Unwirtliche Zwischenstadt

Dies & Das

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Am Saum des Stadtgebiets entstanden Gewerbe und Industrie in malerischem Umfeld. Heute herrscht ein zusammenhangloses Sammelsurium an Nutzungen.

  • Von den Gebäuden, die auf der rund hundertjährigen Fotografie zu sehen sind, steht heute keines mehr. Auch die Lorze fliesst nicht mehr hier durch. (Bilder PD/Stefan Kaiser)
    Von den Gebäuden, die auf der rund hundertjährigen Fotografie zu sehen sind, steht heute keines mehr. Auch die Lorze fliesst nicht mehr hier durch. (Bilder PD/Stefan Kaiser)

Zug – Die Chamerstrasse bildet seit Jahrhunderten die westliche Hauptverkehrsachse nach Zug. Sie funktioniert heute als stark genutzter Strassenkorridor vom Autobahnanschluss und von der Kreuzung Alpenblick in die Stadt hinein. Entlang dem Weg nach Zug finden sich zahlreiche historische Bauten, gewissermassen als Wegmarken. Der Übergang vom Land in die Stadt ist aber nicht spürbar. Doch machen die alten Häuser deutlich, dass es hier auch ausserhalb des Zentrums entlang der Verkehrsachsen eine bauliche Entwicklung gab. Einer der Durchgangsorte ist die Chollermüli.

 

Das Zeitbild zeigt die Kollermühle oder Chollermüli vor gut hundert Jahren. Die Strasse rechts im Bild führt dem See entlang von der Zuger Vorstadt her durch die Lorzen­ebene und am Sumpf vorbei nach Cham. Auf einer steinernen Bogenbrücke von 1846/47 überquert die Chamerstrasse hier die Lorze. Die Chollermüli der Name bezieht sich auf einen ursprünglichen Köhlerplatz – ist um das Jahr 1905 eine Häusergruppe am westlichen Saum des Zuger Gemeindegebietes, am Rande des Sumpflandes. Durch die Wassernutzung der Lorze hat sich hier ein kleiner industriell-gewerblicher Standort entwickelt. Links im Bild sind die Gebäude der Mühle erkennbar, die bis 1929 in Betrieb war. In der Mitte ist das älteste Gebäude des Weilers, ein als Blockbau erstelltes Wohnhaus von 1686. Daneben entstand 1852 einer der ersten industriellen Betriebe auf Stadtzuger Boden: die Baumwollspinnerei Moos, Keiser & Co. Die Kollermühle existierte auch bereits als Bahnstation, als Haltestelle der Strecke Zug–Zürich durch das Säuliamt. Weiter wurde 1896 der Schiessstand hierhin verlegt. Trotz der industriellen Nutzung des Ortes wirkt die Szene um 1905 ländlich und geradezu idyllisch, denn die kleine Häusergruppe Kollermühle ist umgeben von Bäumen, Sträuchern und gepflegtem Wiesland.

Heute ist der Ort praktisch nicht wieder erkennbar. Kein altes Haus, kein Anhaltspunkt, um den Standort genau zu identifizieren. Einzigen Fixpunkt bildet die Strasse mit der kleinen Brücke. Die Lorze selbst fliesst hier nicht mehr. Das ehemalige Flussbett und ein mit Restwasser dotiertes Rinnsal bilden die sogenannte alte Lorze. Mit dem Bau der Autobahn A 4a Mitte der 1970er-Jahre wurde der Lauf der Lorze zwischen Blickensdorf und dem Zugersee korrigiert. Auf einer Länge von 3,8 Kilometern wurde ein neues Flussbett ausgehoben und die Flussmündung etwa einen Kilometer näher an die Stadt Zug gelegt. In den Mühlegebäuden wurde 1959 die Galvanikanlage der Firma Wilhelm eingerichtet. Hier befand sich das grösste Vergoldungsbad der Schweiz, bevor in den 1990er-Jahren die Jugendkultur eine Heimat fand. Im Rücken des Fotografen liegt die Station Chollermüli der Stadtbahn, etwas östlicher als früher. Viele Parkplätze, Baustellen und Gewerbebauten unterschiedlichen Alters prägen das Gebiet. Das Umfeld der Durchgangsstrasse dient sozusagen als Abstellraum für verschiedenste Nutzungen von der Tankstelle bis zur Jugendkultur. Entlang der Chamerstrasse findet sich ein lebendiges bauliches Sammelsurium, wo Aussenräume und Bauten schliesslich zusammenhanglos und zufällig, bisweilen gar unwirtlich wirken.

Unser heutiges Leben spielt sich im Schweizer Mittelland immer weniger in klar städtischen oder rein ländlichen Gebieten ab, sondern in Vorstädten, Agglomerationen und entlang von Verbindungsachsen. Somit prägen auch diese Räume unsere Lebenswelt. Entsprechend würden sie in gestalterischer Hinsicht eine höhere Aufmerksamkeit verdienen. In der zeitgenössischen Architektur finden sich Lösungen und Konzepte für innerstädtische Bauaufgaben. Wären diese nicht auch für die Vororte und Vorstädte zu entwickeln für die «Zwischenstadt», die Zwischenbereiche zwischen Stadt und Land? (Marcus Casutt)

Hinweis
Die «Neue Zuger Zeitung» begleitet «Zeitbild», die Plakatausstellung von DNS-Transport Zug in Zusammenarbeit mit dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie Zug, Direktion des Innern, und der Stadt Zug.