In die Songs kommen Gefühle

Musik

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Zwei Bands, die einen sehr etabliert, die anderen sehr jung, geben neue Songs raus. Wenn man gut hinhört, kann man in diesen Songs mehr hören als Musik.

  • The Valley of Mantis veröffentlicht ihre erste EP. (Bild:zvg)
    The Valley of Mantis veröffentlicht ihre erste EP. (Bild:zvg)
  • Humanoids sind seit rund 2000 gemeinsam unterwegs.
    Humanoids sind seit rund 2000 gemeinsam unterwegs.
Zug – Dieser Text ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

An einem Montagabend hörte Philipp Muchenberger auf dem Weg zum Proberaum im zweiten Stock der Galvanik etwas, das ihn bewegte. Die Tür einen Stock tiefer war nur angelehnt. Ein intensives Schlagzeug, elektronische Synthwellen schwappten auf den Gang. «Ohne zu wissen, wer da spielt, ging ich in den Raum und deponierte mein Kompliment bei der jungen Band.» Dann ging er zurück zur eigenen Bandprobe, zu Humanoids, einen Stock weiter oben.
Die beiden Bands aus Zug, Humanoids und The Valley of Mantis, veröffentlichen beide in den nächsten Wochen eine EP mit sechs Songs. Für The Valley of Mantis ist es die erste, für Huma­noids ist es die siebte Veröffentlichung nach über zwanzig Jahren Bandgeschichte. Doch die beiden Bands und ihre Musik verbindet mehr.

Wut fürs Ausbrechen
Probe von The Valley of Mantis in ihrem Proberaum in der Galvanik: Nur noch wenige Wochen bis sie am 26. Mai in der Galvanik ihre neue EP «Mind Dive Vol. 1» taufen. Mikrofonständer und Kabel ranken sich durch den Raum, am Boden überlappen sich dicke rote Teppiche, grauer Schaumstoff schluckt den Schall an den Wänden. Und eine weisse Tafel listet säuberlich die Akkordfolgen der Songs auf. Sie heissen «Cannot Reach» oder «Have you Ever». Es seien eher schwere Themen, die in den letzten Jahren hier entstanden sind, jedenfalls von den Texten her, sagt Angela Halter, die Sängerin und Texterin der Band. «Viel Melancholie. Und dann wieder Wut, um auszubrechen.»

Synth-Rock?
Bitte nicht falsch verstehen: Musikalisch klingt das alles andere als weinerlich. The Valley of Mantis stürmen mit Kraft durch ihre Songs. Sandro Andermatt sitzt mit kurzen Hosen hinter dem Schlagzeug, obwohl es draussen gerade mal fünf Grad kalt ist. Neben seinem Sitz stapelt sich ein kleiner Haufen zerholzter Sticks. Die Keyboards von Sonja Halter zittern wie junge Hunde, wenn ihre Finger die Synthklänge zwischen die Beats schlingen. Andreas Brandl hat acht Saiten an seiner Gitarre und schaut auf sein Griffbrett wie ein Laborant auf die Versuchsanordnung. Dann tröpfelt oder spült er die Noten in den Raum. Wenn Angela Halter singt, dann glaubt man ihr jede Silbe. «Wir nennen es manchmal Synth-Rock», sagt sie nach dem Song etwas achselzuckend.
«Jeder von uns bringt einfach etwas von sich mit ein», sagt Sandro Andermatt. Es gibt keine klassischen Songschreiber in der Band. «Wir improvisieren viel», erzählt Sonja Halter.
Und manchmal taucht dann etwas auf. Ein Gefühl, eine Stimmung. «Das nehmen wir auf und entwickeln daraus die Songs», sagt Andreas Brandl. Und Angela Halter schreibt dann die Texte auf diese Stimmung, dieses Gefühl hin. Angela Halter schaut, als würde sie gerne nochmals mit den Achseln zucken. Das alles klingt sehr nach Zauberei.

Ist das was?
Aber die Magie hat Methode. Das beweisen Humanoids. «Wir treffen uns eigentlich nur immer, um an neuen Songs zu arbeiten», sagt Aldo Caviezel. So arbeitet die Band, seit sie sich um 2000 herum gegründet hat. Wenn in der Improvisation ein besonderer Moment entsteht, wird der Jam aufgenommen. «Diese Stücke im Nachgang zu einem arrangierten und funktionierenden Song zu entwickeln, darin liegt die Herausforderung. Dieser Prozess kann Jahre dauern.» So entsteht eine Sammlung an Song-Stücken, die man nur schwer alleine schreiben könnte.
Humanoids werden am 9. Juni vier neue Songs mit einem Konzert in der Galvanik veröffentlichen. Die Songs sind schon zuvor auf den Streamingdiensten verfügbar. Die Songs sind ganz klar Produkt dieser Band: schnörkellos und notwendig. Nichts hängt zu viel im Arrangement, alles will nach vorne. Und doch scheint dabei eine neue Zerbrechlichkeit mitzuschwingen.

Stimmung und Gefühle
Einerseits könnte das physische Gründe haben, meint Gitarrist Aldo Caviezel. «Wir haben in den letzten Jahren versucht, die verschiedenen Frequenzen in der Band etwas auseinanderzusortieren.» Er selbst habe intensiv an seinem Sound gearbeitet. «Ich wollte, dass die Gitarre sich stärker vom Bass löst, damit werden auch die Parts, bei denen wir unisono spielen, noch intensiver.» Das filigrane Hintergrundrauschen könnte aber auch andere Einflüsse haben. «Wir sind bei diesen Aufnahmen so nahe an die Songs herangekommen wie noch nie», sagt Philipp Muchenberger, Sänger und Keyboarder der Band. Nahe an dieses Gefühl, das die Songs ausdrücken sollen.
«Es braucht einen bestimmten inneren Zustand, um die Songs wirklich gut zu spielen», sagt Philipp Muchenberger. «Wir haben Songs, die wir seit Jahren nicht mehr spielen, weil wir nicht mehr in dieses Gefühl reinfinden, das der Song braucht. Das sind grossartige Songs, Songs, die wir lieben, aber wenn wir sie spielen, dann kommt am Ende nur ein Naja dabei raus.»

Um Songs kämpfen
Dagegen gibt es Songs, die immer sofort funktionieren. «Jaywalk» beispielsweise oder «Down Below». Diese Songs treffen die vier Musiker in ihrem Kern. Neben Gitarrist Aldo Caviezel und Sänger Philipp Muchenberger gehören noch Schlagzeuger Erich Güntensperger und Marc Schweiger am Bass zur Band. «Aber um andere Songs müssen wir jedes Mal kämpfen», sagt Muchenberger. «Pure» beispielsweise auf dem Album «I hear the Sun», ein Song, der seine kratzigen Gitarren mit einem nihilistischen Schulterzucken gespielt haben will.
Bands wie Humanoids oder The Valley of Mantis verarbeiten, ob sie wollen oder nicht, auch alle Erfahrungen und Vorlieben aller Musiker und Musikerinnen im Raum. Und alles, was diese Musikerinnen und Musiker von draussen mit in die Probe bringen.

Zwischen den Zeilen hören
Auf «Echomistakes», so heisst die EP mit den vier neuen Songs von Humanoids, geht vielleicht auch deshalb ein wenig die Welt unter. Zwar wurden die vier Songs in den letzten zwei Jahren finalisiert, teilweise sind sie aber in Ansätzen schon seit langem in der Stückchen-Sammlung der Humanoids.
Der Song «Manhole» beispielsweise ist komplett innerhalb von zwei Monaten der letzten beiden Jahre entstanden. Die Single «Arsonist» dagegen haben die vier Humanoiden seit rund sechs Jahren immer wieder angefasst und versucht, so hinzudrehen, dass es nach dem klingt, was gemeint war.
«‹Manhole› ist vielleicht der melancholischste Song, den wir je geschrieben haben», meint Aldo Caviezel. Und in den Songs von The Valley of Mantis ist eine zumindest melancholische Grundstimmung herauszuhören. In den Songs der beiden Bands kristallisiert sich ein wenig Zeit. Hört man genau hin, findet man zwischen der Musik diese Brocken an Erlebtem.

(Text: Lionel Hausheer)

Hier gehts zur EP-Taufe von The Valley of Mantis.
Und hier zur EP-Taufe der Humanoids.