«Wir wollen nicht gefallen»

Musik

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Mitten in der Krise flammt in Zug keck der Verein Winkelzug auf. Fünf Zuger Profimusiker finden, dass Improvisation mehr Raum verdient – und schaffen diesen gleich selber.

  • Die Erfinder des Winkelzugs: Maurus Twerenbold, Samuel Büttiker, Martial In-Albon und Jasmin Lötscher. (Bild: Nora Nussbaumer)
    Die Erfinder des Winkelzugs: Maurus Twerenbold, Samuel Büttiker, Martial In-Albon und Jasmin Lötscher. (Bild: Nora Nussbaumer)
Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

«Du vergisst alles andere, jeden Gedanken lässt du hinter dir. Du bist im Moment, lässt daraus etwas entstehen, fällst Entscheidungen. Geh ich mit oder setzte ich woanders an?» So beschreibt der Zuger Trompeter Martial In-Albon, wie er das Improvisieren wahrnimmt.
Musik, die sich kaum Regeln beugen mag, auf Noten verzichtet, im Zusammenspiel mit anderen zum Dialog werden kann. Musik, die komplex ist und bei weitem nicht jedem behagt. Der neue Verein Winkelzug will nun dem Bereich der musikalischen Improvisation in Zug mehr Platz einräumen. Dahinter stecken neben dem Vereinspräsidenten In-Albon noch vier weitere Profimusiker*innen: Linus Meier, Maurus Twerenbold, Sämi Büttiker und Jasmin Lötscher. Sie alle sind im Kanton Zug aufgewachsen.
«In erster Linie ging es uns darum, dass eine Möglichkeit des Austauschs entsteht zwischen freischaffenden Musikern», sagt In-Albon zum Projekt. Trotzdem bekommt auch die Bevölkerung Winkelzug zu spüren. In den kommenden Monaten sind vier Doppelkonzerte mit mehrheitlich Zuger Musikern geplant. «Diese Konzerte sind quasi ein Neben­effekt. Sie bieten ideale Gefässe für einen Austausch und waren daher eine naheliegende Lösung.» Jeden Monat zwischen Oktober und Januar treten jeweils zwei Bands in der Gewürzmühle auf, die sich an diesen Abenden vorwiegend der Improvisation hingeben. Der Posaunist Maurus Twerenbold ist etwa mit seinem Non Harmonic Quartet dabei, die Sängerin Lauren Kinsella gemeinsam mit Alex Huber, Duo Frida tritt auf und Butt Butter alias Valeria Zangger und Simon Iten, die sich zwischen Dubstep und elektronischen Klängen bewegen.

Platz für Musik ausserhalb der Norm
Zwei Bands pro Abend; das hat seinen Grund. «Ich habe bereits zweimal Doppelkonzerte durchgeführt und dabei gemerkt, dass es sehr spannend sein kann, an einem Anlass Einblick in zwei verschiedene Welten zu erhalten. Ausserdem kommt meist mehr Publikum zusammen, da beide Musiker ihre Leute mitbringen», sagt In-Albon.
Auch wenn die Zahl der Gäste letztlich zweitrangig sei, wie er betont. «Wir wollen nicht primär gefallen. Bewusst schaffen wir als Verein Platz für Musik ausserhalb der Norm, zu der wohl nur eine Minderheit einen Zugang hat. Doch ist Improvisation ein Bereich, der existiert und der durchaus eine Hörerschaft findet.»
Das klingt nach viel Narrenfreiheit. Dennoch muss der Verein finanziert werden, allein um die Gagen zu decken. «Wir haben das Glück, dass wir das Projekt durch Stiftungen, aber auch durch Sponsoring und die öffentliche Hand breit abstützen können», erklärt der Musiker. «Das Organisieren von Veranstaltungen ist für uns jedoch Neuland. Gemäss unseren Berechnungen sollte es aber realistisch sein, allen auftretenden Musikern eine angemessene Gage zu zahlen.»

Noch viel zu lernen
Dass Musiker selber Konzerte veranstalten, ist eher ungewöhnlich. «Wir haben einen anderen Background als andere Veranstalter und müssen noch einiges lernen.» Doch sieht der Trompeter auch durchaus Vorteile darin. «Als professionelle Musiker kennen wir die Perspektive der Künstler gut und wollen entsprechend fair sein. Ausserdem verfügen wir alle bereits über ein Umfeld, in dem wir Winkelzug bekannter machen können.»
Die Welt steckt noch mitten in der Krise. Eine Krise, die auch der Kultur ziemlich zu schaffen macht. Ist der Verein Winkelzug ein Baby der Pandemie, geboren aus dem Bedürfnis, sich zusammenzurotten und so an Stärke zu gewinnen? «Nein, die Idee dazu entstand im Januar dieses Jahres und demnach gerade vor Corona. Den Bettel deswegen hinzuwerfen, kam für uns jedoch nicht in Frage. Die Gründungsveranstaltung führten wir einfach per Zoom durch», sagt der gebürtige Unterägerer und zuckt mit den Schultern. «Ausserdem kann man ja auch  trotz Corona Konzerte veranstalten», sagt Martial In-Albon optimistisch. Dass Improvisationsmusik ein eher kleines Publikum anzieht, kommt dem Verein in dieser sonderbaren Zeit mit all seinen Sicherheitsvorgaben zugute.

Wie bekommt man Zugang zu dieser Musik?
Wer weiss, vielleicht wagt sich die eine oder andere Zugerin dank Winkelzug in neue kulturelle Gefilde. Hat In-Albon ein Rezept bereit, wie es am besten gelingt, sich einen Zugang zu dieser Form der Musik zu verschaffen?
«Das Wichtigste ist, dass man sich voll auf die Musik einlässt. Denn meist haben wir bereits eine Vorstellung im Kopf, wie etwas klingen muss», sagt der Zuger. «Bei Konzerten schliesse ich meist die Augen. Wir sind so sehr aufs Visuelle fixiert, dass wir erst mit geschlossenen Augen merken, welche ausgeprägten Fähigkeiten das Gehör hat.»

Wie in Beziehungen
Und wie ergeht es den Musiker*innen dabei? Was ist für ihn wichtig beim musikalischen Improvisieren mit anderen? «Es ist ein wenig wie mit Beziehungen. Wenn man seinen Partner gut kennt, weiss man, wie er auf eine Situation reagieren wird. Mit der Zeit stimmt man sich aufeinander ab», erklärt In-Albon. «Das heisst jedoch nicht, dass das Improvisieren miteinander funktioniert, nur weil man sich kennt. Auch alte Bekannte reden manchmal aneinander vorbei.» Entsprechend könne Improvisation auch zwischen zwei Musikern funktionieren, die sich noch nie gesehen haben. «Womöglich kann das sehr spannend werden, da es noch keine gemeinsamen Muster gibt und man stärker bereit ist, etwas Neues auszuprobieren.»

Zurück nach Zug
Martial In-Albon wohnt seit einigen Jahren in Zürich. Warum hat er die Idee für Winkelzug nicht dort umgesetzt? «Es gibt mehrere Gründe. Zum einen, da es in Zug noch nichts Vergleichbares gibt. Zum anderen, weil ich hier im Kanton aufgewachsen bin. In meiner Jugend besuchte ich häufig die Galvanik und die Industrie45, profitierte von der Zuger Kultur und wirkte als Sänger einer Metalband selber mit», sagt In-Albon lachend. «Auch jetzt spiele ich immer wieder in Zug und habe hier deshalb ein grosses musikalisches Netzwerk.»
Nun wirken In-Albon und seine Vereinsmitglieder mit Winkelzug erneut in der Zuger Kulturszene mit. Etwas leiser als damals mit der Metalband. Aufregend könnte es trotzdem werden.

Hier geht es zur ersten Veranstaltung von Winkelzug.

(Text: Valeria Wieser)