Schreiben wie ein offenes Rasiermesser
Dies & Das
Barbi Marković residiert bis Jahresende auf Einladung der Landis & Gyr Stiftung in Zug. Diesen Sommer las die preisgekrönte Autorin erstmals in der Region und sprach über ihre Pläne.
Zug – Dieser Artikel erschien in der September-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.
Ob das nun ein kleines Festival oder ein grosses Sommerfest ist auf dem Hof Tannhüsern, darauf wollen sich nicht einmal die Veranstalter festlegen. Offensichtlich ist aber eine kleine Sensation gelungen, als Barbi Marković zugesagt hat, auf dem Bauernhof zu lesen. Knapp fünfzig Menschen sitzen am Vorabend des 1. August im schattigen Obstgarten, die meisten kennen die vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin höchstens vom Hörensagen. Im Gespräch mit der Moderatorin wirkt Marković, als sei ihr die Aufmerksamkeit des Publikums zu viel – selbst hier auf der kleinen Bühne unweit von Malters. Dabei sollte sie den Rummel um ihre Person inzwischen gewohnt sein.
Welche Etikette darf ’s sein?
Spätestens seit die Schriftstellerin 2024 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, reissen sich im deutschsprachigen Literaturbetrieb alle um sie. Von der NZZ bis zur WOZ, von der «Bild» bis zum «Standard» haben alle über die 1980 geborene Serbin geschrieben, die seit 20 Jahren in Wien lebt. «In Österreich schreiben sie Serbien in Klammern, lese ich in Belgrad, kommen sie auch nicht ohne den Hinweis auf Österreich aus», erzählt Marković, als ich sie frage, ob sie nun eine österreichische, serbische oder vielleicht europäische Schriftstellerin sei. Sie störe sich nicht an solchen Etiketten und halte sie doch für unnötig: «Dieses Bedürfnis, Identität an grosse Gruppen zu knüpfen, habe ich nicht», sagt sie. Am liebsten sei es ihr, wenn man sie als Wiener Schriftstellerin bezeichne, dort sei sie inzwischen zu Hause. In Wien leben auch Mini und Miki, die beiden Protagonist*innen des 2023 publizierten Bandes «Minihorror». Mini und Miki, die mit den Disney-Mäusen neben den Namen auch den Hang zum Biedersinn teilen, kämpfen sich in 27 Geschichten durch mal mehr, mal weniger grausige Horrorszenarien. Auf Tannhüsern liest Marković eine Episode, in der sich Mini redlich bemüht, österreichischen Weihnachtstraditionen gerecht zu werden – und kolossal scheitert am Versuch, alles richtig zu machen. Je länger Marković liest, desto mehr kommt sie in Fahrt, hebt mal mahnend den Zeigfinger, kann sich dann ein Grinsen nicht verkneifen und zieht das Publikum in ihren Bann. Lakonisch kommentiert sie die Namen der beiden Figuren – sehr vertraut seien die uns, nicht so wie Milica, was den Menschen hier fremd klingt. Überhaupt sei es doch bemerkenswert, dass sich das Publikum hierzulande problemlos mit Figuren amerikanischer Schriftsteller wie Stephen King identifizieren könne, gleichzeitig aber Literatur aus Europa irgendwie exotisch finde.
Die Geschichten über Mini und Miki, die den Horror beim Familienbrunch und vor dem Kühlregal durchspielen, spiegeln Markovićs Gabe, den Alltag präzise zu beobachten und gleichzeitig komplett zu überzeichnen. So bringt sie die Realität derart ins Wanken, dass die Zerbrechlichkeit der Normalität sichtbar wird. Mini und Miki erleben Tag für Tag, wie wenig es braucht, damit vermeintlich Unumstössliches plötzlich kippt. Das ist wahnsinnig witzig – bis einem das Lachen im Halse stecken bleibt, wenn man angesichts unfassbar hoher Zölle befürchtet, dass Marković nicht nur ein Händchen für Surrealismus hat, sondern auch ein ausgezeichnetes Gespür für Gegenwartsanalysen.
Rausgeworfen oder gehypt?
«Jemand hat mal geschrieben, meine Texte würden sich lesen wie Skizzen für richtige Bücher», erzählt Marković. Das habe ihr gefallen, auch wenn es wohl nicht als Kompliment gemeint war. Überhaupt gibt es im Literaturbetrieb auch Stimmen, die von ihrem Schreiben nicht viel halten, die sich mit ihrer Freude am Experiment nicht anfreunden können. Unverschämt finden sie es, wenn sie lang und breit darüber schreibt, dass sie nicht weiss, was sie schreiben soll – dabei hatte das schon ihre Grundschullehrerin Slobodanka Milošević strengstens verboten. «Irgendwie habe ich mich immer am Rande des Legalen bewegt mit meiner Literatur, entlang der Grenzen des Erlaubten», erzählt Marković weiter. Sie rechne ständig damit, dass man sie rausschmeisst aus der Literatur. Passiert ist in den letzten Jahren das Gegenteil – der Literaturbetrieb hievt die Autorin immer wieder aufs Podest. Will man einen Zugang zu Barbi Markovićs Werk finden, liest man am besten das soeben publizierte «Stehlen, schimpfen, spielen». Daraus stammt auch die Episode über die Lehrerin. Das Buch basiert auf den Salzburger Poetikvorlesungen, die Marković im vergangenen Jahr gehalten hat. Den Titel als Anspielung an den Bestseller «Eat Pray Love» zu deuten, ist so naheliegend wie abwegig. Und genau diese Nähe von Irrsinn und Hellsichtigkeit ist wohl das, was sich durch Markovićs Werk zieht, obwohl ihre bisherigen Texte formal immer wieder ganz neuen Regeln folgen.
Die Sprachen-Frage
Ihren Erstling «Ausgehen» – auf Serbisch verfasst und 2006 unter dem Titel «Izlaženje» publiziert – hat Marković aus dem Versuch entwickelt, Thomas Bernhards «Gehen» ins Serbische zu übertragen. Als es ihr zu kompliziert wurde mit dem Übersetzen, habe ich das Buch in die Belgrader Clubszene übertragen. Aus Thomas Bernhards alternden Männern wurden junge Frauen, aus dem Gehen wurde Ausgehen. Geblieben ist die bedrückende Atmosphäre, die von Zerfall, von Enge und latenter Gewalt geprägt ist. Diese Grundstimmung kann und wird als Echo auf Kriegserfahrungen und deren Nachwirkungen gelesen – bei Bernhard wie bei Marković. Einen Remix zu produzieren, war Anfang der Nullerjahre in der Musik eine beliebte Praxis. Marković hat das Konzept in die Literatur überführt, verspielt und treffsicher zugleich. Ihr zweites Buch, das 2016 auf Deutsch unter dem Titel «Superheldinnen» publiziert wurde, begann sie auf Serbisch zu schreiben – und wechselte dann im Laufe der Zeit auf Deutsch. Als zweisprachige Autorin ist sie in guter Gesellschaft: So schreiben etwa Chimamanda Ngozi Adichie auf Englisch und Igbo, Elif Shafak auf Türkisch und Englisch und die Nobelpreisträgerin Herta Müller sowohl auf Deutsch wie auch Rumänisch. Trotzdem werde sie bei fast jeder Lesung danach gefragt, wie es denn so sei, in «unserer deutschen Sprache» zu schreiben. Damit kann Marković wenig anfangen, daraus eine Identität zu konstruieren, ist erst recht nicht ihr Ding. In «Stehlen, schimpfen, spielen» gibt sie darum kurz und knapp eine Antwort, die weite- res Nachhaken überflüssig macht: Eine Sprache zu lernen sei «verdammt schwer, teuer und langwierig». Es sei aber eine erlernbare Fähigkeit. Ständig danach gefragt zu werden: das nervt. Aber ja, auch das lässt sie nicht ungesagt: Es sei schön, auf Deutsch zu schreiben – weil etwas zu können eben immer schön sei.
Barbi Marković kann vieles – auch mit Theatertexten hat sie schon ihr Publikum gefunden und Jurys begeistert. So hat sie nun auch die ersten Wochen in Zug dafür genutzt, zwei Texte fürs Theater fertigzustellen. Der eine ist für eine Wiener Produktion, der andere ihr erstes Auftragswerk für das Schauspielhaus Zürich. «3 Schwestern» heisst es und handelt von Frauen, die sich so nahe sind, «dass sie sich gegenseitig bei der kleinsten Bewegung zwangsläufig verletzen», schreibt das Schauspielhaus. Und weiter: «Die Parallelen zu Tschechows berühmtem Stück seien purer Zufall und volle Absicht.» Typisch Marković. Gar nicht üblich ist, dass sie sich vor- genommen hat, in Zug einfach mal zu entspannen. «Die letzten Jahre bin ich noch mehr zwischen Deadlines und Terminen gehetzt als sonst», sagt sie. Nun habe sie sich vorgenommen, bis in den Winter hinein jeden Tag im See baden zu gehen. «Und dann muss ich mich wieder neu erfinden und schauen, was dabei herauskommt. Das wird Zeit brauchen, sicher eine Woche!»
Text: Anna Chudozilov