Ein umgedeuteter Grenzstein

Dies & Das

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Im Kanton gibt es neun Erinnerungsorte an die Kappelerkriege. Der Milchsuppenstein ist sicher der am schönsten gelegene.

  • Der Milchsuppenstein oberhalb des Baarer Weilers Rüteli steht seit 1980 an diesem Ort. Geschaffen hat ihn der Baarer Grafiker und Maler Eugen Hotz. (Stefan Kaiser)
    Der Milchsuppenstein oberhalb des Baarer Weilers Rüteli steht seit 1980 an diesem Ort. Geschaffen hat ihn der Baarer Grafiker und Maler Eugen Hotz. (Stefan Kaiser)

Baar – Der Aufstieg von Baar auf den Milchsuppenstein oberhalb des Weilers Rüteli hat es in sich. Auf kurzer Distanz geht es fast 180 Meter in die Höhe. Der Wanderer wird für diese Mühsal belohnt. Ihm winkt ein atemberaubender Ausblick. Vielleicht der schönste im Kanton Zug. Das hat auch das Partyvolk bemerkt. Es feiert dort oft. Wohl nur wenige Gäste dieser Zusammenkünfte haben sich schon mit dem Ereignis befasst, an das hier erinnert werden soll.

Es soll sich 1529 an diesem Ort zugetragen haben. Damals standen sich die katholischen und reformierten Orte der Alten Eidgenossenschaft feindselig gegenüber. Kampfhandlungen konnten durch Vermittlung des Glarner Landammanns Hans Aebi gerade noch verhindert werden. Bei einer Milchsuppe sollen sich die Konfliktparteien - so die Legende - verbrüdert haben. Die Katholiken sollen die Milch, die Reformierten das Brot dazu beigesteuert haben. Bereits 1572 schreibt der Zürcher Reformator Heinrich Bullinger (1504-1575) über das Friedensmahl. Dann wird es in den schriftlichen Werken des Kantons Zug ruhig um den Ersten Kappelerkrieg. Im Fokus stand vielmehr die Schlacht auf dem Gubel vom 24. Oktober 1531. Sie war ein Gemetzel. Ein katholisches Heer tötete innerhalb kurzer Zeit über 600 Neugläubige aus Zürich und entschied den Zweiten Kappelerkrieg zu Gunsten der Katholiken.

«Erst im 20. Jahrhundert scheint die Kappeler Milchsuppe das Interesse der Zuger ‹Geschichtsproduzenten› geweckt zu haben», schreibt der Zuger Historiker Jonas Briner in seinem kürzlich erschienenen Werk «Milchsuppe oder Blutbad?» 1931 wird im Rahmen der 400-Jahr-Feier der Schlacht von Kappel auf der Anhöhe beim Baarer Rüteli eine kleine Gedenkanlage errichtet und feierlich eingeweiht. Ein March- oder Grenzstein auf 619 Meter über Meer bildet deren Mittelpunkt. Drumherum werden drei steinerne Sitzbänke drapiert, welche bei der Renovation der 1838 erbauten nahen Schlachtgedenkstätte nicht mehr gebraucht wurden. Dazu schreibt Briner: «Bis anhin bloss in den Köpfen der geschichtsbewussten Schweizer, erhielt die Legende der Kappeler Milchsuppe durch die drei Steinbänke ihren geografisch exakt lokalisierbaren Platz. Die Erweiterung des Mythos um diese räumliche Dimension verstärkte den Anschein von Historizität: Vergangenes Geschehen ereignete sich immer an einem konkreten Ort. Nun auch die Kappeler Milchsuppe.» Die besagte Erhebung, welche früher laut dem Zuger Namensforscher Beat Dittli den Namen «Eichstock» oder «Meienberg» trug, hiess fortan «Milchsuppenstei». Ob das gemeinsame Mahl überhaupt dort eingenommen worden ist, ist nicht belegt. Es dürfte sich wohl an einem anderen Ort zugetragen haben. Doch dieses Detail kümmerte die Macher der Gedenkstätte nicht. Im Juni 1980 wird der alte Grenzstein ersetzt. Der noch heute dort stehende Stein ist ein Werk des bekannten Baarer Grafikers und Malers Eugen Hotz (1917-2000). Das behauene Objekt trägt die Inschrift «Kappeler Milchsuppe 1529». Auf der dem Süden zugeneigten Seite prangt das Zuger, auf der entgegengesetzten das Zürcher Wappen.

Noch in diesem Jahrtausend wurde der Milchsuppenstein für symbolträchtige Veranstaltungen genutzt. Ende Juni 2004 - zum 475-Jahr-Jubiläum der Verbrüderung zwischen Katholiken und Reformierten - trafen sich die Zuger SVP und ihre Affoltemer Kollegen auf der Erhebung zum Volksfest. Die Milchsuppe fehlte bei diesem Anlass natürlich nicht. Sie wurde vom SVP-Mann Christoph Blocher eigenhändig angerührt. Der damalige Bundesrat würzte die Feier mit einer mahnenden Rede: «Überlege gut, mit wem du ein Bündnis machst. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.» (Marco Morosoli)

Hinweis: Mit «Hingeschaut!» gehen wir wöchentlich mehr oder weniger auffälligen Details mit kulturellem Hintergrund im Kanton Zug nach.