Die chinesische Mauer von Buonas

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Serie «Zuger Skandale»/Teil 10: Investoren und ein Architekt wollten in den 1970er-Jahren den idyllischen Weiler Buonas komplett überbauen. Der Volksmund nannte das Projekt salopperweise «chinesische Mauer».

  • Er war Landammann und Promotor der «chinesischen Mauer»: der Zuger Rechtsanwalt Dr. Hans Straub. (Bild Kunstsammlung Kanton Zug)
    Er war Landammann und Promotor der «chinesischen Mauer»: der Zuger Rechtsanwalt Dr. Hans Straub. (Bild Kunstsammlung Kanton Zug)
  • Zwei langgezogene Riegel hätten Buonas dominiert, wie das Modellfoto zeigt: Doch das Projekt scheiterte bald. (Bild Gemeindearchiv Risch)
    Zwei langgezogene Riegel hätten Buonas dominiert, wie das Modellfoto zeigt: Doch das Projekt scheiterte bald. (Bild Gemeindearchiv Risch)
  • Das Projekt mit den mauerartigen Bauten: Die Buonas Bau AG wollte den Weiler verstädtern. (Bild Gemeindearchiv Risch)
    Das Projekt mit den mauerartigen Bauten: Die Buonas Bau AG wollte den Weiler verstädtern. (Bild Gemeindearchiv Risch)

Buonas – Architekt Fritz Doswald gefiel das Dorf Buonas mit seiner Lage am See. Er gründete die Firma Buonas Bau AG, sicherte sich die Kaufrechte für die grosse Fläche von 90 000 Quadratmetern mit Seesicht und plante südlich der Gastwirtschaft «Wilder Mann» eine Grossüberbauung in ungewohnter Dimension: Doswald entwarf eine richtige Satellitenstadt für Buonas. Das war zu Beginn der 1970er-Jahre, als grosszügiges Denken weit verbreitet war, bei dem man sich nicht um alte Häuser, kleinkrämerische Zonenpläne oder althergebrachte Traditionen kümmerte. So riss man, um ein Beispiel aus der Nähe zu nennen, Ende 1969 das Schloss Buonas von 1871 ab, um an seiner Stelle ein modernes Landhaus zu erbauen. Das wäre in der Gegenwart unmöglich.

Im Sinne des damals gigantomanisch orientierten Zeitgeistes sah der fulminante Plan des Architekten Doswald zwei parallel verlaufende Häuserzeilen vor, die eine 300 Meter lang, die andere 390 Meter. Diese Gebäudegruppen waren gespickt mit abgetreppten Häusern, die bis zu 30 Meter in die Höhe ragten. Die Realisierung des Bauprojekts hätte zwei riesenhafte Wände inmitten der intakten Landschaft bedeutet! Auf den Modellen sahen sie aus wie in die Landschaft gelegte Tatzelwürmer riesenhafter Ausmasse. 1700 Einwohnerinnen und Einwohner, dazu 100 Einheiten für Gewerbe und 1000 Parkplätze hätten dort Platz gefunden. Nach Doswalds Vorstellungen wäre Buonas innert weniger Jahre vom ländlichen Weiler zum urbanen Satellit mutiert.

Den Landammann als Promotor geholt

Der Entwerfer des gigantischen Projektes war kein Zuger; Fritz Doswald stammte aus Bremgarten und hatte im Kanton Zug bereits die Überbauung Hasenberg in Steinhausen mit den Reihenhäusern an der Grabenackerstrase 41–63 realisiert. Um dennoch die lokale Unterstützung zu erhalten, holte Doswald eine anerkannte Grösse der Zuger Politik an Bord: Dr. Hans Straub, Regierungsrat, Finanzdirektor und Wirtschaftsanwalt, der damals sogar Landammann des Kantons Zug war. Dieser hatte die Aufgabe, das Projekt den Zugern sowie Investoren aus der ganzen Schweiz beliebt zu machen. Gleichzeitig stand er als Landammann dem Regierungsrat vor – eine Doppelkonstellation, wie sie heute kaum akzeptiert würde.

Das Duo Doswald-Straub argumentierte geschickt: Zum einen lockten sie mit zusätzlichen Steuereinnahmen für die Gemeinde von rund 1 400 000 Franken pro Jahr, was für die damalige Zeit mit Erdölschock und Wirtschaftskrise nicht zu verachten war. Zum anderen strichen die Projektentwick­ler die Freiflächen hervor: Weil sie in die Höhe bauen wollten, nämlich mit bis zu zehn Geschossen, könnten sie Grün­flächen freispielen, die Sport­anlagen, Erholung und einen grossen Bootshafen zulassen würden.

Wortreich unterstrichen die Promotoren den Nutzen des Projekts, das «eine Bejahung des urbanen (städtischen) Lebens» sein sollte: «mit Nutzungsverflechtung, sozialer Mischung, Aktivierung allgemein politischer und sozialer Interessen und der Bildung von Sozialorganisationen». Alle wohl formulierten Floskeln halfen jedoch nicht: Das erste Projekt war eindeutig zu gross dimensioniert. Die Baudirektion des Kantons verlangte eine Herabsetzung der Ausnützungsziffer von 0,7 auf 0,5 und eine Reduktion der Gebäudehöhen. Aber der Volksmund hatte mit «chinesische Mauer von Buonas» bereits die passende Bezeichnung für die Überbauung gefunden, welche das Projekt trotz Redimensionierung nicht mehr losbekam.

Zudem waren die Hintergründe höchst undurchsichtig. Landammann und Rechtsanwalt Hans Straub zog nämlich die Immobilienfirma Intercity AG hinzu, welche ihrerseits zur Overterra Holding AG gehörte. Diese eher intransparente Trägerschaft, zusammen mit geheim geführten Verhandlungen mit Gemeinde und Kanton, trugen nicht zur Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit bei.

Die Öffentlichkeit bremst das Projekt

Am 19. Oktober 1972 kam es unter reger Beteiligung von Behörden, Presse, Radio und Fernsehen, Anwohnerinnen und Anwohnern zu einer «denkwürdigen Orientierungsversammlung», wie es im sonst trocken gehaltenen Planungsbericht der Gemeinde Risch heisst. Die Stimmung war gegenüber dem Bauprojekt extrem negativ, sodass die Promotoren weder den Bebauungs- noch den Gestaltungsplan beim Volk durchgebracht hätten. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihr Vorhaben zähneknirschend zurückzuziehen. Damit war das Megaprojekt mit der «chinesischen Mauer» vom Tisch.

In der Folge sorgten Kantonsräte dafür, dass das fragliche Gebiet in Buonas nachhaltig geschont wurde: mit Rückzonungen, Auszonungen und der Reduktion der Ausnützungsziffern. Das führte für Buonas zu einem «Gestaltungs- und Gesamtrichtplan mit betont dörflichem Charakter».

In der Tat gelang es der Gemeinde Risch, dank Einsicht und Grosszügigkeit von verschiedenen Eigentümern, in Buonas rund 20 000 Quadratmeter Land am Zugersee mit einem Seeanstoss von 500 Metern für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Landammann Hans Straub gab nach dem Fallieren des Baupro­jekts seinen Rücktritt aus der Poli­tik bekannt und trat bei den nächsten Wahlen 1974 nicht mehr an. Architekt Fritz Doswald, dessen hochtrabenden Pläne in Buonas abstürzten, veröffentlichte 1977 das Buch «Planen und Bauen in heissen Zonen» – dabei war mit der heissen Zone nicht Buonas gemeint, sondern tropisches Klima!

Wer heute die Badi Buonas und das südlich gelegene Seeufer mit Fussweg geniesst, hat die freie Sicht auf den See indirekt den gigantischen Plänen von Doswald und Straub zu verdanken: Hätten sie nicht ihr Projekt gewagt, wäre die Ortsplanung in Buonas weniger zurückhaltend ausgefallen. Der Warnschuss der «chinesischen Mauer» führte zu den heute so sehr geschätzten Frei- und Grünflächen. (Text von Michael van Orsouw)

Hinweis
Dr. Michael van Orsouw, Historiker und Schriftsteller, beleuchtet Zuger Skandale des 20. Jahrhunderts. In Folge 11 geht es um einen Zuger Geschäftsmann, der zu dreimal lebenslänglich verurteilt wurde.