Sie eint der Wille zur Sozialkritik

Kunst & Baukultur

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Die Galerie Gmurzynska zeigt zeitgenössische russische Kunst Kakerlaken in Gold oder auch die Ikonen des Kommunismus, untertitelt mit Zauberwörtern des Westens.

  • «Das Ausstellen in Russland ist schwieriger geworden.» Der Künstler Igor Baskakov ist an der aktuellen Ausstellung in der Galerie Gmurzynska vertreten.(Bild Christof Borner-Keller)
    «Das Ausstellen in Russland ist schwieriger geworden.» Der Künstler Igor Baskakov ist an der aktuellen Ausstellung in der Galerie Gmurzynska vertreten.(Bild Christof Borner-Keller)

Zug – Was haben bloss Marx und Lenin mit Snickers-Schokoriegeln zu tun? Snickers fürs Volk? Snickers für alle? Vielleicht schmeckt er ja doch süss, der Kommunismus? Kaum anzunehmen, dass der 1964 in Kalinin geborene Igor Baskakov solch eine Aussage treffen will, wenn er auf seinem Ölgemälde die Konterfeis von Karl Marx und Wladimir Lenin mit einem Süsswaren-Logo des Westens untertitelt, das Enkel wie Opa rund um den Globus blind assoziieren können: «Snickers» steht da, in blauen Buchstaben, mit feinem rotem Rand begrenzt.

Wohl eher wahrscheinlich ist, dass Igor Baskakov gleich seinen berühmten Kollegen Erik Bulatow und Ilja Kabakow mit sowjetischer Symbolik spielt. Doch führt Baskakov die Konzeptkunst dieser beiden inzwischen 81-jährigen Künstler in die Moderne: Die Sowjetunion gibts nicht mehr, die Symbole des Ostens und des Westens vermischen sich, Politik und Propaganda auf der einen Seite, Kommerz und Stumpfsinn auf der anderen Seite lachen sich gegenseitig aus. Übrig bleibt: Wo früher das Diktat des Kommunismus das Denken begrenzte, man erinnere sich an Bulatows berühmtes Bild mit dem rot-goldenen Ordensband als Horizont übers Meer gemalt, da steht heute der allmächtige Konsum einem reflektierten Denken im Weg. «Ist das die Freiheit der westlichen Welt?», hat sich nach 1989 so mancher Post-Sowjetbürger gefragt, als er sich plötzlich Snickers und Co. kaufen durfte. Der Mensch folgt seinen Ikonen, man nehme es mit Humor.

Als «schwarzhumorig» bezeichnet Joseph Kiblitsky vom Russischen Museum in St. Petersburg die Kunst von Igor Baskakov: «Seine Bilder sind nuancenreich und zwiespältig, sie sind absurd, spielen mit Texten die konservative Öltechnik kontrastiert die Austauschbarkeit der Masse heutiger Werbung.» Plakatives Gedankengut sei ironisch gebrochen, weil als Unikat gemalt, in Öl auf Leinwand. In der Galerie Gmurzynska in der Zuger Vorstadt 14 reihen sich Baskakovs Ölbilder derzeit in die verschiedensten Exponate zeitgenössischer russischer Kunst ein. Da wären zum Beispiel die Kakerlaken in Gold, die Sergei Danilov auf Bildern wie Skulpturen verewigt. Oder die Kakerlaken von Evgenia Konovalova, die Bilder der heutigen Welt auf Briefmarken gedruckt auf ihrem Rücken tragen. Vladimir Kozin wiederum formt Alltagsgegenstände wie allerlei Getier aus altem Automobilgummi: Die Grobheit des Materials lädt die Banalität des Objekts emotional auf.

Blut ist Blut

Russische Gegenwartskunst: Widmete man sich der Welt der Insekten im 18. und 19. Jahrhundert, um malerische Kunstfertigkeit zu beweisen, so eint die Künstler der aktuellen Ausstellung in der Galerie Gmurzynska der Wille zur Sozialkritik. Zurück zu Igor Baskakov: Leidvoll passend zur aktuellen politischen Situation, stimmt einen das 2003 gemalte Bild mit dem Titel «Tampax» sehr nachdenklich. Zwei propere Damen halten hier in ihrer Mitte einen Tampon in Händen, sie teilen ihn sich wobei die eine mit ihren folkloristischen Mustern auf der Bluse der Ukraine zuzuordnen ist, die andere Russland. Blut ist Blut, so einfach ist das. Auch seinen Jean Paul Gaultier in sowjetischer Marineuniform hat Igor Baskakov noch gemalt, bevor es in seiner Heimat so richtig losging mit den Repressionen gegen Homosexuelle – gestört hat ihn der Hass auf Schwule schon 2010. In Russland waren die Zeiten für freies Denken schon mal etwas besser – wie wirkt sich die politische Regression auf kritische Künstler wie Baskakov aus? «Ich kann frei arbeiten», sagt dieser, «aber verkaufen muss ich privat, das Ausstellen ist schwieriger geworden.» (Susanne Holz)

Hinweis
«Russia Contemporary», in der Galerie Gmurzynska, Vorstadt 14, Zug, noch bis 30. September. Offen MoFr, 10 bis 18 Uhr, Sa 10 bis 16 Uhr.