«Bleibt nahe beieinander»

Brauchtum & Geschichte, Musik

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Wenn man etwas hundert Jahre lang tut, dann wird man richtig gut darin. Der Jodlerklub Heimelig ist auch offiziell erste Klasse. Besonders stark aber ist er dabei, seine Mitglieder zu begeistern.

  • Dirigentin und Jodler in Aktion. Bild: Philippe Hubler
    Dirigentin und Jodler in Aktion. Bild: Philippe Hubler
  • Wichtig: Ein gutes Gespür für die anderen. Bild: Philippe Hubler
    Wichtig: Ein gutes Gespür für die anderen. Bild: Philippe Hubler

Baar – Dieser Artikel ist in der September-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zu den anderen Artikeln.

Die Zahlen belegen es. Dem Baarer Jodlerklub Heimelig geht es gut. Nicht nur feiert er dieses Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Auch tut er das mit rekordhoher Mitgliederzahl. Von 28 Mitgliedern kann manch anderer Jodlerverein nur träumen. Doch «vo nüüd chund nüüd» werden wir bald lernen, als wir dem Verein bei der Probe einen Besuch abstatten.

Um 20 Uhr beginnt die Probe, doch warten einige Sänger bereits eine halbe Stunde vorher vor der Aula des Schulhauses Sternmatt II in Baar. Niemand eilt erst zum Glockenschlag hinein, niemand wirkt gestresst. Hier herrscht definitiv keine Laissez-faire-Atmosphäre.

Wie wird man 100?
Das dürfte nicht zuletzt auch mit dem Präsidenten Alfons Birbaum zusammenhängen, der es schätzt, wenn seine Mitglieder zuverlässig sind und sich abmelden, wenn sie nicht an die Probe kommen können. Er leitet den Chor seit sechs Jahren.

Der heute 65-Jährige gehört damit bei weitem nicht zu den Dinosauriern des Klubs. «Ich bin zu einer Zeit eingetreten, zu welcher der Jodlerklub in einer Krise steckte», erklärt Birbaum. Er selber hatte zuvor im Männerchor gesungen. Nach einer Auszeit, einer dreimonatigen Velotour ans Nordkap, entschloss sich der Baarer, etwas Neues auszuprobieren.

De Weck sei Dank
Das war 2011, als der Verein gerade noch elf ­Mitglieder zählte. «Doch lag es dem damaligen Präsidenten Peter Suter fern, aufzugeben. Im Gegenteil», so Birbaum. Ein Jahr zuvor hatte in Baar das Zentralschweizerische Jodlerfest stattgefunden, der Funke sprang offenbar über, folkloristische Traditionen waren schon damals im Aufwind.

«Ich bin überzeugt, dass unter anderem der ehemalige SRG-Chef Roger De Weck verantwortlich ist», sagt Birbaum. «Er hat dafür gesorgt, dass Jodeln, Schwingen oder Alphornblasen stärker in den Medien präsent sind.»

Der Jodlerklub Heimelig nutzte die Gunst der Stunde. «Der Verein schrieb einen Jodelkurs aus. Mit grossem Erfolg. Dutzende Interessierte nahmen teil. Sechs von ihnen blieben. Darunter ein paar junge Frauen, die bis heute dabei sind», erzählt der Baarer.
Für Birbaum ist das gut verständlich. «Ich selber habe mich hier im Verein seit der ersten Sekunde zu Hause gefühlt. Niemand hat mich gefragt, wer ich bin und was ich kann. Ich war sofort Teil der Gemeinschaft.»

Auch nach dem zweiten Jodelkurs, den der ­Verein durchführte, entschieden sich mehrere ­Sänger, zu bleiben. «Bei meiner ersten Generalversammlung als Präsident konnte ich sechs neue Mitglieder aufnehmen», sagt Birbaum mit sichtlichem Stolz.

Birbaum spricht schnell und energisch. Kein Wunder, denn gleich geht die Probe los. Mittlerweile haben sich alle versammelt. Der Altersunterschied zwischen der jüngsten Jodlerin und dem ältesten Sänger dürfte gut 50 Jahre betragen. Überhaupt sind wir verblüfft, wie viele jüngere Semester dabei sind. Sowohl bei den Herren wie auch den Frauen. Von jugendlichem Übermut ist dennoch wenig zu spüren. Wer hier mitsingt, tut das mit grosser Ernsthaftigkeit. Hier wird nämlich nicht nur zum Spass gejodelt. Manchmal geht es um die Wurst.

Zeit für die Noten
Noch vor dem Einsingen liest Dirigentin Maria Kölliker-Schicker den Versammelten Sängerinnen uns Sängern den sogenannten «Festbericht» des Jodlerfests in Horw vor. Es handelt sich dabei um die detaillierte Bewertung des Auftritts am besagten Jodlerfest, denn jedes Fest ist gleichzeitig ein Wettbewerb. Der Jodlerklub Heimelig hat es in Horw gut gemacht. Er wurde mit der Klasse 1, der besten, benotet.

Aufmerksam lauschen die Mitglieder den Ausführungen Köllikers. Von «beherrschter Jodeltechnik» ist die Rede, von «gut abgestimmten Jodel-Vokalisationen», von einer Darbietung, die ausgereift, kultiviert und kompakt» sei , aber «zu wenig Tragkraft im Lied» habe. Es sind Begriffe, mit denen man als Laie wenig anfangen kann. Die Jodler hingegen sehr wohl.

«Ich finde, es ist ein fairer Bericht. Schliesslich ist unser Hauptzweck, dass wir den Ansprüchen des Publikums gerecht werden», sagt Kölliker. Und weil «Stillstand Rückschritt ist», wird nun geprobt. Die Dirigentin sorgt dafür, dass die Kehlen der Jodler aufgewärmt und die Körper gelockert sind. Ein erstes Lied wird angestimmt. Zum ersten Mal füllt sich der Raum mit mehrstimmigem Gesang. «Höch vom Stock is Tanneruusche, ghörsch es Alphorn, muesch nur luusche», singen sie. Die Jodlerinnen setzen mit hellen Stimmen ein, formen melodiöse wortlose Vokale, die das Herzstück des Liedes bilden.

Hervorragende Baarer Werke
«Bleibt nah beieinander», fordert die Dirigentin die Sänger auf. «Es bringt nichts, wenn ihr Einzelkämpfer seid.» Sie meint das nicht nur stimmlich, sondern auch physisch. Der Jodlerchor Heimelig bleibt seinen Wurzeln treu.
Nebst zeitgenössischen Liedern werden hier nach wie vor zu einem grossen Teil die Jodellieder des Baarers Robert Fellmann gesungen. Es handle sich um «hervorragende» Werke, die man mit Stolz singe, betont Birbaum. Robert Fellmann gilt als der bedeutendste Jodellied-Komponist des 20. Jahrhunderts und war Mitbegründer des Jodlerklubs Heimelig.

Auch das nächste Lied, das angestimmt wird, stammt aus Fellmanns Feder. Es ist ein neues Stück, das geprobt wird. Konzentriert blicken die Bässe auf die Noten, etwas unsicher kommt die zweite Tenorstimme noch daher. Erst jetzt merkt man, wie anspruchsvoll die eigenen Stimmen sind und wie viel es braucht, damit das Ganze harmonisch klingt.

Eine der jüngsten Sängerinnen ist die 25-jährige Simone Hotz. «Tatsächlich habe ich anfangs nicht gross herumerzählt, dass ich jodle», sagt die Baarerin während der Pause. «Obwohl es die Leute eigentlich cool finden, dass ich das mache. Erst recht, da sie das von mir nicht denken würden.» Hotz hatte bereits Erfahrungen im Jugendchor und beim klassischen Gesangsunterricht gesammelt, bevor sie 2013 mit ihrer Freundin Simone Loser aus Neugierde eine Probe des Jodlerklubs Heimelig besuchte – beide sind bis heute dabei.

Nach fünf Jahren zur Jodlerin
«Es ging dann alles relativ schnell», erinnert sie sich. «Insbesondere, weil eine der bisherigen Jodlerinnen plötzlich aufhörte und man Ersatz benötigte.» Bald also musste Hotz das Repertoire auswendig können, damit sie an Konzerten mitjodeln konnte. Und das, obwohl es gemäss Präsident für eine Jodlerin etwa fünf Jahre brauche, um das Jodeln zu erlernen und bis sich die Jodelstimme entwickelt habe. «Es macht mich schon ein wenig stolz, hier dabei zu sein und jodeln zu können», erklärt Simone Hotz denn auch. Obwohl sie nie jemandem im Privaten etwas vorjodeln würde. «Das ist zu persönlich. Mich gibt es nur im Chor», sagt sie schmunzelnd, bevor sie sich auf den zweiten Teil der Probe konzentriert.

Das Jodeln als Solo
Vier Jodlerinnen sind im Baarer Jodlerklub dabei, zuzüglich der Dirigentin, die vorwiegend bei den Naturjodeln mitsingt oder dann, wenn Not an der Frau ist. Das klingt zunächst nach wenig, ist aber vergleichsweise viel. «Denn die Jodelstimme ist grundsätzlich als Solostimme geschrieben, weshalb normalerweise höchstens vier Jodlerinnen in der Stimme vertreten sind», erklärt Kölliker.

Die Jodlerinnen übernehmen quasi die Aufgabe einer ersten und zweiten Geige in einem Orchester. Zu den Jodlerinnen kommen Tenöre und Bässe hinzu. «Es gibt immer noch einige Jodlerklubs, die gar keine Frauen haben. Die Jodel-Parts werden von einzelnen Tenören übernommen, die das Jodeln beherrschen», erklärt Birbaum.

Beim nächsten Mal bitte auswendig
In der zweiten Hälfte der Probe befasst sich der Chor abermals mit einem neueren Lied. «Ich hoffe, dass ihr das Stück beim nächsten Mal auswendig könnt», sagt die Dirigentin streng. Zum Jubiläumskonzert am 28. September ist es nicht mehr lang.

Zum Schluss bildet die Gruppe einen Kreis. Die Stimmung verändert sich, wird plötzlich ausgelassen und wach. Zum Ende jeder Probe – als kleines Abschlussritual – wird eine einzelne Strophe des jeweils selben Liedes «Kamerade» von Mathias Zogg gesungen. Dann packen die Chormitglieder ihre Sachen und verlassen die Aula in Richtung «Baarbürgli». Denn wohl ist man im Chor, weil einem Traditionsbewusstsein und Musik gefallen. Die Gemeinschaft will aber ebenfalls gepflegt werden.

Text: Valeria Wieser