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Ein historisches Bauernhaus am Zuger Stadtrand wird nach modernem Standard umgebaut und seine alte Bausubstanz dabei vollständig erhalten. Die Renovation kann als Leuchtturmprojekt bezeichnet werden.

  • Das renovierte Haus mit dem externen Treppenturm und Lift. (Bild PD)
    Das renovierte Haus mit dem externen Treppenturm und Lift. (Bild PD)

Zug – In einem steht die Schweiz denjenigen Ländern, welche in den Zweiten Weltkrieg involviert waren, deutlich nach: Sie geht grundsätzlich nicht besonders zimperlich um mit ihrem bauhistorischen Erbe. Während die umliegenden Länder in den vergangenen Jahrzehnten – der enormen Verluste gewahr – ein Gespür entwickelt haben, ihr kostbares historisches Architekturinventar wertzuschätzen und entweder mit Umsicht zu erhalten oder gar wieder herzustellen, so opfert man in der Schweiz das Kulturgut vielerorts mit eklatanter Ignoranz und Rücksichtslosigkeit zu Gunsten rentablerer Neubauten. Ganze historisch gewachsene Ortsbilder haben in jüngerer Zeit aus solchen Motiven heraus ihr Gesicht verloren – unwiederbringlich. Im Kanton Zug schlägt sich diese bedenkliche Entwicklung in besonderem Masse nieder.

Doch es gibt sie auch hier, die Menschen mit dem bewundernswerten Sinn dafür, Zeitzeugen vergangener Jahrhunderte zu erhalten. Und sie zeigen beispielhaft auf, wie sich solche Baujuwelen zu modernen Wohnräumen umwandeln lassen, welche den Ansprüchen der heutigen Gesellschaft gerecht werden, dabei aber kaum etwas von ihrem historischen Charme einbüssen und somit dem Wohnerlebnis ein ganz besonderes Plus verleihen.

Ein eindrückliches Beispiel einer solchen gelungenen Erhaltungsaktion ist die Adresse Chamerstrasse 98 in Zug. Das von der Hauptstrasse leicht zurückversetzte Bauernhaus «Lorzen», welches mit der benachbarten Scheune und einem Waschhaus ein geschlossenes Ensemble bildet, stammt in seinem Kern aus der Mitte des 17. Jahrhunderts – eine entdeckte Kantholzeinkerbung nennt das Jahr 1666. Sein heutiges Erscheinungsbild im typischen Schweizer Holzstil hat es im Zuge eines Aus- und Umbaus im Jahr 1886 erhalten. Es weist demzufolge den damals hierzulande verbreiteten Zierrat in reicher Fülle auf und ist gemäss Einschätzung der Zuger Denkmalpflege sowohl innen wie aussen weitestgehend original erhalten und in einem so guten Zustand, dass dem Gebäude hoher Seltenheitswert zukommt.

Die Ursprünge des Bauernhauses gehen auf die Zeit zurück, als durch die Absenkung des Zugerseespiegels von 1591/92 zwischen Zug und Cham neues Nutzland gewonnen wurde. Entlang der neuen Wegachse entstanden Höfe, von denen heute noch einige existieren, der Hof «Lorzen» mit dem hier thematisierten Wohnhaus oder gegebenenfalls dessen Vorgängerbau gehörte dazu. 1884 kam der Hof in den Besitz von Alois Stadlin, welchem seit 1867 bereits der näher zur Stadt gelegene Hof «zum Brüggli» – heute Chamerstrasse 92 – gehört hatte. Folglich gab Stadlin 1886 den oben erwähnten Umbau des Hauses «Lorzen» in Auftrag.

Sorgsamer Umgang mit der Bausubstanz

Das Gebäude hat einen quadratischen Grundriss. Der Blockbau mit Satteldach steht auf einem massiven Steinsockel und weist beidseitig je eine geschlossene Laube sowie einen steinernen Treppenaufgang auf. Im Inneren gliedern sich die Räume auf den Hauptgeschossen links und rechts entlang eines Korridors. Fast alle von ihnen sind mit einem unterschiedlichen, original erhaltenen Parkettboden sowie mit Felderdecken und Wandvertäfelungen ausgestattet. Selbst die Türen – teils mit geätzten Verglasungen – sind so gut wie vollständig aus der Umbauzeit erhalten, genau wie die Dachziegel. Die Küche und sanitären Anlagen sind das Einzige, was in den letzten rund 130 Jahren eine Modernisierung erfahren hat. Dieser bemerkenswerte Erhaltungszustand des gesamten Gebäudes zeugt von einem sehr sorgsamen Umgang mit der Substanz über all die Jahrzehnte.

Der heutige Besitzer des Hofes, ein Nachfahre Stadlins, ist im alten Bauernhaus aufgewachsen, seine Mutter bewohnte es bis 1998. Er selbst lebt seit 1996 in einem angrenzenden Neubau. Einige Jahre wirkte ein künstlerisch tätiger Dominikanerpater im Haus «Lorzen», doch seit dessen Ableben 2016 stand das Gebäude leer. 2018 liess der Eigentümer eine künftige Nutzung des Gebäudes prüfen. Vorgesehen waren zwei Wohnungen, die obere mit Einbezug des Dachstockes – ein Fachbericht bestätigte die Machbarkeit. Um für diese Adaption möglichst wenig von der erhaltenen Bausubstanz einzubüssen, war seitlich ein sogenannter Erschliessungsturm mit Aufzug vorgesehen, über den die beiden Wohnungen unabhängig voneinander von aussen her zugänglich sein sollten. Die Gebäudehülle wurde gedämmt und konnte vollständig erhalten werden.

Beinahe das ganze alte Innenleben bleibt erhalten

«Bis auf die – originalgetreu rekonstruierte – Decke im obersten Korridor und eine Verbindungstreppe mussten wir von der historischen Innenausstattung so gut wie nichts entfernen», sagt der für den Umbau verantwortlich zeichnende Zuger Architekt Oliver Guntli. «Die gesamte Grundstruktur erwies sich als vollkommen intakt, musste lediglich partiell etwas verstärkt werden», führt er aus. Der Ersatz der veralteten Elektrik, der Einbau einer Zentralheizung wie auch moderner Küchen und Bäder waren aus selbsterklärenden Gründen angezeigt.

Allerdings kam man nicht drum herum, einige der ganz alten Fenster aus energie- und schalltechnischen Gründen zu erneuern. Doch wo immer möglich, wurden selbst die historischen Fensterverriegelungen erhalten. Das Ganze geschah unter Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt. Für Oliver Guntli war der Umbau der Chamerstrasse 98 ein besonderer Auftrag. «Es ist etwas Schönes, dass wir Häuser wie dieses erhalten dürfen, damit alle seine Geschichten weiterleben.» Das war denn auch das Grundmotiv des Eigentümers, welcher das Haus «Lorzen» fest mit seiner Kindheit verknüpft und somit «sehr an ihm hängt», wie er sagt.

Die Chamerstrasse 98 wird somit zu einer Art Leuchtturmprojekt und zeigt anschaulich, mit welchen Mitteln und Wegen es heutzutage möglich ist, modernen, zeitgemässen und vor allem attraktiven Wohnraum zu schaffen, ohne dass historisches Bauinventar geopfert wird und unwiederbringlich verloren geht. Dass solches in der Öffentlichkeit auf grosses Interesse stösst, zeigte sich an den Zuger Denkmaltagen 2021, im Rahmen derer das kurz zuvor fertig umgebaute Haus besichtigt werden konnte. Rund 180 Besucherinnen und Besucher wollten sich das Resultat anschauen – und waren tief beeindruckt. (Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.