Das erste Kino vor 100 Jahren war eine Emanzipation für Zug

Film & Multimedia

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Die Jubiläumstage der Zuger Kinos stehen bevor. Die Verantwortlichen blicken aus diesem Anlass auf die Entwicklung der Kinos zurück – und in deren Zukunft.

  • Die Cineasten Alban und Adrian Hürlimann sowie Thomas Ulrich (v. l.) im Filmsaal des Kinos Gotthard. (Bilder Stefan Kaiser)
    Die Cineasten Alban und Adrian Hürlimann sowie Thomas Ulrich (v. l.) im Filmsaal des Kinos Gotthard. (Bilder Stefan Kaiser)
  • Am Filmprojektor desselben.
    Am Filmprojektor desselben.
  • Adrian und Alban Hürlimann begutachten einen alten 35-Millimeter-Film, wie er früher im Einsatz war.
    Adrian und Alban Hürlimann begutachten einen alten 35-Millimeter-Film, wie er früher im Einsatz war.

Zug – Vom 10. bis 14. November feiern die Zuger Kinos ihr 100-Jahr-Jubiläum. Die Inhaber Adrian und Alban Hürlimann sowie der Geschäftsführer Thomas Ulrich haben zu diesem Anlass ein besonderes Programm für alle Filmliebhaberinnen und Filmliebhaber zusammengestellt. Am Eröffnungsabend findet ein Empfang für geladene Gäste im Kino Seehof statt. Und das Kino Gotthard startet mit dem Eröffnungsfilm «Cinema Paradiso» das «Feuerwerk der Klassiker» am Wochenende.

Am Jubiläumswochenende vom 11. und 12. November können alle Besucherinnen und Besucher zwischen 50 Filmklassikern und Publikumsfavoriten zum Eintrittspreis von fünf Franken in allen drei Kinos – Seehof, Gotthard in Zug und Lux Baar – wählen. Dabei ist von Buster Keaton über Frankenstein bis Clint Eastwood für verschiedene Geschmäcker etwas dabei.

Am Sonntagnachmittag präsentiert das Künstlerpaar Emil und Niccel Steinberger eine Frage-und-Antwort-Runde im Kino Seehof zum Film die «Die Schweizermacher». Am Montag, 13. November, findet die Vorführung des Eröffnungsfilms des Kinos Gotthard von 1923 «Die Elektrifikation der Schweizer Eisenbahnen» in ebendiesem statt. Die Vorführung ist stumm und mit Live-Begleitung vom Zuger Musiker Jonas Inglin auf der Posaune. Den Abschluss dieses vielseitigen Jubiläumsprogramms bildet am Dienstag, 14. November, die Award-Night mit den Siegerfilmen des Kurzfilmwettbewerbs der Zuger Film­tage im Kino Seehof.

Für die Treue des Filmpublikums bedanken

«Dass wir den Originalfilm der Einweihung von 1923 auftreiben konnten und nun im selben Kino wiederholen können, ist ein Glücksfall», sagt Adrian Hürlimann, einer der Inhaber der Zuger Kinos. «Der Marathon am Wochenende wird für jeden eine Wiederbegegnung mit persönlichen Kinoerlebnissen und -filmen bringen.» Für viele würde das Jubiläumsprogramm den Erstkontakt mit den «Schweizermachern», samt Schauspieler Emil als Gast, bedeuten. Der Kurzfilm-Wettbewerb würde den Bezug zur aktuellen Filmer- und Filmerinnenszene von heute und morgen schaffen.

«Mit diesem Programm wollen wir uns vor allem für die Treue bei unserem Kinopublikum bedanken. ‹5 Tage – 50 Filme – für 5 Franken›, mit diesem Angebot wird für jeden etwas dabei sein, und wir hoffen na­türlich auch, neues Publikum dazu zugewinnen», fügt Adrian Hürlimanns Bruder Alban, Mitinhaber der Zuger Kinos, an. Der 70-Jährige würde sich über ein «Full House» freuen.

Thomas Ulrich, Geschäftsführer der Zuger Kinos, fährt fort: «Falls es 2000 Besucherinnen und Besucher werden, bin ich mehr als zufrieden. Es wünschen sich zwar ständig alle Klassiker in den Vorführungen, aber wenn man sie dann mal zeigt, taucht kaum jemand auf.» Er hofft, von den Zuschauerinnen und Zuschauern diesmal vom Gegenteil überzeugt zu werden.

Das Herzstück des Jubi­läumsprogramms ist für den 51-jährigen Ulrich der Filmklassikermarathon. «Fast jeden Film sollte man gesehen haben. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen diese ausserordentliche und preisgünstige Chance nutzen, um sich vom Kinoerlebnis anstecken zu lassen, welches sich eben markant vom Konsum von Filmen aus anderen Quellen unterscheidet», sagt er.

Welche Bedeutung der Einzug des Kinos in Zug für die Kulturentwicklung hatte, sei während Jahrzehnten bis heute völlig unterschätzt oder gar ver­gessen worden, findet der 73-jährige Adrian Hürlimann.

Einladung zur Fahrt ins Abenteuer

Ulrich sagt dazu: «Die Wichtigkeit der Zuger Kinos für diesen Ort ist kaum zu unterschätzen. Wir wären noch viel mehr Provinz (gewesen) ohne diese Institution.» Der Rückblick machte Ad­rian Hürlimann klar, dass die Präsenz des Kinos im katholischen Milieu als unbequeme Einmischung empfunden wurde und eine befreiende Verunsicherung ausgelöst haben muss. Die provinzielle, ländliche Szene wurde urplötzlich mit der urbanen, mondänen «Welt» kurz­geschlossen. «Der Auftritt des ersten fest installierten Kinos bedeutete die Emanzipation vom ‹Jahrmarkt-Image› der früheren ‹Gelegenheitslichtspieltheater› und damit einen kulturpolitischen Schritt in eine verunsichernde, verbotene Aktualität», so Adrian Hürlimann.

Er fährt fort: «Die hilflosen Versuche, die hier erweckten erotischen und auch sonst wie unsittlichen Bedürfnisse und ‹Sensationen› einzudämmen, bezeugen, wie bedrohlich die hiesige heile Welt ins Wanken geriet. Ein Vorhang öffnete sich über der Grossstadt – und sei es nur aufs unkatholische, nahe Zürich – und nahm ihr allmählich die Furcht vor dieser.» Die hiesige Kulturszene habe mit einem Mal eine Lokomotive vor sich gehabt, welche zur Fahrt ins Abenteuer einlud.

Diese Lokomotive habe sich verheissungsvoll als scheinendes Bild mit nachhaltiger Wirkung gezeigt. «Das Engagement von Veronika Hürlimann, unserer Grossmutter, kann nicht nur als lukrativ erfolgreiche Performance einer emanzipierten Unternehmerin – Zugs wohl einziger zu ihrer Zeit – gewertet werden, sondern verdient die Wertschätzung der Öffentlichkeit. Und unseren Respekt als Erben sowieso», meint er stolz.

«Filme sind im Kino einfach besser»

Die drei Männer sind durch und durch Cineasten und Filmliebhaber. Adrian Hürlimanns eindrücklichstes Kinoerlebnis war Claude Lanzmanns Shoah-­Dokumentation von sieben Stunden am Stück, gesehen im Filmpodium Zürich. Auch Alban Hürlimann erinnert sich an sein schönstes Kinoerlebnis: «Die erste 3D-Projektion 2009 mit der neuen digitalen Produktion vom Film ‹Avatar› mit viel Publikum und der perfekt funktionierenden Technik.» Bei Ulrich war es «Apocalypse Now: Redux» auf der Piazza Grande in Locarno.

Und wie sieht ihre Beziehung zu Online-Streamingdiensten aus, auf denen heutzutage die neusten Filme bereits wenige Tage nach Filmstart zu Hause angeschaut werden können? «Ich streame nicht, sondern nehme mitunter vom TV auf die gute alte DVD auf», sagt Adrian Hürlimann. Sein Bruder bevorzugt es, Filme im Kinosaal auf der grossen Leinwand zu erleben. Er gibt zu: «Ich streame vor allem Trailer von neuen Filmen, die oft ausgezeichnete Zusammenschnitte sind.»

Und auch Ulrich sagt ehrlich: «Sicher streame ich. Auch viele der chronisch überschätzten Serien – mit Ausnahme von David Lynchs Twin Peaks. Deshalb ist es auch kein Vorurteil, wenn ich behaupte, dass Filme im Kino einfach besser sind.»

Ihre Kinosäle werden oft für Firmen- und Privatanlässe gemietet. «Während Corona meldeten wir mehrmals Eigenbedarf an. An Weihnachten laden wir jeweils den Freundeskreis zur Matinee ein», sagt Adrian Hürlimann. Sein Bruder fügt an: «Alle Kinosäle sind auch Versammlungsorte für Vorträge und Schulungen.»

Gesundschrumpfung des Kinobetriebs geplant

«Mainstream und Sparten wie Kinderfilm oder Filme von Vereinen werden weiterhin funktionieren, Arthouse-Programme hingegen nur mit Unterstützung der Öffentlichen Hand», kommentiert Adrian Hürlimann die Zukunft der Zuger Kinos. Ulrich findet: «Es hätte schon lange ein Multiplex mit drei bis fünf Kinosälen gebraucht.» Doch leider hätten alle Anstrengungen in diese Richtung an diversen Standorten nicht gefruchtet.

«Einzelplatzkinos wie das Kino Gotthard in Zug und das Kino Lux in Baar haben keine Zukunft, ausser Sie werden mit musealem Auftrag durch die öffentliche Hand gestützt», so Ulrich weiter. Alban Hürlimann hält sich bedeckt zu den Zukunftsplänen der Zuger Kinos: «Wir prüfen verschiedene Optionen. Die Ideen sind noch nicht weit genug entwickelt, dass wir sie kommunizieren können.» Adrian Hürlimann verrät nur so viel: «Im Kino Gotthard, das nun aus dem Inventar der Schützenswerten Bauten entlassen ist, werden wir umbauen und eine Zweitnutzung einführen. Möglicherweise im Bereich Gastro, Dienstleistungen oder Retail. Das bedeutet eine Gesundschrumpfung des Kinobetriebs als Teil der Unternehmung. Kino und Filme werden aber immer in Zug vertreten sein, als unverzichtbarer Teil des kulturellen Angebots.» (Text von Tijana Nikolic)

 

Hinweis

Mehr zum Jubiläumsprogramm unter www.kinozug.ch.