Nichts fliesst so weich wie die Musik

Theater & Tanz

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Der gefeierte ukrainische Pianist Alexey Botvinov bringt den Erfolgsroman «Der Briefsteller» auf die Bühne. Doch Musik, Text und Spiel wollen nicht ganz zusammenpassen.

  • Oliver Goetschel und Marisa Rigas in «Der Briefsteller». Aufgeführt wird das Stück im Burgbachkeller. (Bild Stefan Kaiser)
    Oliver Goetschel und Marisa Rigas in «Der Briefsteller». Aufgeführt wird das Stück im Burgbachkeller. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Ein Waschtisch steht auf der Bühne, ein hervorragend ausgewähltes Requisit: Es steht für das vergangene Jahrhundert, für den Alltag, die Frau, die Schönheit. Daneben steht ein Piano: Wundervolle Töne wird der berühmte ukrainische Pianist Alexey Botvinov diesem entlocken. Dann wären da noch ein Garderobenständer, ein paar Stühle und ein paar kleine Soldatenfiguren ganz vorne am Bühnenrand, fragil platziert, passend zum Thema. Alexey Botvinov bringt hier Michail Schischkins 2012 auf Deutsch erschienenen Erfolgsroman «Der Briefsteller» auf die Bühne. Und in diesem muss Wolodja seine Sascha nach nur einem Sommer verlassen, um wenige Monate später als Soldat den Tod im chinesischen Boxeraufstand zu finden, den 1900 sieben europäische Staaten und die USA bekämpfen.

Ein harter Kontrast

Das Besondere an Schischkins Briefroman ist: Wolodja und Sascha schreiben sich vor Wolodjas Tod Briefe, und sie tun das auch hinterher. Auf der Bühne im Burgbachkeller heisst es am Donnerstagabend, nachdem Sascha vom Tod des Geliebten erfahren hat: «Das Leid hat seine Grenzen, dahinter tut es nicht mehr weh.» Und zuvor: «Die Körper berühren sich, zwischen den Seelen bleibt immer ein kleiner Spalt.» Alexey Botvinov kombiniert die Monologe der beiden Protagonisten beziehungsweise den Text Schischkins mit Musik von Rachmaninoff und Skrjabin. Und gibt dieser Bühnenfassung den Titel: «Briefsteller. Elegie Trio.» Doch das dreifache Klagelied scheint wie das oben erwähnte Leid an Grenzen zu stossen, es scheint, dass zwischen Musik, Text und Schauspiel stets ein Spalt offenbleibt.

Vielleicht ist Alexey Botvinov einfach ein zu guter Pianist, gilt er doch als weltweit führender Rachmaninoff-Interpret. Die Stimmen der Schauspieler jedenfalls beenden jeweils abrupt die Träume der Töne, die stets zu früh zu Ende sind. Die Sprache Schischkins bildet einen nüchternen, die Stimmen der Darsteller bilden einen harten Kontrast zum Pianospiel. «Die Tinte ist der Urstoff aller Existenz», so wurde Schischkin mal zitiert hört man den Pianisten aus der Ukraine spielen, ist man versucht entgegenzuhalten: «Der Ton ist der Urstoff aller Existenz.» Irgendetwas hakt im elegischen Trialog. Die charismatischen Schauspieler Marisa Rigas und Oliver Goetschel scheinen nicht richtig in die Seelen Wolodjas und Saschas zu finden. Weil: Nichts fliesst an diesem Abend so weich wie die Musik.

Verrückte Bildsprache

Vielleicht bräuchte es auch mehr von solch wunderbar grosser und verrückter Bildsprache, die nur manchmal zum Zug kommt, beispielsweise, wenn Sascha klagt: «Noch ein verregnetes Jahrhundert, noch eines ...» Und dann: «Die Jahrhunderte waren zu Ende.» Die Liebe war zu Ende, das ist damit gemeint, und der Waschtisch ist für einmal in rotes Licht getaucht, und nicht das Piano. Ein schönes Bild, genauso wie das von Sascha, wie sie im Wintermantel hingekauert auf dem Waschtisch liegt. Und gar nichts sagt. Auch die Perlenkette, die Minuten oder Jahrhunderte? – zuvor zu Bruch geht und vielfach klimpernd ihr Ende auf dem Bühnenboden findet, zieht alle Blicke auf sich, ein trotziger Kontrapunkt zum hellen Wirbel an klassischen Tönen.

Unterschiedliche Ansichten

Man mag enttäuscht sein von Botvinovs Bühnenfassung, man mag sie vielleicht aber auch als sehr gelungen betrachten. Fest steht: Bereits Schischkins Briefroman selbst erntete unterschiedliche Kritiken. So befand Jörg Plath 2012 in der NZZ, dass Sascha und Wolodja «monologisieren». Zwei Erzählungen liefen nebeneinander her, eine Unverbindlichkeit schleiche sich ein. Zur gleichen Zeit schrieb Sabine Berking in der «Frankfurter Allgemeinden Zeitung» (FAZ): «Verfasst ist diese Korrespondenz in einer federleichten, geradezu durchscheinenden Sprache ... man möchte gar nicht aufhören zu lesen.» Donnerstagabend im Burgbachkeller: Man möchte nicht aufhören, der Musik zu lauschen, und man hätte gerne noch ein bisschen mehr rotes Licht. (Susanne Holz)