Vereinte Nationen von Walchwil
Musik
Während viele Kirchenchöre im Kanton um Nachwuchs kämpfen, floriert jener im ausländerstärksten Dorf am Zugersee - vor allem wegen der Expats.
Walchwil – In der kleinen Aula der Musikschule Walchwil vereinen sich jeden Mittwochabend die Nationen. Australien ist hier, Argentinien, Belgien, Holland, Indien, Kroatien, Mexiko, Polen, die USA. Ziemlich gut vertreten sind Deutschland, England und die Schweiz. Was ein internationales Gipfeltreffen sein könnte, ist in Tat und Wahrheit die wöchentliche Probe des Walchwiler Kirchenchors.
Die Truppe, die rund zwölf Mal pro Jahr in der Messe singt, umfasst heute 54 Mitglieder. Das ist eine Seltenheit, kämpfen doch viele traditionelle Kirchenchöre um Mitglieder und gar um ihre Existenz. Ein wichtiger Grund für die Grösse des Walchwiler Vereins sind die Ausländer - sie machen einen Drittel aus. Es sind zumeist Expats, also Personen, die wegen ihres Jobs in einem internationalen Unternehmen für eine befristete Zeit nach Zug gekommen sind. Obwohl: Der eigentlichen Expat-Definition entsprechen die meisten Männer und Frauen in der Aula nicht mehr. Sie sind oft schon Jahre hier - und werden wohl auch noch länger bleiben. So wie die 32-jährige Engländerin Daisy Wilde mit ihrer Familie. «Walchwil ist wunderschön. Hier können meine Kinder ohne Begleitung zur Schule gehen.»
Daisy Wilde ist kurz nach ihrer Ankunft mit ihrer Familie im Dorf über den ehemaligen Dirigenten Roman Walker in den Kirchenchor gekommen. Die Tochter eines anglikanischen Pfarrers besuchte den sonntäglichen Gottesdienst in Walchwil und wurde sofort angeworben.
Gänsehaut in der Messe
Über Walker ist auch der 54-jährige James Amoroso und seine Frau Veronica zur Sängergruppe gestossen. James Amoroso hat seine Wurzeln in Trinidad, ist allerdings in England aufgewachsen und kam durch seinen Beruf als Marketing-Manager in die Schweiz. Hier hat er begonnen zu singen - inspiriert von einem speziellen Erlebnis: «Meine Frau und ich besuchten zum ersten Mal ein Jodlerfest.» Als dann in der Sonntagsmesse die Frauen und Männer zu jodeln begonnen hätten, habe er Gänsehaut bekommen. «Von da an war für mich klar, dass ich singen will.» Dieses Bedürfnis hat auch der 63-jährige Mexikaner Javier Adame bei sich entdeckt - in einem ziemlich anderen Zusammenhang als sein Registerpartner. «Ich spielte in Mexiko in einer Rockband und wäre dort auch gerne Sänger gewesen», erzählt der Co-Präsident des Chors. Aber seine Stimme sei für Rockmusik einfach zu tief gewesen, sagt er und lacht. Auch sein Lachen ist tief. Umso mehr ist sein Organ in einem Chor gefragt - tiefe Bassstimmen sind nicht einfach zu finden.
Geholfen beim Ankommen
Die wohl internationalste Walchwiler Sängerin ist die Polin Malgorzata Nishio, die mit einem Japaner verheiratet ist und lange Zeit in Japan lebte. «Im Kirchenchor kann ich den Alltag vergessen», sagt die 57-Jährige, die seit 17 Jahren in Walchwil lebt und während Jahren bei der Metro Group arbeitete.
Malgorzata Nishio wie auch die anderen Expats betonen, wie wichtig der Chor für ihre Integration war und immer noch ist. «Hier habe ich Schweizerdeutsch gelernt und viele Walchwiler getroffen», erzählt die Polin. Oft lade man sich auch ausserhalb der Proben gegenseitig ein. «Der Chor hat uns sehr geholfen, hier anzukommen», sagt James Amoroso. Gerade in einem Dorf mit einem grossen Ausländeranteil wie Walchwil sei es umso wichtiger, mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen, ist er überzeugt. Und was sagen die Einheimischen selber? Eva Traxler-Rust, eine Ur-Walchwilerin und langjährige Kirchenchorsängerin, ist begeistert: «Wir haben ein wirklich gutes Team.» Die verschiedenen Nationen würden diesen Chor sehr reich machen. Und: «Ich glaube, viele Einheimische haben hier neue Freunde gefunden.»
Verschiedene Konfessionen
Verschiedene Nationen bedeuten auch verschiedene Konfessionen. Es gibt viele Katholiken, aber auch reformierte, evangelikale oder anglikanische Christen im Chor. Ist das ein Problem? «Nein, überhaupt nicht», sagt Eva Birrer vom Vorstand. Es ist schlicht der grundsätzliche Glaube, der sie vereine, glaubt Malgorzata Nishio.
Von der Heterogenität des Vereins ist auch Peter Werlen angetan, der den Chor seit rund einem Jahr leitet: «Er ist ein Aquarium mit den buntesten Fischen.» Im Vergleich zu anderen Chören falle ihm hier immer wieder die Offenheit auf, «eine grosse Bereitschaft, sich auf neue Dinge einzulassen». Meistens spricht er in der Probe am Mittwochabend Hochdeutsch mit seinen Sängern, zuweilen aber auch Schweizerdeutsch oder Englisch. Er als Leiter profitiere sehr von der Internationalität, wie er sagt. «Ob wir Englisch, Russisch, Italienisch oder Spanisch singen - es gibt immer jemand, der sagen kann, wie man die Wörter korrekt ausspricht.»
Aufführung steht an
Am letzten Mittwoch sitzt Heather Atkins neben dem Dirigenten. Sie spricht im schönsten britischen Englisch vor, wie man den Text «Rejoice in the Lamb» korrekt betont. Die Vertonung von Benjamin Britten wird der Kirchenchor am Jubiläumskonzert zum 175-jährigen Bestehen der Pfarrkirche aufführen. Gemeinsam mit der Musikgesellschaft werden sie am 3. November auftreten. Es soll der Höhepunkt des Chorjahrs werden.
Um 21.45 Uhr ist die Probe vorbei. Die Nationen treten plaudernd aus der kleinen Aula in die warme Nachtluft hinaus und gehen dann ihres Weges. Für manche gibt es eine kurze Wiedervereinigung in der Beiz - bevor es kommenden Mittwoch zum nächsten Gipfeltreffen der Vereinten Nationen von Walchwil kommt. (Stephanie Hess)
Hinweiswww.kirchenchor-walchwil.ch