Jump & Jive wie anno dazumals
Theater & Tanz, Musik
Zu hundert Jahre alter Musik das Tanzbein schwingen klingt maximal nach einer Nachmittagsbeschäftigung für Grosseltern, könnte man meinen. Blödsinn, sagte sich eine Gruppe junger Musiker*innen und bittet zum Tanz.
Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.
«Die Idee dazu kam nach einem Interview 2019», erzählt Linus Meier, der Präsident des Vereins Chicago Swing Night. «Da sassen ein paar Zuger Jazzmusiker an einem Tisch und haben darüber sinniert, wie man in Zug Jazz veranstalten und auffrischen kann. Und dabei kamen wir auf die Idee, dass wir das Rad gar nicht mal neu erfinden müssen.»
Aus diesem Gespräch entstanden ist die Chicago Swing Band, eine Ad-hoc-Formation, die sich ganz der Big-Band-Musik der 20er- und 30er-Jahre verschrieben hat. Das ist die Musik von Count Basie, Duke Ellington, Cab Calloway, Louis Armstrong, Ella Fitzgerald – arrangiert und ausnotiert. Eigentlich ungewöhnlich im Jazz, wo man in der Regel ohne Noten spielt. «Swingmusik, gerade in diesem Kontext, hat eine andere Absicht», erzählt Meier weiter. «Wir spielen, damit die Menschen tanzen können. Das heisst, wir dürfen nicht zu kompliziert solieren oder krasse Brüche in die Musik einbauen.» Die Faszination, so zu spielen, komme von der Wechselwirkung mit den Tanzenden. «Es findet ein Energieaustausch statt. Als Musiker hast du zu – und das ist eigentlich ein Unwort, hier aber passend – viben. Wenn du die Musik so richtig fühlst, dann siehst du das gleich vor dir, weil dann auch die Tänzer*innen mitviben.» Und so stellte sich die siebenköpfige Band im Januar 2020 das erste mal auf die Bühne. «Full House und grosse Resonanz», fasst Meier den Abend zusammen. «Darum haben wir die Pandemiezeit dazu genutzt, mit der Chicago Bar eine Partnerschaft einzugehen und auszuprobieren, damit wir ein längerfristiges Konzept entwickeln können.»
Lindy-wie-bitte?
Die Chicago Swing Band spielt, wie der Name vermuten lässt, in der Chicago Bar in Zug. Bei Ankunft sieht man durch die Drehtüre eine Gruppe Menschen, die sehr ausgelassen im Kreis hüpfen: Es ist der Lindy-Hop-Crashkurs, der vor jedem Konzert angeboten wird.
Lindy-was? Als Lindy-Hop bezeichnet man den aus Harlem (New York) stammenden Tanzstil für Swingmusik. Der Legende nach erhielt er seinen Namen von der Atlantiküberquerung von Charles Lindbergh, welche oft mit den Worten «Lindy hopped the Atlantic» beschrieben wurde. Der Lindy-Hop ist eine Fusionierung von vorangehenden Tanzstilen wie etwa dem Charleston, dem Cakewalk oder dem Texas Tommy. Der Lindy-Hop ist ein Partnertanz, bei dem sich die zwei Tanzenden quasi konstant im Kreis drehen und nach Gusto die linke oder rechte Hand loslassen (send out) und simpel bis schwindelerregend kompliziert die Hand wieder ergreifen (take in). Getanzt wurde vor allem im Savoy-Ballroom in Harlem, einem der wenigen nicht-segregierten Orte in den USA.
Platz zum Tanzen
Mit dem Fortschritt in der Lautsprechertechnik und den Steuerabgaben auf Livemusik verschwanden die grossen Big-Band-Formationen in den 40er-Jahren langsam von der Bühne und machten Platz für Neues, wie den Rock ’n’ Roll und den Bebop.
Seit den 80er-Jahren erlebt der Swingdance – und mit ihm die Big Band – ein Revival, so dass sich auf dem ganzen Globus Swingdance-Communitys gegründet haben, die diese Tanzkultur weiterleben lassen.
Um Punkt 21 Uhr versammeln sich die Musiker*innen der Chicago Swing Band auf der Bühne. Der Platz vor der Bühne ist noch leer – schlägt der Hemmungskreis etwa zu? Nichts dergleichen. Lukas Christen und Annina Koch – die Crashkurs-Tanzlehrer – machen den Anfang und tanzen, als gäbe es kein Morgen mehr. Dieses Platzmachen am Anfang eines Sets ist auch ein Teil der Tanztradition, stellt sich im Verlauf des Abends heraus.
Denn kaum wird die zweite Nummer angespielt, gibt es kein Halten mehr. Jung und Alt, Anfänger oder Vollprofi, sie alle füllen die Tanzfläche. Ob konzentriert den Grundschritt zählend (Schritt-Schritt-Triple Step) oder wie ein Fisch im Wasser komplizierte Pirouetten und übers Kreuz tanzend.
Secondhand-Nostalgie
Wo man auch hinschaut es wird getanzt, wie man es nur aus alten Filmen kennt. Selbst ein Besucher an der Bar, der nicht gekommen ist, um zu tanzen, bemerkt: «Langsam chunnt sogar bi mier s Risse!» und sinniert darüber, woher diese Stimmung im Saal kommt. Denn die ist grossartig. Ego und «Blöffereien» scheinen nicht zu existieren, man freut sich genauso über ein tolles Solo am Saxofon wie über einen Tänzer, der sich immer mal wieder verzählt und trotzdem weitermacht. Es ist ein Zelebrieren einer Tradition, welche die meisten Menschen in diesem Raum nicht mehr miterlebt haben. Es ist ein Gefühl der Nostalgie, nur eben nicht nach unserer eigenen Kindheit, sondern der unserer Vorfahren. Und das alles untermalt von ziemlich tighter Swingmusik.
zugkultur.ch/33GaG8
(Text: Laura Livers)
«Die Idee dazu kam nach einem Interview 2019», erzählt Linus Meier, der Präsident des Vereins Chicago Swing Night. «Da sassen ein paar Zuger Jazzmusiker an einem Tisch und haben darüber sinniert, wie man in Zug Jazz veranstalten und auffrischen kann. Und dabei kamen wir auf die Idee, dass wir das Rad gar nicht mal neu erfinden müssen.»
Aus diesem Gespräch entstanden ist die Chicago Swing Band, eine Ad-hoc-Formation, die sich ganz der Big-Band-Musik der 20er- und 30er-Jahre verschrieben hat. Das ist die Musik von Count Basie, Duke Ellington, Cab Calloway, Louis Armstrong, Ella Fitzgerald – arrangiert und ausnotiert. Eigentlich ungewöhnlich im Jazz, wo man in der Regel ohne Noten spielt. «Swingmusik, gerade in diesem Kontext, hat eine andere Absicht», erzählt Meier weiter. «Wir spielen, damit die Menschen tanzen können. Das heisst, wir dürfen nicht zu kompliziert solieren oder krasse Brüche in die Musik einbauen.» Die Faszination, so zu spielen, komme von der Wechselwirkung mit den Tanzenden. «Es findet ein Energieaustausch statt. Als Musiker hast du zu – und das ist eigentlich ein Unwort, hier aber passend – viben. Wenn du die Musik so richtig fühlst, dann siehst du das gleich vor dir, weil dann auch die Tänzer*innen mitviben.» Und so stellte sich die siebenköpfige Band im Januar 2020 das erste mal auf die Bühne. «Full House und grosse Resonanz», fasst Meier den Abend zusammen. «Darum haben wir die Pandemiezeit dazu genutzt, mit der Chicago Bar eine Partnerschaft einzugehen und auszuprobieren, damit wir ein längerfristiges Konzept entwickeln können.»
Lindy-wie-bitte?
Die Chicago Swing Band spielt, wie der Name vermuten lässt, in der Chicago Bar in Zug. Bei Ankunft sieht man durch die Drehtüre eine Gruppe Menschen, die sehr ausgelassen im Kreis hüpfen: Es ist der Lindy-Hop-Crashkurs, der vor jedem Konzert angeboten wird.
Lindy-was? Als Lindy-Hop bezeichnet man den aus Harlem (New York) stammenden Tanzstil für Swingmusik. Der Legende nach erhielt er seinen Namen von der Atlantiküberquerung von Charles Lindbergh, welche oft mit den Worten «Lindy hopped the Atlantic» beschrieben wurde. Der Lindy-Hop ist eine Fusionierung von vorangehenden Tanzstilen wie etwa dem Charleston, dem Cakewalk oder dem Texas Tommy. Der Lindy-Hop ist ein Partnertanz, bei dem sich die zwei Tanzenden quasi konstant im Kreis drehen und nach Gusto die linke oder rechte Hand loslassen (send out) und simpel bis schwindelerregend kompliziert die Hand wieder ergreifen (take in). Getanzt wurde vor allem im Savoy-Ballroom in Harlem, einem der wenigen nicht-segregierten Orte in den USA.
Platz zum Tanzen
Mit dem Fortschritt in der Lautsprechertechnik und den Steuerabgaben auf Livemusik verschwanden die grossen Big-Band-Formationen in den 40er-Jahren langsam von der Bühne und machten Platz für Neues, wie den Rock ’n’ Roll und den Bebop.
Seit den 80er-Jahren erlebt der Swingdance – und mit ihm die Big Band – ein Revival, so dass sich auf dem ganzen Globus Swingdance-Communitys gegründet haben, die diese Tanzkultur weiterleben lassen.
Um Punkt 21 Uhr versammeln sich die Musiker*innen der Chicago Swing Band auf der Bühne. Der Platz vor der Bühne ist noch leer – schlägt der Hemmungskreis etwa zu? Nichts dergleichen. Lukas Christen und Annina Koch – die Crashkurs-Tanzlehrer – machen den Anfang und tanzen, als gäbe es kein Morgen mehr. Dieses Platzmachen am Anfang eines Sets ist auch ein Teil der Tanztradition, stellt sich im Verlauf des Abends heraus.
Denn kaum wird die zweite Nummer angespielt, gibt es kein Halten mehr. Jung und Alt, Anfänger oder Vollprofi, sie alle füllen die Tanzfläche. Ob konzentriert den Grundschritt zählend (Schritt-Schritt-Triple Step) oder wie ein Fisch im Wasser komplizierte Pirouetten und übers Kreuz tanzend.
Secondhand-Nostalgie
Wo man auch hinschaut es wird getanzt, wie man es nur aus alten Filmen kennt. Selbst ein Besucher an der Bar, der nicht gekommen ist, um zu tanzen, bemerkt: «Langsam chunnt sogar bi mier s Risse!» und sinniert darüber, woher diese Stimmung im Saal kommt. Denn die ist grossartig. Ego und «Blöffereien» scheinen nicht zu existieren, man freut sich genauso über ein tolles Solo am Saxofon wie über einen Tänzer, der sich immer mal wieder verzählt und trotzdem weitermacht. Es ist ein Zelebrieren einer Tradition, welche die meisten Menschen in diesem Raum nicht mehr miterlebt haben. Es ist ein Gefühl der Nostalgie, nur eben nicht nach unserer eigenen Kindheit, sondern der unserer Vorfahren. Und das alles untermalt von ziemlich tighter Swingmusik.
zugkultur.ch/33GaG8
(Text: Laura Livers)