Beispielgebende Interpretation

Musik

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Technisch ausgezeichnet und gleichzeitig von der Stimmung her beeindruckend: So erreichte die Wiedergabe der «Carmina burana» durch den Chor Audite Nova unter der Leitung von Johannes Meister das Publikum im Zuger Casino.

  • Beinahe 100 Mitwirkende haben sich im Theater Casino «Carmina burana» gewidmet. (Bild Roger Zbinden)
    Beinahe 100 Mitwirkende haben sich im Theater Casino «Carmina burana» gewidmet. (Bild Roger Zbinden)

Zug – «Carmina burana» bezeichnet eine Sammlung von über 200 mittelalterlichen Texten, welche 1803 im Kloster Benediktbeuern (Südbayern) gefunden worden sind. Die stark wechselnde, aber für einen Klosterschatz erstaunlich unverblümt-weltliche Thematik bietet eine reiche Auswahl an Liedern zum Frühlingseinzug, zur Liebe und zu Trank und Spiel. Die Auswahl und Vertonung durch Carl Orff (1895–1982) schuf daraus eine dreiteilige Grossform von etwas mehr als einer Stunde Spieldauer, ergänzt durch den Rahmen des Prologs, welcher als Epilog wiederholt wurde.

Im Zentrum stand – sowohl nach dem musikalischen Anteil wie nach dem Aufwand für die Vorbereitung – der aus nahezu 100 Mitwirkenden bestehende Chor. Dies unterstrich die Aufstellung. Die Solisten und die Tanzgruppe der Musikschule Zug (Einstudierung Marianne Künzi) kamen nur für die oft kurzen Einsätze auf die Bühne, und erst ganz am Schluss gab es auch Andeutungen zur szenischen Umsetzung des ganzen Werkes. Wenige Einsätze gestaltete das ebenfalls von Johannes Meister vorbereitete Vokalensemble der Musikschule Zug. Die knapp 20 jugendlichen Sängerinnen wurden zu lange als schweigende Kulisse vor dem aktiven Gesamtchor stehen gelassen.

Der Spätfassung treu geblieben

Die «Carmina burana» hat im Chor Audite Nova eine lange Tradition; der Schreibende erlebte die Erstaufführung Ende April 1983. Nach den Namen hat seither ungefähr alles gewechselt: der Dirigent (damals Paul Kälin), die Vokalsolisten (damals Elisabeth Widmer, Peter Sigrist und Gotthelf Kurth), das Begleitensemble (als Pianisten damals Carl Rütti und Gerard Wyss) und wohl auch der Grossteil der Chormitglieder. Treu geblieben ist man der Spätfassung von 1956, welche gegenüber der Urfassung von 1937 das Begleitorchester auf zwei Konzertflügel und eine Perkussionsgruppe reduziert.

Geblieben ist vor allem die prägnante und scharfe Deklamation des Chores, durch welche Audite Nova seit vielen Jahren bei praktisch allen Auftritten überzeugt. Eine gewaltige Leistung steckte hinter der fast immer blattfreien Gestaltung des überwiegend in Latein und zum kleineren Teil in Mittelhochdeutsch stehenden umfangreichen Notentextes. Carl Orff schrieb als Komponist der Moderne meist im Rahmen der herkömmlichen Tonalität, sodass der oft in längeren Bereichen über Oktavparallelen geführte Chorsatz relativ wenige Einsatzschwierigkeiten bot. Die grosse Herausforderung lag in den häufigen Extremlagen bei Sopran und Tenor sowie in den dynamischen Kontrasten. Die lange Tradition der Stimmschulung ermöglichte trotz ununterbrochenem Stehen das Durchhalten ohne Ermüdungserscheinungen bis in den Schluss.

Die Grösse und Klangkraft des Chores gab dem Pianistenduo Yvonne Lang und Marc Hunziker genügend Raum, für eine prägnante Gestaltung voll in die Tasten zu greifen. Den Komponisten als Praktiker erlebte man bei der Gestaltung des Schlagzeugparts. Das Quintett unter der Führung von Jürg Voney setzte kräftige Akzente, ohne dabei die Choreinsätze zu übertönen. Alle drei Vokalsolisten hatten sich mit extremen Lagen auseinanderzusetzen, was ihnen nach Gestaltungskraft und Intonation tadellos gelang. Der als Bariton bezeichnete Alexandre Beuchat interpretierte in der Trinkszene zuerst verschiedene Einsätze im Rezitativstil. Gegen Schluss folgten Spitzentöne, welche manchem Startenor gut angestanden hätten.

Intensiver Applaus

Eine einmalige Erscheinung ist der seit Jahrzehnten im Raum Zug bekannte Bruce Mathers. Nach Auftritten als Tenor und Tenor-Bariton imponierte der genau auf der Grenze zwischen Amateur und Profi stehende Sänger durch eine eindrückliche Wiedergabe des in Altus-Lage ­geschriebenen sterbenden Schwans. Erst im dritten Teil folgte der Auftritt von Carmela Conrad mit einem angemes­senen Kontrast zur Stimme des Tenorbaritons.

Die relativ umfangreiche Einführung durch Johannes Meister hatte schon einige thematische und gedankliche Aspekte des Gesamtwerks vorausgenommen. Als Gegenpol verdankte der lange und äusserst intensive Applaus im voll besetzten Casinosaal eine Gesamtleistung, wie sie nur durch monatelange intensive Vorarbeit möglich ist. (Jürg Röthlisberger)