Eine 700-jährige Geschichte wird sichtbar

Brauchtum & Geschichte

,

Nach einer umfassenden Sanierung ist das «Kanonenhaus» bereit für seine neue Nutzung: Die katholische Kirchgemeinde hat im ehemaligen Pfrundhaus zeitgemässen Wohnraum für eine sechsköpfige Zuwebe-Gemeinschaft geschaffen. Die Öffentlichkeit darf sich davon überzeugen.

  •   Eines der neuen Badezimmer. Bilder: PD
    Eines der neuen Badezimmer. Bilder: PD
  •  Das Wohnzimmer mit Kachelofen und Buffet hat einen neuen Boden erhalten. Unten: Links eines der neuen Badezimmer. Bilder: PD  Oben: Das Wohnzimmer mit Kachelofen und Buffet hat einen neuen Boden erhalten. Bilder: PD
    Das Wohnzimmer mit Kachelofen und Buffet hat einen neuen Boden erhalten. Unten: Links eines der neuen Badezimmer. Bilder: PD Oben: Das Wohnzimmer mit Kachelofen und Buffet hat einen neuen Boden erhalten. Bilder: PD

Zug – Aufgrund seiner historischen Fassadenmalerei ist das mittelalterliche Pfrundhaus Keiser am südlichen Ende der Ober Altstadt im Volksmund als «Kanonenhaus» bekannt. Die katholische Kirchgemeinde als Eigentümerin hat das Objekt mit der Adresse Grabenstrasse 46 während der vergangenen rund zehn Monate grundsanieren und an moderne Wohnstandards anpassen lassen. Dies mit dem Anspruch, die historische Bausubstanz und somit die rund 700-jährige Geschichte des Gebäudes soweit möglich untangiert zu lassen – ja, sie gar sichtbar zu machen.

Jetzt ist das Werk vollbracht: Das «Kanonenhaus» mit nunmehr zwei zusätzlichen Zimmern im ausgebauten Dachstock kann noch in diesem Sommer seiner Bestimmung übergeben werden – als Wohngemeinschaft für sechs Menschen mit Beeinträchtigung, betreut durch die Zuwebe. Diese hat sich neben weiteren Bewerbungen im Rahmen eines üblichen Auswahlprozesses behaupten können. Die Zuger Stiftung fokussiert sich auf Begleitung und Integration von Menschen mit Beeinträchtigung im Arbeits-, Ausbildungs- und Wohnbereich.

Lobenswerte Haltung der Eigentümerin

Eine Vorabbesichtigung zeigt: Hier ist sprichwörtlich «ganze Arbeit» geleistet worden. Der Gang durch die insgesamt fünf Geschosse des Kanonenhauses ist eine Zeitreise durch die Jahrhunderte. Aus fast jeder Epoche sind Zeugnisse vorhanden und erhalten worden. Das war der Auftraggeberin wichtig. Sie hat mit der Zuger Röösli Architekten AG denn auch eine ausführende Instanz gefunden, die mit der Sanierung und Modernisierung historischer Bauten viel Erfahrung mit sich bringt.

Geschäftsinhaber Patrick Röösli ist dankbar, dass sein Büro mit dem anspruchsvollen Auftrag betraut worden ist und würdigt die Haltung der Kirchgemeinde: «Dank der Eigentümerin und ihrer Entschlossenheit kann das Gebäude auch weiterhin als Einfamilienhaus erhalten werden.» Dieser Umstand hat denn auch eine minimalinvasive Sanierung unter maximalem Erhalt der historischen Substanz ermöglicht. Schall- und Brandschutzmassnahmen sowie statische Verbesserungen liessen sich so umsetzen, dass dies an der Oberfläche kaum erkennbar ist.

Im rückseitigen Raum des Eingangsgeschosses zur Altstadt hin entstand eine neue Waschküche. An ihrem alten Standort ist nun ein Büroraum entstanden, der zugleich als erweiterte Garderobe genutzt werden kann. Der vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammende Backsteinboden im Entree wurde erhalten. Im ersten Obergeschoss auf Level Grabenstrasse liegt der Wohn- und Essbereich. Eine optisch sich passend einfügende Küche nach modernstem Standard mit an alte Rauchfänge erinnerndem Dampfabzug fügt sich in den nach hinten enger werdenden Raum ein, wo schon in alter Zeit gekocht worden ist. Das historische Buffet im seeseitigen Wohnzimmer ist aufgefrischt, der zuvor unscheinbare Stubenboden aus neuerer Zeit mit einem stilechten, kunstvollen Parkett ersetzt.

Alte Tapeten und Malereien aus dem 16. Jahrhundert

Die sicherheitstechnisch nicht mehr konformen Treppengeländer aus Holz konnten dank einer einfachen Ertüchtigung mit erhöhten Handläufen aus schwarz patiniertem Stahl über sämtliche Geschosse vollständig erhalten werden. Die zwei je berg- und seeseitigen Zimmer in den beiden Geschossen über dem Wohnbereich sind sanft aufgefrischt und mit neuen Linolböden versehen. «Es gab hier keine historischen Böden mehr, die als Vorbild hätten dienen können», sagt Patrick Röösli. «Deshalb haben wir uns für eine moderne, praktische Lösung entschieden.» Eine Tapetenverkleidung aus dem 19. Jahrhundert in der seeseitigen Kammer, welche lediglich in Fragmenten erhalten war, ist mit einem optisch ähnlichen, neuen Modell wiederhergestellt worden.

Beim Entfernen eines Wandtäfers aus der frühen Barockzeit im grabenseitigen Zimmer des ersten Obergeschosses gab es zudem eine Überraschung: Auf der Mauer dahinter trat eine Wandmalerei von 1583 zutage. Sie zeigt das seltene Motiv der Wandlung vom Saulus zum Paulus. Das Gemälde wurde gesichert und dokumentiert, die alte Holzverkleidung, welche selbst von historischem Wert ist und einen Teil der Hausgeschichte spiegelt, jedoch wieder montiert, sodass die Malerei nicht sichtbar ist.

Eine weitere unerwartete Entdeckung ergab sich auf derselben Etage im Flur: Unter einer modernen Pavatex-Verkleidung kamen zwei seltene Grisaillemalereien zum Vorschein. Sie zeigen je eine Zwergendarstellung und stammen wohl aus dem späten 17. oder frühen 18. Jahrhundert.

Eine Geschichtslücke wird geschlossen

Neue Erkenntnisse brachten die Sanierungsarbeiten im zweiten Obergeschoss, wo freigelegte Reste der alten Stadtbefestigung die ursprüngliche Höhe derselben verrieten. «Bislang gab es keinerlei Hinweise auf die einstigen Dimensionen dieser Stadtmauer aus der Zeit um 1220», sagt Anette JeanRichard, Abteilungsleiterin Bauforschung und Mittelalterarchäologie beim Amt für Denkmalpflege und Archäologie. «Jetzt erkennen wir sogar den ursprünglichen Verlauf der Mauerzinnen. Diese unerwartete Entdeckung ist bedeutend für die weitere Erforschung der Stadtbefestigung.»

Im Zuge des Dachstockausbaus mit zwei weiteren Kammern erfolgte der einzige grössere Eingriff in die historische Grundsubstanz. Patrick Röösli erklärt: «Um die Treppe weiterzuführen, mussten wir ein Stück eines Hauptbalkens entfernen. Es gehörte jedoch von Anfang an zum Konzept, dass der bisherige Kaltdachraum aus dem 17. Jahrhundert für Wohnzwecke adaptiert wird.» Immerhin: Das abgesägte Balkenstück wurde frei sichtbar belassen, was den nötigen Eingriff nachvollziehbar macht. Dafür konnten an anderer Stelle im Treppenhaus alte Holzpfosten der Bohlenständerkonstruktion von 1372 freigelegt werden, was wiederum einen bislang vergessenen Teil der Hausgeschichte neu ans Tageslicht bringt.

Auf allen drei Geschossen mit Schlafzimmern ist im mittigen Raum ein modernes Bad eingebaut worden. Je zwei Bewohnerinnen respektive Bewohner teilen sich folglich ein solches.

Der Umbau hat die katholische Kirchgemeinde rund 2,4 Millionen Franken gekostet. Es hat sich gelohnt. «Das Kanonenhaus ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich historische Substanz und moderne Nutzung vereinen lassen», zeigt sich der für die Kirchenimmobilien zuständige Kirchenrat Stefan Hegglin zufrieden. So sieht es auch Karin Artho, Leiterin Amt für Denkmalpflege und Archäologie Kanton Zug. Sie sagt: «Die historische Substanz ist sehr sorgfältig angefasst worden, und die entdeckten Schätze sind für die nächsten Generationen erhalten geblieben.» Text von Andreas Faessler

 

Hinweis

Die Bevölkerung hat die Gelegenheit, das fertige Kanonenhaus an der Grabenstrasse 46 zu besichtigen: am Donnerstag, 5. Juni, zwischen 17 und 20 Uhr.