Der Mann, der halb Zug baute

Literatur & Gesellschaft

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Architektur von Walter Flueler» – so heisst ein neues Buch, das jüngst der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Interessant ist, dass selbst Insider zugeben, sich der Bedeutung dieses richtungsweisenden Zuger Baumeisters kaum bewusst gewesen zu sein.

  • Schlicht, aber mit Stil: Das erste Hochhaus der Stadt Zug, 1957 gebaut von Walter Flueler (im Bild rechts). (Bild Stefan Kaiser)
    Schlicht, aber mit Stil: Das erste Hochhaus der Stadt Zug, 1957 gebaut von Walter Flueler (im Bild rechts). (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Wer hat eigentlich das erste Hochhaus in Zug gebaut? Da denken die meisten wohl sofort an den «Glashof» an der Baarerstrasse 43 – der dort ab 1966 beim Bahnhof stolz in die Höhe ragte und den die legendären Zuger Architekten Fritz Stucky und Rudolf Meuli entworfen hatten. Doch das stimmt nicht.

Das erste Hochhaus in Zug entstand zwar ebenfalls an der Baarerstrasse, jener urbanen «Aorta» Zugs, an der Jahrzehnte später noch weitere «Skyscraper» in die Höhe schiessen. Doch damals, 1957, befand sich der elfstöckige Bau an der Baarerstrasse 122 noch allein auf weiter Flur – und stellte trotzdem im Nachkriegszug bereits den unbändigen Willen zur Moderne des Zugers Walter Flueler unter Beweis.

Hochhaus passt sich heute perfekt ins Stadtbild ein

Das Hochhaus passt sich heutzutage sogar bestens in seine unmittelbare Nachbarschaft mit dem Zugorama von V-Zug und den dynamischen Bebauungen des Kistenfabrik-Areals von Wiederkehr und Krummenacher ein. Das jüngste Hochhaus von Phi­lipp Brühwiler an der Baarerstrasse 125 vollendet quasi die architektonische Pionierleistung Fluelers in Zug. Kurios: Brühwiler begann seine berufliche Laufbahn bei Walter Flueler.

Doch wer ist dieser Walter Flueler eigentlich, der 2014 im Alter von 82 Jahren verstarb? Schliesslich musste selbst Thomas Baggenstos, Architekt und Präsident des Bauforums Zug, jüngst bei seiner Laudatio zur Buchvernissage bei der Kalt Medien AG in Zug einräumen, dass ihm «nicht unbedingt bewusst war, wie viele der Bauten von Walter Flueler das heutige Stadtbild von Zug tatsächlich prägen». Flueler, in Cham geboren und als siebtes Kind einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, beginnt 1948 seine Bauzeichnerlehre im Büro Karl Aklin und Heinrich Gysin in Zug. In einer Zeit, so Baggenstos, in der man in ganz Europa immer noch daran gewesen sei, mit den Folgen des grossen Krieges umzugehen, Tausende von Menschen obdachlos waren, und die Infrastruktur neu gebaut werden musste. «Dies alles musste schnell geschehen, es galt, ­adäquate technische und ästhe­tische Mittel dazu zu finden.» ­Dabei holt Heinrich Gysin den früheren Lehrling in sein Architekturbüro zurück, und Flueler macht sich schnell an die Arbeit. In einer Mischung aus Neugier, autodidaktischem Pragmatismus und grossem Talent entwickelt der Selfmademan dabei eine eigene Architektursprache, zu der er sich von grossen Stars der internationalen Architekturszene wie Alvar Aalto, Le Corbusier und Frank Lloyd Wright inspirieren liess und die er mit Augenmass auf Zuger Verhältnisse umsetzte. Eine moderne, funktionale und gleichzeitig sehr ansehnliche Bauweise ist das Resultat, das in Zug auf grosse Gegenliebe stösst.

Flueler baute seinem Chef eine faszinierende Villa

Wobei, wie Zugs früherer Stadtarchitekt Fritz Wagner in seinem Beitrag zum Lebenswerk des Architekten erzählt, Fluelers Patron Heinrich Gysin «als Stadtrat und Verwandter von einflussreichen Familien in Zug über beste Kontakte verfügt (...), und es versteht, Konsortien zu bilden, die immer wieder neue Projekte lancieren.» Pikant: Der Name Fluelers erscheint vorerst nicht auf den Plänen des Architekturbüros Gysin. Und die patronale Haltung des Chefs hat die etwas seltsame Art, so Wagner weiter, «dass Heinrich Gysin seinen ehemaligen Lehrling lebenslang duzt, während Walter Flueler umgekehrt immer Herr Gysin sagte.»

Doch das macht Flueler nichts aus. Im Gegenteil. Hat er seinem Chef wohl bereits grössten Respekt abgerungen angesichts des atemberaubend modernen und gleichzeitig doch schlichten Einfamilienhauses am Hänibüel 10a, das er 1960 für Heinrich Gysin am Zuger Hang gebaut hat. Während die Villa mit Umschwung draussen äusserst stimmig gestaltet ist mit Wasser- und Grünflächen sowie grossen Findlingen, atmet das Interieur das rustikale Ambiente eines Frank Lloyd Wright wie in dessen berühmter Lodge «Fallingwater». Ab 1962 wird Flueler offiziell Partner im neu benannten Architekturbüro Gysin&Flueler. 1973 übernimmt er die Firma. 1996 zieht er sich zurück und übergibt das Büro seinem Sohn Urs.

«Im nun vorliegenden Buch über die Architektur Walter Fluelers werden seine wichtigsten Bauten sorgfältig dargestellt und beschrieben», würdigt Baggen­stos. Dabei falle insbesondere die Unterschiedlichkeit der Bauaufgaben auf, die dieser als Architekt zu bewältigen hatte. «In erster Linie sind es vor allem die Wohnbauten unterschiedlicher Grössenordnung: Einfamilienhäuser, kleine Mehrfamilienhäuser, Hochhäuser und ganze Wohnüberbauungen wie etwa die Bauten der zweiten Etappe im Hertiquartier.» Aber er habe auch zahlreiche Gewerbebauten erstellt, Bürobauten und Schulhäuser geplant und städtebauliche Eingriffe im Stadtzentrum vorgenommen. «Insofern war er ein typischer Generalist und kein Spezialist, was ihn in meinen Augen sehr sympathisch macht.»

Von Norden nach Süden, bis nach Oberwil gebaut

Mit vom Eindrucksvollsten in der neuen Publikation über die Architektur Walter Fluelers ist die Karte der Stadt Zug. Darauf sieht man, dass Flueler quasi von Norden bis Süden, nicht zuletzt in Oberwil, die ganze Stadt mit zahlreichen Bauten geprägt hat. Absolut beeindruckend. (Wolfgang Holz)

Hinweis
Das Buch «Architektur von Walter Flueler», Mark Gilg und Fritz Wagner, Hrsg. Bernadette Flueler-Gendre wurde vom Niggli Verlag Zürich herausgegeben und von Kalt Medien in Zug gedruckt. ISBN 978-3-7212-0963-1.