Farbige Spuren Zugs in Ostdeutschland

Kunst & Baukultur

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Im gotischen Haus zu Wörlitz sind eine Stadtscheibe von Zug und die Inschriften bekannter Zuger Geschlechter zu finden. Wie kommen diese Glasgemälde nach Sachsen-Anhalt?

  • Eine der Scheiben zeigt die Belagerung Zugs. (Bild PD)
    Eine der Scheiben zeigt die Belagerung Zugs. (Bild PD)
  • Unten links: Die Scheiben sind in neugotische Masswerkfenster eingelassen. (Bild PD)
    Unten links: Die Scheiben sind in neugotische Masswerkfenster eingelassen. (Bild PD)
  • Das gotische Haus in Wörlitz (Radierung um 1790). (Bild PD)
    Das gotische Haus in Wörlitz (Radierung um 1790). (Bild PD)

Zug – Bevor der Besucher in das Gotische Haus gelangt, durchquert er ein einzigartiges Gartenreich, das eine Symbiose von landwirtschaftlich genutzter Naturlandschaft und künstlich in englischem Stil angelegten Gärten bildet. Verschiedene, bekannten Vorbildern nachgebaute Monumente beleben die Gärten. Zu den grösseren Bauwerken gehören das klassizistische Schloss und das Gotische Haus. Der Erbauer der Wörlitzer Anlage war Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817), Herrscher über ein kleines Fürstentum. Er war ein begeisterter Anhänger der Aufklärung. Das Gartenreich mit dem Schloss war deshalb öffentlich zugänglich. Er unternahm zahlreiche Reisen, die ihn nach England, Frankreich, Italien und in die Schweiz führten. England mit seinen Landlords und Landhäusern war im politischen wie ästhetischen Sinn seine Orientierungshilfe. Das Landhaus Strawberry Hill mit seinen alten Glasgemälden, das sein Besitzer Horace Walpole 1748 in gotischem Stil umbaute, war für den Fürsten ein wichtiges Vorbild.

24 Scheiben aus Zug

Der Fürst begann 1764 mit der Anlage von Wörlitz, mit dem Gotischen Haus 1773. Dieses Gebäude ist allerdings nicht einfach ein gotisches Haus, wie wir es in der Zuger Altstadt kennen, sondern ein grösseres Landhaus, das der Fürst später selbst bewohnte und in mehreren Etappen erweiterte.

Das 18. Jahrhundert ist kein Zeitalter der Glasmalerei. Vielmehr entfernte man die Glasgemälde, um mit farblosem Glas hellere Räume zu erhalten. Eine kleine Elite dachte anders. Johann Wolfgang von Goethe bewunderte im Gasthaus Ochsen von Zug 1797 die Glasgemälde. Auf Reisen wurde auch das Interesse des Fürsten an der Glasmalerei geweckt. Er machte Bekanntschaft mit dem Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741-1802), dem Verfasser der «Physiognomischen Fragmente», der ein wichtiger Vermittler von Kunstwerken war. Zahlreiche Glasgemälde sind auf dessen Veranlassung in Kisten verpackt nach Wörlitz gelangt, andere wurden direkt angekauft. Zwei Drittel der Wörlitzer Glasgemälde stammen aus der Schweiz. Zürich hat den grössten Anteil, Zug folgt mit 24 Scheiben.

Werke von Michael IV. Müller

Für die Gestaltung der Fenster mit Glasgemälden ist der Fürst zu eigenständigen Lösungen gekommen. Ein Teil der Rundbogenfenster wird durch Masswerk mit Spitzbögen und Vierpässen gegliedert, also mit Architekturelementen, die der Gotik nachempfunden sind. Die Glasgemälde werden durch Blankverglasung und durch blau- und gelbgetönte Gläser eingefasst. Nicht alle Scheiben sind schadlos in Wörlitz eingetroffen. Fehlstellen wurden durch farbloses Glas oder durch Teile aus fragmentarisch erhaltenen Scheiben ergänzt. Diese fügen sich manchmal kaum erkennbar in das Glasgemälde ein, manchmal werden sie aber auch zum Störfaktor. Die Wahl der Scheiben für die Fenster erfolgte teils nach Format und Farbe, teils thematisch. Im Kriegerischen Kabinett haben Szenen aus der Schweizer Geschichte einen Schwerpunkt. Eine Einheit bilden im Rittersaal die Bannerträger der Schweizer Stände und zugewandter Orte aus einem ehemaligen Schützenhaus von Zürich. Die Scheiben der Apostel und Heiligen (um 1511), heute unter anderem im Geistlichen Kabinett, zierten einst das Langhaus der Kirche von Maur. Nicht so klar ist, wie der Ankauf der Zuger Glasgemälde sich vollzog. Der Fürst hielt sich 1783 in Zug auf, doch werden bei diesem Anlass keine Glasgemälde erwähnt. Belegt ist dagegen, dass der Fürst in Luzern oder Zürich Glasgemälde erwarb. Ein Teil der Zuger Scheiben dürfte der Fürst über Lavater erworben haben. Mit etwa 17 Scheiben ist Michael IV. Müller von den Zugern mit Abstand am stärksten in Wörlitz vertreten. Er war der produktivste Zuger Glasmaler. In einer Zeit, in der die Entwicklung der Schweizer Glasmalerei ihren Horizont überschritten hatte, weiss der Zuger Glasmaler in seinem erzählerischen Stil und mit seinen leuchtenden Farben diese Tradition noch einmal zu beleben. Erstaunt wird der Besucher sein, dass der Zuger Glasmaler Adam Zumbach die Belagerung von Besançon von 1672 durch die Franzosen bereits zwei Jahre später auf einem Glasgemälde festhielt. (Rolf E. Keller)

Hinweis
Rolf E. Keller war bis Ende 2004 Leiter des Museums Burg Zug. Er liess zur Zuger Glasmalerei eine Monografie erarbeiten und organisierte eigens dazu eine Ausstellung.
 

Illustrierter Katalog

LITERATUR REK. Zu Wörlitz sind zahlreiche Publikationen erschienen. Etwas abseits von diesem Interesse stand bis jetzt die Glasmalerei. Diese Lücke schliesst die zweibändige Publikation von Mylène Ruoss und Barbara Giesicke. Die bibliophil gestalteten Bücher sind reich illustriert. Der Katalog beschreibt die Scheiben und ihren Zustand, weist auf allfällige Ergänzungen hin und verbindet sie, soweit bekannt, mit ihrem ursprünglichen Kontext. Im Katalog wird detailliert auf Vorlagen eingegangen, wie sie durch Scheibenrisse, Zeichnungen, Druckgrafik und Buchillustrationen überliefert sind. Wer einmal den Spuren der Kunstgeschichte abseits der bekannten Pfade nachgehen möchte, der greife zu diesen beiden Bänden. 

«Die Glasgemälde im Gotischen Haus zu Wörlitz», Berlin, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2012 (592 Seiten, 1027 Abbildungen).

ISBN 978-3871572159