Ein Schutzengel gibt einen Schutzengel frei
Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte
Die Kapelle in der Zuger Allmend steht ganz im Zeichen der geflügelten Himmelswesen – und birgt eine kleine Besonderheit.
Zug – Man kennt die kleine Kapelle an der Strasse nach Cham gegenüber der Zufahrt zum Zuger Hafen seit jeher als Schutzengelkapelle. Von ihr hat dann auch die dortige Stadtbahn-Station ihren Namen. Bereits in alter Zeit hatte hier ein Heiligtum gestanden, welches 1644 ersetzt worden ist. Den Zuger Ratsprotokollen ist zu entnehmen, dass man für den von Stadtbaumeister Wolfgang Wickart realisierten Neubau ein Dreifach-Patrozinium gewählt hat. So weihte man die Kapelle der Muttergottes, dem Bauernheiligen Wendelin und dem Schutzengel.
Letzterer hat sich schliesslich im Volksmund behaupten können und war namensgebend für das Kapellchen auf dem Grund, wo bis 1847 die Richtstätte bestanden hat. 1802 übernahm die Nachbarschaft Lorzen die Betreuung der Kapelle, die im Folgejahr durch den Einsiedler Klosterbaumeister Martin Oelgass erneuert wurde.
Engelswesen allenthalben
Aussen- wie Innengestaltung der Kapelle fokussiert sich ganz auf das Engel-Thema. So steht eine entsprechende Steinfigur in einer Mauernische an der Hauptfassade. An der Rückwand über dem Portal in Inneren tragen zwei Stuckengel einen Korb. Und im Feld über dem Chorbogen ist eine grosse Verkündigungsszene mit dem Erzengel Gabriel – der «Englische Gruss» – abgebildet.
Im Zentrum des Blickfeldes liegt das rundbogige Gemälde am 1849 angefertigten, klassizistischen Hochaltar. Es zeigt einen Schutzengel, der über zwei ruhenden Kinder wacht, die offenbar alleine in der Wildnis unterwegs sind. Die Hände gefaltet und den Blick zum Himmel gerichtet, tritt der Engel als Fürbitter um das Heil der Kinder auf. Das im typischen Nazarenerstil gemalte Werk stammt von Melchior Paul von Deschwanden und ist mit 1846 datiert. Es ist ein Motiv, welches der Nidwaldner Meister mehrfach und in unterschiedlichen Grössen gemalt hat.
Dieses Deschwanden-Werk ist nicht nur wegen des Sujets und der prominenten Platzierung eine kleine Besonderheit innerhalb der Kapelle: Mittels eines Mechanismus ist das Gemälde versenkbar – links an der Altarmensa befindet sich eine Kurbelvorrichtung. Wird das Ölbild versenkt, tritt dahinter eine rot marmorierte Nische zutage.
Eine grosse Überraschung erlebt man aber nicht, denn das Schutzengelthema wiederholt sich: In der Nische steht eine Engelsfigur, welche einem Kind schützend die Hand auf die Schultern legt. Die Statue ist zur selben Zeit wie der Hochaltar entstanden und ist eine sehr ähnliche, gespiegelte Version derjenigen in der Nische an der Fassade.
Versenkbare Gemälde und die damit verbundene Wandelbarkeit eines Altares findet man in einigen Kirchen und Kapellen der Zentralschweiz. Die Pfarrkirche Baar ist ein nahes Beispiel, wo sich das äussere Blatt des rechten Seitenaltars versenken lässt, worauf ebenfalls eine Statue zum Vorschein kommt.
Eine ganze Woche im Zeichen des Schutzengels
Das allgegenwärtige Schutzengel-Thema in der kleinen Zuger Kapelle zeugt von der alten, traditionellen Verehrung der Himmelswesen an diesem Ort bis zum heutigen Tag. So hat ein Ehepaar, welches mit der Kapelle und ihrem Patrozinium sehr verbunden ist, der zuständigen Pfarrei St. Johannes eine Schutzengelplakette aus Silber gestiftet. Jedes der Pfarrei angehörige Kind erhält eine solche zur Taufe mit eingraviertem Namen als Zeichen, dass ein Schutzengel die Täuflinge ein Leben lang begleiten möge.
Jährlich Anfang Juli steht die Kapelle für eine Woche lang im Zentrum der sogenannten «Schutzengelwoche», welche hier seit vielen Jahrzehnten Tradition hat. Es finden jeweils Eucharistiefeiern und Wortgottesdienste mit Kommunionfeier statt (siehe Box oben). Während dieser Tage ist am Hochaltar die Engelsfigur zu sehen, das Deschwanden-Gemälde bleibt derweil in der Versenkung. (Text von Andreas Faessler)
HinweisIn der Serie «Hingeschaut»gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.