«Was passiert ist, bleibt unvergessen»

Literatur & Gesellschaft, Musik

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Am 27. September 2001 hörte die Welt in Zug auf, sich zu drehen. Auch 20 Jahre danach sind nicht alle Wunden verheilt.

  • Blick von der Empore in die Kirche St. Michael. (Bild Stefan Kaiser)
    Blick von der Empore in die Kirche St. Michael. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Die Worte im Titel stehen in der Einladung zum Gedenkanlass in der Kirche St.Michael in der Stadt Zug. Das Attentat im Zuger Kantonsrat jährte sich gestern zum 20. Mal. Landammann Martin Pfister begrüsste die Zugerinnen und Zuger zum Gedenkanlass. «Wir kommen zusammen, weil sich das Unaussprechliche gemeinsam besser ertragen lässt», so Pfister. Das öffentliche Andenken sei dem Regierungsrat auch wichtig, weil ein Angriff auf die demokratischen Institutionen erfolgt sei. «Der Attentäter hat unsere Grundwerte gestört, aber nicht zerstört.»

Angehörige, Überlebende, Rettungskräfte, auch Zugerinnen und Zuger besuchten zusammen mit der Zuger Regierung, amtierenden Kantonsrätinnen und Kantonsräten sowie Bundespräsident Guy Parmelin den gestrigen Gedenkanlass. «Jede und jeder verbindet mit dem 27. September 2001 eine persönliche Erinnerung. Diesen Erinnerungen wollen wir Platz geben», sagte Martin Pfister. Im Anschluss an Pfisters Worte liess die Sinfonietta Zug die Maurerische Trauermusik Mozarts erklingen.

Einer neuen, bis heute andauernden Realität ausgesetzt

Kantonsratspräsidentin Esther Haas richtete Worte wider das Vergessen an die Versammelten. «Von unvergessenem Schmerz sprach der griechische Dichter Aischylos vor 2500 Jahren. Unvergessen ist auch der Schmerz, den das Attentat vom 27. September 2001 in uns ausgelöst hat.» Am unmittelbarsten von den Ereignissen getroffen wurden die Angehörigen. Sie seien durch den Tod geliebter Menschen einer neuen Realität ausgesetzt worden, einer Realität, die bis heute andauere. «Es bleibt unvergessen, was damals geschah. Ihren verstorbenen Angehörigen und auch Ihnen ist dieser Anlass gewidmet.»

«Nur wer sich erinnert, verhindert, dass sich Geschichte wiederholt»

Nach einer Tragödie neigen die Menschen dazu, nach dem Sinn zu fragen. In der mörderischen Tat allerdings erkennen wir keinen Sinn. «Eine Antwort gab es jedoch, eine Antwort gibt es auch heute. Das Schicksal zwang uns, wie der Dichter Aischylos sagt, auf den Schrecken mit Weisheit zu antworten.» Das Attentat löste innerhalb des Kantons, schweizweit und über die Landesgrenzen hinaus nicht nur Bestürzung, sondern auch Solidarität und Mitgefühl aus. Das hat den Zugerinnen und Zugern gutgetan; dafür seien wir heute noch dankbar. «Heute erinnern wir uns an die Ereignisse vom 27. September 2001, denn nur wer sich erinnert, kann verhindern, dass sich Geschichte wiederholt.»

Die Zugerinnen und Zuger setzen mit dem jährlichen Gedenken an die Opfer der schrecklichen Tat auch ein Zeichen gegen jegliche Form von Gewalt, so die Kantonsratspräsidentin. In einer funktionierenden Demokratie gehöre der Dissens zum System. «Aber bei allem Dissens müssen wir uns unmissverständlich distanzieren von jeglichen gewalttätigen Auswüchsen.» Denn, so Esther Haas: «Unserem Zusammenleben in einer demokratischen und offenen Gesellschaft müssen Werte wie Solidarität und Gemeinsinn zugrunde liegen. Ich wünsche uns allen die Weisheit, uns der Wichtigkeit von Solidarität und Gemeinschaft bewusst zu werden und diese Weisheit im Alltag zu leben.»

Bundespräsident Guy Parmelin erinnerte an den schönen Herbsttag, der sich am 27. September 2001 ankündigte. Ein ganz normaler Tag, über den jäh Tod und Leid kam. «In unserer Generation hat sich dieses Attentat ins Gedächtnis eingebrannt», so Parmelin, «dieser feige Angriff auf unsere Institutionen.» Trotz aller Angst und allen Entsetzens hätten die Zugerinnen und Zuger sich jedoch nicht abgeschottet. «Im Gegenteil: Wir können uns frei bewegen und frei sprechen», so der Bundespräsident. «Das ist die einzig richtige Antwort und die vielleicht schönste Ehrerbietung, die wir den Verstorbenen und Verwundeten und den Angehörigen erweisen können.»

Ergreifende musikalische Segnung aller

«Benedizione di San Francesco» – so heisst das Werk des Zuger Komponisten Carl Rütti, das von der Zuger Sinfonietta und dem Chor Audite Nova Zug mit Sängerinnen des Zuger Kammerchors uraufgeführt wurde (siehe Box). Jeweils einer der insgesamt drei Sätze erklang wie zur Reflexion des Gesagten nach den verschiedenen Reden und ganz zum Schluss des Gedenkanlasses. Die Segnung von Bruder Leo durch den heiligen Franz von Assisi wirkt durch die Musik wie eine Segnung aller und unterstrich die Würde des Anlasses.

Der katholische Pfarrer Reto Kaufmann machte sich in Vertretung des krankheitshalber abwesenden Domherrn Alfredo Sacchi Gedanken dazu, ob die Zeit Wunden heile. Er meine ja, aber es blieben Narben, ob sichtbar, unsichtbar, die immer wieder schmerzen. Das Vertrauen in Gott helfe, diese Narben immer mehr verblassen zu lassen. Vergessen werde man sie nie, sie bleiben Teil eines jeden.

Andreas Haas, reformierter Pfarrer, sprach zum selben Thema wie Reto Kaufmann, legte dazu aber nicht einen Text aus dem Markus-Evangelium zugrunde, sondern ein Gedicht von Carola Moosbach, die selber Gewalt erlebt hat. Auch Haas kam zum Schluss, dass eine Heilung durch Gott möglich sei, man müsse lediglich den Mut haben, sich darauf einzulassen. (Harry Ziegler)