Natürlicherweise anecken!

Dies & Das

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Claude Seeberger verarbeitet in ihrer Kunst nicht nur ihr eigenes Leid. Nun wird sie eine vergangene, intensive Schaffensphase in Belgrad nochmals neu angehen.

  • Ein Blick in Seebergers Atelier.
    Ein Blick in Seebergers Atelier.

Unterägeri – Dieser Artikel erschien in der März-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.

 

«Ich wollte nie schöne Bilder malen.» Wenn Claude Seeberger über ihre Kunst spricht, wird diese Haltung immer wieder deutlich. In ihrem Atelier hängt gerade eine Serie, die sie «La Grande Baignoire» nennt. Und obwohl die auf wenige Striche reduzierten Figuren auf Gelb und Rosa eine melancholische Ruhe ausstrahlen, sagt sie: «Meine Bilder hängen selten über dem Kamin.» Der Grund: Oft sei es das Kaputte und Aufwühlende, das in ihren Bildern dominiere. 

Schrecken am Esstisch 
Hinter einer schweren blauen Türe im beschaulichen Unterägeri hat Claude Seeberger ihr Atelier eingerichtet. Die 1953 in Zug geborene und aufgewachsene Künstlerin serviert den Kaffee schwarz, ein Walzer klingt durch die Wände – in der Ballettschule nebenan wird geprobt. Seit zwei Jahren malt sie hier, doch schon am 1. August dieses Jahres wird sie nach Belgrad reisen und bis Ende November im Atelier der Städtekonferenz Kultur arbeiten. Die Zeit in Belgrad will sie dazu nutzen, eine ganze Reihe ihrer eigenen Werke, die in den 1990er-Jahren entstandenen «Nachtbuchblätter», neu zu verstehen und weiterzuführen. Benannt hat sie die «Nachtbuchblätter» angelehnt an «Tagebücher». Mit Ölstift, Bleistift und Ocker arbeitete sie über Jahre praktisch täglich daran. Bestimmt um die 200 kleinformatige Bilder sind entstanden, alle abends am Esstisch, wenn die drei Kinder schliefen. 
Sie sind düster, aggressiv, verzweifelt.

Verarbeitet hat sie in diesen abendlichen Arbeiten das, was damals an schrecklichen Informationen und Bildern aus den Jugoslawienkriegen bis in die Schweiz vordrang. «In meinen Arbeiten geht es oft um Verarbeitung von Gefühlen, um Krieg und Elend, von dem man im Westen lieber nicht zu viel wissen will», sagt Seeberger. Figuren stehen dabei im Fokus, darunter und darüber schichten sich Emotionen in Szenen, alltägliche Objekte auch. «Ich denke in Bildern», so die Künstlerin. Und diese Bilder prägen bei Claude Seeberger neben eigenen Schicksalsschlägen, Krankheit und Trauma auch oft die Tagespresse und die «Tagesschau». So wie das berühmte Foto des nackten schreienden Mädchens, das 1972 vor der Napalm-Wolke flüchtet, brennen sich diese Bilder in ihr Gedächtnis und wollen wieder heraus.

Dass die Balkankriege in Seebergers Arbeiten so präsent waren, erklärt sie sich rückblickend so: «Ich glaube, mich beschäftigte damals vor allem, in meiner kleinen Familienidylle zu leben, während anderen Menschen solch unfassbare Brutalität und Gewalt angetan wird.» In ihrem Schaffen in Belgrad will sie nun den Fokus darauf legen, was von dem Schrecken von damals noch präsent ist – auch als Leerstelle möglicherweise. Nach Belgrad wird sie nichts weiter mitnehmen als eine grosse Menge roter Farbstifte. Abgesehen davon will sie sich vor Ort und vom Ort inspirieren lassen.

Low Budget
Eine Weile arbeitete sie auf MDF-Platten, hauptsächlich jedoch bringt Seeberger ihre expressive Malerei roh und direkt auf Papier und auf Leinwand. Aufgezogen auf einen Rahmen wird ihre Kunst nicht. Selten malt sie auf sauberen Rechtecken, oft ist bereits die Leinwand schräg geschnitten. Mit orangem Klebeband und mit Reissnägeln werden die Bilder an der Wand befestigt. Angefangen als freischaffende Künstlerin im Jahr 1980 hat sie gar auf Packpapier. «Low Budget», sagt sie. «Ich gewöhne mich jeweils schnell an ein Material und an ein Format. Davon weg bekommt mich oft nur eine Veränderung der Umstände, wo ich male.» Auch die üblichen Stapel an Skizzenheften fehlen bei Claude Seeberger im Atelier. Stattdessen dokumentiert sie den Arbeitsprozess, die verschiedenen Stadien und Schichten ihrer Bilder mit dem Handy.

Der eigene Weg
Als Seeberger ihre Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Luzern machte, nach der Lehrerinnenausbildung, war relativ klar: Wer von der Kunst leben will, muss sie verkaufen können. Und wer Kunst verkaufen will, sollte vielleicht besser Sonnenblumen statt Kriege als Sujet wählen. «Aber ich wollte keine Landschaften und kein Stillleben malen», sagt Claude Seeberger.

Doch nie habe sie an einem Stil, einem Material oder einer Handschrift bewusst festhalten wollen. «Von mir aus muss man nicht erkennen: Ah, das ist ein Seeberger», sagt sie. Wenn sie in ihrem Schaffen nächstes Jahr oder mit 90 nochmals einen ganz neuen Weg einschlage, freue sie sich darüber. Trotzdem gibt es einige Aspekte in ihren Arbeiten, die sich durchziehen und die viele ihrer Werke verbinden: Die reduzierte Figur ist omnipräsent, das Weltgeschehen dahinter, und die Farbe Grün sucht man bei ihr bisher vergebens.

Dass Rosa und Gelbtöne derzeit dominieren, liege wahrscheinlich an ihrer persönlichen Befindlichkeit. Im Moment brauche sie das Weiche, aber das werde sich auch wieder ändern. «Es ist nicht so, dass ich bewusst anecken will», sagt Seeberger. Sie wolle einfach nur ihren eigenen Weg gehen.

 

Text und Bild: Jana Avanzini