Baarer Möbel schreiben Geschichte

Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

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Die Produktionsstrassen der Baarer Victoria Möbel AG ruhen seit 22 Jahren. Mit Hilfe von erhaltenen Möbelkatalogen lässt sich deren Geschichte auf überraschende Art erzählen.

  • Das Buch zeigt interessante Einblicke in die Geschichte des Baarer Möbel-Unternehmens. (Bild PD)
    Das Buch zeigt interessante Einblicke in die Geschichte des Baarer Möbel-Unternehmens. (Bild PD)

Baar – Die Niederschrift einer Wirtschaftsgeschichte des Kantons Zug liegt immer noch auf Eis. Die finanziellen Möglichkeiten des Kantons sollten dieses Projekt schnellstmöglich vom gefrorenen Wasser lösen. Zum Glück gelingt es verschiedenen Institutionen – auch staatlichen – immer wieder, auf professionelle Art und Weise die Leerstelle wenigstens in Teilen auszufüllen.

Zu dieser Kategorie gehört das kürzlich unter dem Dach des Vereins Industriepfad Lorze erschienene Buch «Victoria Möbel» von Heinz Horat. Der ehemalige Denkmalpfleger des Kantons Zug weiss sehr viel aus der Geschichte dieses Baarer Traditionsunternehmens zu berichten. Horat nutzt dabei eine Quelle, welche mehr als tausend Worte aussagen kann: Möbelkataloge, welche zwischen 1939 und 1998 erschienen sind.

Baarer Möbeldesign ist Trendsetter

Betrachter sehen ihnen an, dass die Verantwortlichen einen grossen Aufwand betrieben. Dies geschah in Baar auf dem Firmengelände. Ulrich Straub, Präsident des Vereins Industriepfad, schreibt dazu im Einführungstext: «Die Älteren unter uns werden immer wieder schmunzeln und sich an Wohnsituationen erinnern, die sie selbst erlebt haben.»

Und wie bei der Mode scheinen sich auch bei den Möbeln gewisse Trends zu wiederholen. Jedenfalls betont Straub, dass «die Jungen sicher Möbelstücke finden würden, die heute wieder angesagt sind». Dass der Baarer Möbelfabrikant Trends zu setzen vermochte, verortet Straub zum Beispiel am «Television-Chair». Diesen fabrizierte Victoria Möbel über mehrere Jahre hinweg, so zeitlos waren sie.

Besondere Augenweiden und die besten Gedächtnisstützen stellen aber die Kataloge dar, welche der Baarer Möbelproduzent zwischen 1939 und 1998 herausgegeben hat. In drei Sprachen. Das versteht sich von selbst. Wer diese Szenen anschaut, kann sich das Schmunzeln nicht verkneifen. Kinder schauen gebannt auf die Bühne eines Kasperli-Theaters. Im Hintergrund sieht der genaue Beobachter eine wohl geordnete Bücherwand (1964). Im selben Jahr bewirbt die Victoria Möbel AG ein Auszieh-Bett und platziert zur Belebung einen Jungen ins Bild, der Zeitung liest, während sein Vater mit der Eisenbahn spielt.

Interessant ist auch zu sehen, dass die Models auf den Katalog-Bildern häufig eine Zigarette im Mund haben. Betitelt ist ein solches Arrangement im Buch mit: «Leben in einer Wohnlandschaft.» Anderswo spielen zwei Männer vor einem Cheminée rauchend Karten. Sie sitzen auf weichen Polstersesseln der Marke Blico. Diese Produktionsfirma gehörte der Victoria Möbel und hatte in ihrem Firmenlogo einem Baarer Räbengäuggel. Die Viktoria Möbel legte sich den Marienkäfer als Erkennungszeichen zu. Dessen letzte Ausführung schuf der bestens bekannte Baarer Künstler Elso Schiavo.

Kinowerbung mit prominenter Besetzung

Der Zeit voraus waren, wie Horat im Buch mit viel Witz erzählt, die Baarer auch in Sachen Werbung. Den ersten Werbefilm gab es im Kino 1957 zu sehen. Er lief in diesen Häusern während vier Jahren.

Ein besonderes Produkt war der 1964 hergestellte Werbefilm «Spuk im Neandertal». Der Hauptdarsteller, der sich nur alle fünf Jahre das Gesicht wäscht, rettet bei dieser Prozedur ein Marienkäferchen. Doch mehr sei über diesen Imagefilm hier nicht verraten. Hingegen dürften ältere Semester staunen, wer alles in der Viktoria-Werbebotschaft auf dem Set stand: Zarli Carigiet, Paul Bühlmann, Inigo Gallo, Jörg Schneider und Ulrich Beck. Die Viktoria Möbel AG war zudem das erste Möbelhaus in der Schweiz, welches im TV Werbespots schaltete. Diese Werbeform gab es in der Schweiz ab 1965. Innovation begleitete das Dasein dieser Baarer Firma bis zum Schluss im Jahre 1998.

Gute und schlechtere Zeiten

Es ist ein Verdienst von Heinz Horat, dass er es versteht, auf wenig Raum die wirtschaftliche Entwicklung der Viktoria darzustellen. Wie dem Buch zu entnehmen ist, gab es gute Zeiten, aber auch solche, in denen es Verluste absetzte. Letztere häuften sich vor der Jahrtausendwende. Was Horat auch herausarbeitet, ist hier nicht zu verschweigen: Die Preise für die aus Eschholz hergestellten Baarer Qualitätsmöbel bewegten sich alles in allem eher in einem höheren Segment.

Der Niedergang der Marke Viktoria ist teilweise auch der grossen Konkurrenz aus dem Ausland zuzuschreiben. 1950 notierten die Statistiker Möbelimporte in die Schweiz im Wert von 4,3 Millionen Franken. 1986 betrug dieser Wert rund 1,2 Milliarden Franken. Klar, dass bei diesen Zahlen auch die Zahl heimischer Möbelhersteller dramatisch zurückging. Immerhin zogen die Baarer noch selber den Stecker.

Interessant zu lesen ist aber nicht nur die Geschichte der Viktoria Möbel AG, sondern erwähnenswert ist auch, wie sie über die Jahre gewachsen war. Die Keimzelle der Baarer Möbelhersteller war die Mechanische Stielwaren-, Fasshahnen- und Karretten-Fabrik Barrett in Baar. Deren Patron Erik Barrett geschäftete mehr schlecht als recht. Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs stand er vor dem Nichts. Ein Sachwalter übernahm die Geschäfte. Überliefert ist, dass Barrett wohl bei einem Streit eine Pistole zückte und dem Amtsmann drohte. Daraus soll sich dann eine Schlägerei entwickelt haben. Diese muss am Abend stattgefunden haben, denn die Polizei erschien wegen Nachtruhestörung. Die Firma wechselte nochmals den Besitzer, und Max Buhofer machte dann 1938 aus ihr die erfolgreiche Victoria Möbel AG. Für das Firmengelände bezahlte Buhofer damals 70000 Franken.

Alles in allem ist dem Autor Heinz Horat mit «Victoria Möbel» ein interessanter Streifzug durch ein Kapitel Zuger Wirtschaftsgeschichte gelungen. Wegweisend daran beteiligt sind auch die Nachkommen, welche einst die Möbelprospekte aufbewahrten und dem Zuger Staatsarchiv übergaben. Als Geschichtsquellen eignen sich auch Möbelkataloge. (Marco Morosoli)

Hinweis
Das Buch «Victoria Möbel» von Heinz Horat kostet 42 Schweizer Franken und kann beim Industriepfad Lorze, Lüssiweg 37, 6300 Zug, bestellt werden (www.industriepfad-lorze.ch). Ebenso erhältlich ist es im Zuger Buchhandel.