«Paracelsus war ein absoluter Workaholic»

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Der Autor Pirmin Meier ist Protagonist im dokumentarischen Roadmovie «Paracelsus Ein Landschaftsessay» von Erich Langjahr. Wir ­haben die beiden Freunde in Luzern getroffen und mit ihnen darüber gesprochen, wieso Paracelsus auch heute noch fasziniert.

  • Erich ist ein Geschichtenerzähler über Landschaften», sagt Pirmin Meier über Erich Langjahr.«Pilatus-Abendstimmung». (Filmbild Langjahr-Film)
    Erich ist ein Geschichtenerzähler über Landschaften», sagt Pirmin Meier über Erich Langjahr.«Pilatus-Abendstimmung». (Filmbild Langjahr-Film)

Zug – Der neue Film des Zugers Erich Langjahr (77) widmet sich dem Arzt, Naturphilosophen und Laientheologen Paracelsus, geboren 1493 oder 1494 in der Egg an der Sihl, Kanton Schwyz, gestorben 1541 in Salzburg. Der Autor und Paracelsus-Forscher Pirmin Meier (75) findet als Protagonist für jeden Ort das passende Paracelsus-Zitat.

Wie haben Sie sich gefunden, um dieses Thema gemeinsam anzugehen?

Erich Langjahr: Vor etwa 20 Jahren bin ich erstmals auf Paracelsus aufmerksam geworden, durch Pirmin Meiers Buch «Landschaft der Pilger», das er mir damals geschenkt hat. Als Pirmin im Februar 2018 in Zug einen Vortrag über Paracelsus hielt, habe ich ihn danach gebeten, mir doch ein paar Orte zu zeigen, wo Paracelsus gewirkt hatte; ich würde ihn mit der Kamera begleiten. Pirmin hat mir eine Tür aufgemacht zu einer weitgehend unbekannten Welt, in die auch das Publikum Einblick erhalten sollte. Da war die Filmidee geboren.

Pirmin Meier: Ich verfolge das Schaffen von Erich schon seit den 1980er-Jahren. Unsere grosse Gemeinsamkeit ist das Interesse für die historische, seelengeschichtliche Archäologie unserer Landschaften.

Was war Ihr Grundanspruch an den Film?

Langjahr: Es stand schnell fest, dass wir gemeinsam eine Reise unternehmen. Auf diese Reise nehmen wir nun das Publikum mit. Meine Filme sind jeweils so konzipiert, dass sie erst zusammen mit dem Publikum «vollständig» werden. Jede und jeder nimmt das Gesehene ganz individuell wahr. Dieses kollektive Rezipieren des Gesehenen und die Diskussion darüber komplettieren den Film. Wichtig ist mir, dass der Inhalt des Films der Wirklichkeit standhält.

Und wie sind Sie dabei vorgegangen?

Langjahr: Ein Drehbuch abzufassen und mich daran zu halten, funktioniert für mich nicht. Ich kreiere eine Fülle an Filmmaterial. Dieses werte ich aus, sortiere und ordne es so an, dass eine stringente Geschichte, eine Dramaturgie entsteht. Das Material zum Paracelsus-Film ist über drei Jahre hinweg entstanden.

Meier: Es sollte kein Film werden, der die touristischen Reize jener Orte aufzeigt, wo Paracelsus Station gemacht hat. Wir wollten die Wirklichkeit darstellen. Dazu gehört eben beispielsweise auch das Tosen der meistbefahrenen Landstrasse im Kanton Luzern oder der Müll, der sich am Rheinfall sammelt.

Damit schlägt der Film unverkennbar den Bogen ins Heute. Ist das als Gesellschaftskritik zu verstehen?

Langjahr: Es ist eher so zu verstehen, dass das Publikum selbstständig eine moralische Position einnehmen oder eine solche entwickeln soll, wenn es mit dem Kontrast Einst–Jetzt konfrontiert wird. Wenn ich das als Filmemacher selbst mache oder vorgebe, dann bekommt der Film eine ideologische Komponente. Und das ist nicht in meinem Sinn.

Meier: In unserem Film geht es vielmehr ums Entdecken als ums Beurteilen. Es gibt vor unserer Haustür so viel Interessantes, von dem wir kaum Kenntnis nehmen. Das ist bedauerlich. Der Film soll anregen, diese versteckten Perlen wahrzunehmen. Zugleich ist es eine Spurensuche auf den Pfaden von Paracelsus. Die Landschaft erzählt dabei die Geschichte.

Was hat Sie an Paracelsus am meisten fasziniert?

Langjahr: Die Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Renaissance war enorm bewegt, allein angesichts der Reformation. Und dann ist da dieser illustre Mensch Paracelsus, über den man gar nicht so viel weiss.

Meier: Seine Erkenntnisse waren wegweisend und begründen wesentliche Aspekte der Medizin. Dazu gehört beispielsweise seine Feststellung, wie zentral der Magen – und somit unsere Nahrungsaufnahme – für das Befinden, ja den ganzen Organismus des Menschen ist. «Alle Verwandlung geschieht im Magen», sagte Paracelsus. Er definierte den Magen als den «Alchemisten in unserem Körper». Damit hat er recht behalten.

Wie auch mit dem bekanntesten Zitat: «Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei.»

Meier: Ja. Der Paracelsische Giftsatz erkennt, dass alles, was einen kaputtmacht, einen auch heilen kann. Seine Überzeugung war, dass die richtige Menge eine Genesung herbeiführen kann.

Wie wurde Paracelsus aus medizinwissenschaftlicher Sicht von der Nachwelt wahrgenommen?

Meier: Das unterlag der jeweils vorherrschenden ideologischen Auffassung. Im 18. Jahrhundert etwa galt er als Esoteriker, und die medizinischen Aufklärer haben gegen ihn polemisiert, weil sich die Quacksalber auf ihn berufen haben; für manche war «Paracelsist» ein Schimpfwort. Aus dem romantischen Gedanken des 19. Jahrhunderts heraus genoss Paracelsus wieder mehr Ansehen. Vor 80 Jahren hat die Basler Chemieindustrie die Gründung der Paracelsus-Gesellschaft unterstützt. Und die Nazis haben für den «fortschrittlichen deutschen Arzt» geschwärmt. Je nach Anschauung lässt sich Paracelsus fortschrittlich vereinnahmen, aber auch konservativ.

Und in jüngster Zeit?

Meier: Es zeigt sich etwa, dass Paracelsus auf dem Gebiet der Naturheilkunde an Bedeutung gewonnen hat, während er von der Schulmedizin eher herabgestuft wird.

Als Schriftsteller im Bereich der historischen Landeskunde und der Spiritualität beschäftigen Sie sich seit 40 Jahren mit Paracelsus. Wie schätzen Sie seine Leistung ein, Pirmin Meier?

Meier: Paracelsus ist 48 Jahre alt geworden und blieb nie länger als ein, zwei Jahre an einem Ort. Naturwissenschaftliche, medizinische, theologische Schriften – was er in 20 Jahren geleistet hat, ist unvorstellbar, auch wenn sein Werk grösstenteils aus Fragmenten und Anfängen besteht. Er war ein absoluter Workaholic.

Im Vergleich zu Ihren sonst eher wortarmen Filmen wird dauernd erzählt. War das eine neue Erfahrung für Sie, Erich Langjahr?

Langjahr: Es ist eben nicht nur ein Film über Paracelsus, sondern ein denkwürdiges Dokument über den Schriftsteller und Autor Pirmin Meier. Er hat eine Botschaft. Und das spürt man auch.

Meier: Botschaft ist zu pathetisch. Wahr ist, dass wir Schweizer unsere Geschichte nur sehr oberflächlich und klischiert kennen. Und dass Dinge, die man in Tibet, Island oder Irland suchen könnte, auch in unserem Alpenraum vorhanden sind.

Die Schwarze Madonna in der Klosterkirche Einsiedeln ist ein beliebtes Bildmotiv im Film. Was hat es mit Paracelsus und der «Weibheiligkeit» auf sich?

Meier: Wenn man das Thema Frau und Paracelsus filmisch darstellen will, bietet sich das Motiv an – die Muttergottes ist telegen. Aber: «Paracelsus war unfähig, auch nur ein katholisches Dogma korrekt wiederzugeben», wie ein Einsiedler Mönch und Paracelsus-Kenner einst sagte. Werfen Sie dem Film jetzt nicht vor, er gebe ein allzu katholisierendes Innerschweiz-Bild ab. Man darf dazu stehen, dass die Muttergottes, die Gottesgebärerin, in unserer Kultur eine riesige Rolle spielt. Und Paracelsus liefert eine sehr eigenwillige Interpretation dazu. Er nennt sie immer «Frau Gottes». Das ist nicht einfach reaktionär und patriarchalisch.

Was nehmen Sie für sich persönlich mit nach drei Jahren Auseinandersetzung mit dem Menschen Paracelsus, Erich Langjahr?

Langjahr: Sein ganzheitliches Denken, dass alles mit allem verbunden ist im Sinne seiner Theorie von Makrokosmos und Mikrokosmos. Und sein Kampf gegen Autoritäten passt zu mir als Linkshänder. «Wer in sich selber kann bestahn, gehöre keinem andern an» war sein Motto. Es stimmt hoffentlich auch für mich. (Interview: Andreas Faessler und Regina Grüter)

Hinweis
«Paracelsus Ein Landschafts­essay», ab morgen in den Kinos Bourbaki, Luzern (am Donnerstag um 18 Uhr in Anwesenheit von Erich Langjahr, Pirmin Meier, Stefan Sägesser, Kulturbeauftragter Kanton Luzern); Kino Engelberg; Kino Schwyz; Cinepol, Sins; AFM Cinema, Stans; Gotthard, Zug.