Wie reagiert Klimt auf Giacometti?
Kunst & Baukultur
Die Kunsthäuser von Chur und Zug spannen zusammen. Die gemeinsame Ausstellung schafft spannungsvolle Bezüge zwischen hochkarätigen Werken beider Sammlungen.
Zug – Das Bündner Kunstmuseum in Chur wird baulich erweitert und ist deshalb geschlossen bis Ende Juni 2016. Dennoch soll die Sammlung des Hauses bis dahin nicht gänzlich im Dunkeln verharren: Seinem Credo getreu nutzt das renommierte Museum in Chur die Zeit für den Austausch mit anderen Museen, indem es eine Auswahl seiner Bestände in auswärtigen Räumen zeigt. So läuft aktuell eine Kooperation mit dem Kunsthaus Zug. Seit Samstag ist die Ausstellung offen, sie dauert bis und mit 21. Februar 2016.
Der Charakter zweier Sammlungen
«Jetzt, wo die Türen unseres Hauses in Chur zu sind, konnten wir erst recht aus dem Vollen schöpfen», sagte Stephan Kunz im Vorfeld. Der Direktor des Bündner Kunstmuseums begrüsst die Gelegenheit sehr, den eigenen Bestand für einmal in einem solchen Umfang «ausgelagert» zu sehen, ihn von aussen zu betrachten. «Es gibt uns die Gelegenheit, ein neues Publikum für unsere Sammlung zu interessieren und sie als eine Art ‹Charakterbild› zu präsentieren. Es ist heutzutage tragend, dass Museumssammlungen ihr eigenes Profil, ihre eigenen Charakterzüge haben.» So heisst die Ausstellung denn auch «Charaktere», in der als Antwort auf die Werke aus dem Fundus des Churer Hauses Exponate der Zuger Sammlung gezeigt werden. Die Charakterzüge der Sammlungen beider Häuser finden sich auf diesem Wege einander gegenübergestellt. Die entstehenden Kontraste eröffnen in der Folge neue Blicke auf vermeintlich Bekanntes. Für Matthias Haldemann, Direktor Kunsthaus Zug, ist durch diese «grosszügige Zusammenarbeit» ein Stück Graubünden nach Zug gekommen.
Ein Blick in die aktuelle Ausstellung zeigt eindrücklich: Dieser Plan beider Häuser, durch Zusammenarbeit neue Bezüge zu generieren sowie Synergien zu nutzen, scheint wohl geglückt.
Expressionistische Gegenpole
Etwas Sakrales strahlt jener Raum aus, in dem sich Giovanni Giacomettis grossflächiges Triptychon «Sonnenkinder» eine ganze Wand mit nichts anderem teilen muss. Weitere Werke des Bergeller Impressionisten finden Gesellschaft in zwei Ölgemälden von Giovanni Segantini. Die impressionistische Unbeschwertheit der nackten Kinder in der Sonne sowie der heilen Bergwelt oder die filigrane Leichtigkeit der plastischen Bronze-Werkgruppe von Diego Giacometti in der Mitte des lichtdurchfluteten Raumes findet ihren ausgeprägten Gegenpol in einem einzigen Exponat an der Rückwand: Die «Waldandacht» an den Gestaden der Donau von Egon Schiele setzt den düsteren Gegenakzent des Expressionismus und leitet gleichsam in den Raum ein Stockwerk tiefer über, wo sich Gemälde, Grafiken und Zeichnungen aneinanderreihen, etwa von Oskar Kokoschka, Andreas Walser oder Ernst Ludwig Kirchner, einer «Vaterfigur des Schweizer Expressionismus», wie Stephan Kunz den deutschen Wahl-Davoser nennt. Zwei Wandteppiche Kirchners bringen Farbe ins hiesige Raumkonzept.
Exponate im Dialog
Ein Kabinett schafft zwischen dem eher konzeptuell arbeitenden Augusto Giacometti und dem Berner Oberländer Albert Steiner mit Fotografien aus dem Engadin ein neues Verständnis unterschiedlicher Kunstrichtungen und «bringt deren geistige Welt zusammen», wie Stephan Kunz erläutert. Ein weiteres Kabinett ist dem multidisziplinären Alberto Giacometti gewidmet.
So wie in den beiden Sälen im Südflügel beruht auch das Ausstellungskonzept im Nordtrakt auf dem Dialog zwischen Exponaten beider Kunsthäuser. Auf ein Bündner Zwiegespräch zwischen der Bodeninstallation «Erosion» von Hans Danuser und zwei grossformatigen Gemälden von Lenz Klotz aus den 1950ern folgt eine spannende Gegenüberstellung der «Weiblichen Kathedrale» von Fritz Wotruba sowie zweier weiterer Skulpturen des Wieners und zweidimensionaler Werke von Vertretern der Schweizer Moderne wie Matias Spescha, Corsin Fontana, Gaudenz Signorell oder Marcel Schaffner.
Zeitgenössische Fotografie im Grossformat von Guido Baselgia und eine «Edel-Anfertigung» von Euro-Paletts von Mirko Baselgia als eine Art Antwort auf die Normenwut der heutigen Zeit setzen einen weiteren Akzent wechselseitiger Auseinandersetzung, so wie das kürzlich erworbene 27-teilige Werk «Sonnenaufgang am Zugersee» von Jean-Frédéric Schnyder aus dem Fundus des Zuger Kunsthauses. In einem lichten Farbrausch gipfelt die Ausstellung, wo sich Gemälde von Augusto Giacometti mit Werken von Richard Gerstl und Klimt konfrontiert sehen. Für Matthias Haldemann ein lang ersehnter Wunsch, der in Erfüllung gegangen ist: Augusto Giacometti und Gustav Klimt vereint in einem Raum.
Ausklang des Jubiläumsjahres
Die wahrlich hochkarätige Ausstellung im Kunsthaus Zug mit ihren Akzenten und thematisch geprägten Schwerpunkten wird von Marco Obrist, Sammlungskurator Kunsthaus Zug, und Stephan Kunz gemeinsam kuratiert. Die gezielte Auswahl an vorwiegend zweidimensionalen Werken und in geringerem Umfang skulpturalen Exponaten schafft eine stimmige Ausgewogenheit, welche sich durch sämtliche Ausstellungsräume zieht – und immer wieder ist der Aspekt der Landschaft Graubündens, ein Kernpunkt der Ausstellung «Charaktere», wie ein roter Faden präsent. Mit diesem Höhepunkt der Reihe «Wege der Sammlung» geht das Jubiläumsjahr 25 Jahre Kunsthaus Zug fulminant zu Ende. Und wie üblich, finden innerhalb der Ausstellungszeit mehrere Rahmenanlässe statt wie Führungen, ein offenes Atelier, ein Familienworkshop oder themenbezogene Kurzveranstaltungen über Mittag. Details hierüber unter www.kunsthaus.ch. (Andreas Faessler)