Katze, Gaul und zwei schräge Tanten
Theater & Tanz
Die Kammeroper München brachte ihre eigene Version von «La finta semplice» auf die Bühne. Hinter einem schrulligen Travestie-Trara agierten durchs Band brillante Darsteller. Grosses Bravo!
Zug – Wenig graziös trampelt Tante Cassandra ins Bild. Mit überbreiter Hüfte unter ihrem hagenbuchigen Jupe, dicken Oberarmen und Vollbart ist ihr Auftreten für eine männerverachtende Natur resolut genug, um ihre schmächtigere Schwester Polidora zu tyrannisieren und ebenso ihre Nichte Giacinta, um deren Gunst der leidenschaftliche Fracasso buhlt. Und als Rosina in einem lila Herrenanzug und mit silbernem Zylinder unter dem Namen Don Gisberto anreist, sind sämtliche Weichen für das heitere Verwirrspiel gestellt, welches Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) in seiner ersten abendfüllenden komischen Oper «La finta semplice» stiftet.
Variation der Urfassung
Mit ihrem Gastauftritt in Zug hat die Kammeroper München eine variierte und gekürzte Version der Mozart-Oper auf die Bühne des Casinos gebracht. Indem die eigentlichen Hauptfiguren Cassandro und Polidoro in der Version von Dominik Wilgenbus kurzerhand mit weiblichen Pendants ersetzt werden, erhält der Zweiakter eine ganz neue Humor-Qualität und treibt das ohnehin durchaus heiter angelegte Bühnenwerk auf eine Ebene des überbordenden Klamauks mit einer ordentlichen Portion Trümmer-Travestie, die in einer wüsten Rauferei gipfelt. Eine weitere Variation sind das eigentliche Hausmädchen Ninetta, das hier zur Hauskatze mit weissem Tutu geworden ist, sowie Fracassos Sergeant Simone. Dieser ist jetzt sein liebesunerfahrenes Pferd und scharwenzelt wiederholt mehr oder minder geschickt um die kokette Ninetta, die ihn mit einem Macarena-Tanz neckt.
Hinsichtlich dieser Ausgangslage hatte Kammeroper-Mitgründer Christophe Gördes bereits im Vorfeld erklärt, dass nicht alles, was auf der Bühne vorgeht, verstanden werden muss. Gewisse Wendungen und Abläufe sorgten in der Tat für Verwirrung, wie aus dem Publikum in der Pause zu vernehmen war. Die mit dem wilden Spiel der Geschlechter- sowie Mensch-/Tierrollen bewusst geschaffene Witz-Aufmachung erklärte denn auch das wilde Stilgemisch bei den Kostümen. Diese entsprachen eher dem jeweiligen Rollencharakter als irgendeiner Modeepoche.
Raumkonzept in Kistenform
Ein besonders origineller Einfall war das durchdachte Bühnenbild, welches aus lauter hölzernen Tragkisten bestand. Räume, Türen und Fenster der Tanten-Villa wurden je auf die Grösse einer solchen Kiste reduziert – ein geschicktes Konzept für Theatersäle mit begrenzten Platzverhältnissen. Abgesehen davon war die Bühne U-förmig um das Ensemble herum gebaut, das Geschehen und die Musik somit gebündelt. Selbst der Zuschauerraum wurde zuweilen zum Teilschauplatz.
All diese Schrulligkeit, dieses oft überspitzte, polternde Slapstick-Treiben, das sich von Anfang bis zum Ende hindurchzog, ging einher mit einer hervorragenden gesanglichen und schauspielerischen Leistung des sehr jungen Bühnenensembles. Ein stimmgewaltiger Carl Rumstadt (Bariton) als «fleischgewordener Überfluss» Cassandra überzeugte in allen Lagen ebenso wie Eva-Maria Schmid als glasklarer Sopran in der Rolle der Rosina respektive des Gisberto. Während Tenor Julian Freibott als Tante Polidora seiner bodenständigen «Schwester» stimmlich kaum nachstand, sang auch Tenor Dino Lüthy (Fracasso) seine Rolle als einziger «richtiger» Mann hell und satt. Selbiges galt für die einzige «richtige» Frau, Mezzosopran Susan Zarrabi als Nichte Giacinta und jüngste unter den Darstellern. Sowohl in ihrer Gelenkigkeit und Mimik als auch – oder erst recht – in ihrem Gesang erwies sich Leonor Amaral als Hauskatze Ninetta als so sattelfest und erprobt, als hätte sie bereits eine langjährige Karriere hinter sich. Und Bassbariton Clemens Joswig als Gaul Simone brillierte nicht weniger im neckischen Hinundher mit der eigensinnigen Katze.
Die vielversprechenden Talente hinter all der Maskerade erkannte das Publikum sehr schnell, zeigte sich amüsiert und hingerissen zugleich und sparte am Schluss auch nicht mit den verdienten Bravo-Rufen zum lang anhaltenden Beifall. Dieser gebührte dem Orchester genauso, erwies es sich doch ausnahmslos als bestens erprobtes Team, das sowohl in sich als auch im Dialog mit den Sängern tadellos abgestimmt ist.
Gitarre als Cembalo
Im zehnköpfigen Kammeroper- Orchester waren als «Fremdkörper» ein Akkordeon und eine Gitarre dabei. Ersteres sorgte pointiert für eine Nuance volkstümlicher Schrammelmusik. «Die Gitarre übernimmt den Part des Cembalos bei der Begleitung der Rezitative», erklärte Dirigent Nabil Shehata, der eigentlich kurz davor war, Profifussballer zu werden, aber nur dank des Verbots seiner Mutter schliesslich die Musikerlaufbahn verfolgt hat und später Solobassist bei den Berliner Philharmonikern geworden ist. «Ein Glück für uns», meinte Christophe Gördes mit Schalk.
Mozart und seine Neider
Die gekürzte Fassung der Kammeroper München ging glücklicherweise nicht auf Kosten der Musik. Einzig auf die Wiederholungen der Arien wurde verzichtet. «So wird der Verlauf auch musikalisch schneller und spritziger», erklärte Christophe Gördes den resultierenden Effekt und forderte das Publikum vor Beginn dazu auf, sich beim Zuhören wiederholt vor Augen zu führen, dass diese Musik von einem zwölfjährigen Buben komponiert worden ist. Das Wunderkind Mozart nämlich schrieb die Oper nach Anregung von Kaiserin Maria Theresia. Noch im Jahre 1768 fertiggestellt, wussten die von Neid durchdrungenen Wiener Platzhirsche Anton Salieri und Christoph Willibald Gluck sowie der damalige Operndirektor durch intrigante Schachzüge die Aufführung der Wunderkind-Oper in der Kaiserstadt zu verhindern. Erst im Folgejahr konnte «La finta semplice» in Salzburg zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden.
«In ‹La finta semplice› klingen bereits Passagen aus der ‹Zauberflöte› oder dem ‹Figaro› mit», meinte Christophe Gördes. In der Tat: «La finta semplice» erwies sich auch in der Wilgenbus-Version als unverkennbar mozarteskes Werk, das durch die erfrischend-schöne Musik selbst in einer Aufmachung mit so viel Klamauk und Irrwitz nichts an Reiz einbüsst. Das gefiel. (Andreas Faessler)