera eines Dokumentarfilmers seien die Leute aber zurückhaltend: «Die Militärdiktatur hat sie geprägt.» Eines hat Christoph Kühn dann sehr gefreut. Dass das lateinamerikanische Publikum ihn nach der Uraufführung von «Alfonsina» fragte: «Sie als Ausländer, wie schaffen Sie es, uns zu Tränen zu rühren?» (Susanne Holz)

Hinweis
«Alfonsina» in den Kinos: Vorpremiere in Luzern, Stattkino, am Mittwoch, 4. Juni, um 18.30 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs. Der Film läuft im Kino Gotthard in Zug am Samstag und Montag, 7. und 9. Juni, jeweils um 14.30, sowie ab 5. Juni in Luzern, Zürich, Basel, Bern und St. Gallen.
 

Sein neuster Film

Aktuell läuft in den Schweizer Kinos Christoph Kühns neuster Dokumentarfilm «Alfonsina» an. Der Film leuchtet die Person Alfonsina Storni aus, die sich als frühe Feministin, Dichterin und Schriftstellerin der argentinischen Avantgarde einen Namen gemacht hat. Geboren wurde Alfonsina Storni Martignoni 1892 in Lugano in der Schweiz, ab 1896 wuchs sie in Argentinien auf. Der Vater ging mit einem Kaffeehaus pleite, die Mutter eröffnete eine kleine Privatschule und hielt die Familie mit Näharbeiten über Wasser. Alfonsina Storni liess sich zur Lehrerin ausbilden und schrieb erste Gedichte. Im Alter von zwanzig Jahren gebar sie ihren Sohn Alejandro. 1916 erschien ihr erster Gedichtband, den selbst finanzierten Druck zahlte sie ein Leben lang ab. 1920 widmete sie ihren dritten Gedichtband «denen, die wie ich keinen einzigen ihrer Träume verwirklichen konnten». Zwei Jahre darauf erhielt sie den Argentinischen Staatspreis für Literatur. 1935 erkrankte sie an Krebs. Im Oktober 1938 schrieb sie das Gedicht «Voy a dormir» («Ich gehe schlafen») drei Tage darauf beendete Alfonsina Storni ihr Leben im Meer. Alfonsina gilt heute als Wegbereiterin der modernen lateinamerikanischen Frauenliteratur. (SH)