Eintauchen mit allen Sinnen
Kunst & Baukultur
Die neue Ausstellung im Kunsthaus Zug ist eine Einladung zur Versenkung – ins Moos, in Farben, ins Unheimliche.
Zug – Schon beim Medienrundgang im Vorfeld der Vernissage wird klar: Diese Ausstellung hat Tiefgang. Nicht nur thematisch, sondern auch räumlich, atmosphärisch – und olfaktorisch (ja!). In einem der Räume riecht es nach Wald. Konkret: nach echtem Moos. Der Geruch stammt von Yvonne Christen Vagners Arbeit «Moos board III» (2019/2025). Wer den Raum betritt, steht nicht nur vor einem Werk, sondern mittendrin – zwischen Moosteppich und Sternenstaub, zwischen Ursprung und Endlichkeit. Die Zuger Künstlerin stellt dem Moos Fotografien von Supernovae gegenüber – eine Zeitspanne, in der man sich nur verlieren kann.
Jeder Ausstellungsraum besitzt einen eigenen Charakter. Mal schwebend leicht, mal drückend dicht, mal melancholisch. Diese Vielfalt ist kein Zufall. Kuratorin Jana Bruggmann hat sich nicht mit Werkverzeichnissen begnügt – sie war bei den Künstlerinnen und Künstlern im Atelier, hat ihre Prozesse erlebt, ihre Räume betreten, den Dialog gesucht. Entstanden ist ein Parcours, der die Besuchenden nicht bloss zum Schauen, sondern zum Eintauchen auffordert. Und das im Wortsinn.
Begegnung statt Distanz
Zu sehen sind neun künstlerische Positionen aus der Zentralschweiz, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Begriff der Immersion auseinandersetzen – also mit dem Untertauchen, dem vollständigen Aufgehen in einem ästhetischen Erleben. Es ist die erste grosse Ausstellung im Kunsthaus Zug ohne den bisherigen Direktor Matthias Haldemann, der nach wie vor beurlaubt ist. Die Handschrift von Jana Bruggmann ist unverkennbar: pointiert, offen, nah an den Menschen.
Schon der Auftakt ist bemerkenswert: Judith Alberts Videoarbeit «Côte de Granit Rose» (2024) zeigt zwei Badende am Meer – scheinbar beiläufig, fast idyllisch. Doch das Bild beginnt zu kippen, gerät ins Fliessen, wird unheimlich. Es ist ein suggestiver Sog, der den Ton der Ausstellung setzt. Die Videoarbeit entfaltet eine poetisch-unheimliche Anziehungskraft, als wolle die Landschaft die Badenden verschlingen. Auch bei Nathalie Bissig überlagern sich Realitäten: Ihre Fotografien, inspiriert von Mythen und Sagen, entführen in Landschaften voller rätselhafter Gestalten – als würde man mitten in einem düsteren Märchen erwachen. Nicht minder verstörend – oder begeisternd: Moritz Hosslis 3D-Videoarbeit «Stereo Kinematica» (2018) führt in einen Wald, der mehr Ahnung als Ort ist. Gemeinsam mit Johanna Gschwend hat er eine Bildwelt geschaffen, die zwischen Simulation und Erinnerung schwebt. Ein Schwarm Vögel zieht lautlos über den Horizont, die Zeit scheint ausgesetzt, der Moment wird gedehnt.
Leidenschaft als roter Faden
Was diese Ausstellung besonders macht, ist nicht nur die Qualität der gezeigten Werke – sondern auch, wie sie miteinander in Dialog treten. Pascale Birchler zeigt eine Figur in Ritterrüstung unter schwerem Himmel. Der Titel – «Da sind wir, losgekettet von der Sonne» – zitiert Nietzsche und spielt auf den Verlust metaphysischer Gewissheiten an. Denis Twerenbold reduziert auf ein Minimum: ein Kastanienzweig, UV-Licht, ein chemischer Prozess. Die Substanz beginnt, bläulich zu leuchten. Es passiert wenig – und doch so viel. Fast meditativ. In seinem experimentellen Prozess beobachtet die Kamera in Echtzeit, wie die Substanz Aesculin austritt – nur zu sehen unter UV-Licht und als Schutz vor Fressfeinden gedacht – und genau diese Substanz entfaltet in diesem Licht eine hypnotische Wirkung.
Christian Kathriners grossformatige Gemälde kreisen um die vier Jahreszeiten, während seine Porträts «unbekannter Griechen» sich mit Erinnerung, Identität und kulturellem Erbe auseinandersetzen. Und Nils Nova schliesslich verwandelt den Raum selbst in ein begehbares Kunstwerk: Fotografische Architekturen und farbliche Überlagerungen verwischen die Grenzen zwischen Bild und Wirklichkeit.
Jana Bruggmann führt die Medien durch diese Welten mit einer Mischung aus Fachwissen und Begeisterung, wie man sie selten erlebt. Sie erzählt von Atelierbesuchen, von der Nähe zu den Kunstschaffenden, von ihrer Entscheidung, Werke zu zeigen, die über die Region hinaus wirken – und dennoch hier verwurzelt sind. Das merkt man jeder Raumstimmung an, jedem Detail. «Eintauchen!» ist keine Flucht vor der Welt. Es ist eine Einladung, sie neu zu erleben.
Hinweis
«Eintauchen», Kunsthaus Zug, Ausstellung bis 4. Januar 2026
(Text: Haymo Empl)