Bauernhof wird Kulturschuppen
Dies & Das
Michael Werder ist Landwirt, Filmemacher, Schnapsbrenner und bald auch Veranstalter: In Hünenberg baut er einen Kulturtempel. Auf eigene Faust.
Hünenberg – Jetzt pfeift der Wind noch durch die Balken, fegt über die Böcke und Werkzeuge, aber bald ist die alte Scheune wieder dicht: Noch werden die Bühne gebaut, noch die Wände isoliert, noch die Decke eingezogen, dann wird aus der Scheune und ihren drei Silos auf dem Hünenberger Bösch-Hof ein Raum für Kunst und Kultur.
Sein Traum, der gebaut wird
Michael Werder steht auf dem Dach der beiden hinteren Silos, es ist sein Traum, der hier gebaut wird. Den Bösch-Hof hat er vor zwei Jahren vom Vater geerbt, mitsamt den Kirschbäumen, den Zwetschgen, den Äpfeln und den jungen Stieren. Den Munistall hat er abgerissen in der Zwischenzeit. Das hat den Vater schon geschmerzt, sagt Werder, aber jetzt ist er voll dabei beim Projekt. Vielleicht auch deshalb: Im neuen Gebäude richten Vater und Sohn zusammen eine Schnapsbrennerei ein, dann gibt es im künftigen «Kultursilo» auch den passenden Brand zum Konzert.
Mitten im Bösch steht diese Scheune, zwischen Wald und Autobahn, Rigi und Zugersee. Gleich daneben liegt das Industrie- und Gewerbequartier. Hier will der 34-Jährige Kultur machen. Da ist er reingerutscht, und wie: «Wir haben damals klein angefangen, in der alten Scheune: Ein paar Freunde und ich haben Feste organisiert», sagt er. «Dann sind die Veranstaltungen immer grösser geworden, bis zu 2000 Besucher zählten wir teilweise.»
«Das hat das Projekt erst möglich gemacht»
Das war zu gross, ein anderes Konzept musste her. Dann der Glücksfall: Eine Umzonung macht aus einem Stück Wiese am Rand des Bösch-Hofs Bauland. «Das hat das Projekt erst ermöglicht», sagt Werder. Das Bauland hat die Familie verkauft, das Geld aber nicht fürs Alter aufgespart, nicht für Ferien oder neue Traktoren aufgehoben. Sondern fürs «Kultursilo». So heisst das Ding. Es ist schwer zu fassen: Riesig die Halle, etwas kleiner der Konzertraum, drei alte Silos daneben, das Heu darin ist verschwunden, stattdessen Räume hineingebaut. Der Backstage für die Bühne im Konzertraum kommt ins erste Silo, er kann auch als Atelier benutzt werden. Ins zweite Silo kommen ebenfalls Atelierräume. Das dritte ist jetzt ein Treppenhaus, wer ganz nach oben steigt, aufs Dach der Silos und gleich unters Dach der Halle, der findet den luftigsten Arbeitsplatz, den man sich als Videokünstler vorstellen kann.
Über die Ballustrade blickt Werder direkt in die Halle, hier sind Scheinwerfer geplant, zur Beleuchtung für die grossen Projekte. Die Halle soll ein Werkraum sein für seine Video und Fotoarbeiten. Denn Werder ist zwar Landwirt, er hat mit dem Hof auch das Handwerk seines Vaters geerbt, die vierjährige Lehre gemacht und immer auf dem Hof mitgeholfen.
Dokfilm zu bester Sendezeit
Dann aber vor zwei Jahren hat er das Studium zum Regisseur an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen, jetzt lebt er von seiner Kunst: hat Preise gewonnen, den ersten Preis in der Kategorie «Bester Film» an den Schweizer Jugendfilmtagen 2008 zum Beispiel, für seinen Dokfilm «WALO». Am 8. Mai wird sein neustes Werk, der Film «Eine Familie kämpft mit einer unheimlichen Krankheit», zu bester Sendezeit auf SRF 1 ausgestrahlt. Darin dokumentiert der Hünenberger in authentischen Bildern eine Unterägerer Familie, in der gleich alle drei Kinder an der äusserst seltenen Erbkrankheit Niemann Pick C leiden.
Doch es muss bei Michael Werder nicht immer ein Dokumentarfilm sein. Den neuen Imagefilm für die Gemeinde Hünenberg hat er beispielsweise auch gemacht: Es ist ein Kunstfilm, keine Vermarktung. Zwei Tänzerinnen bewegen sich als Einhörner durch das Dorf, durch fantastische Hünenberger Kulissen, architektonische und natürliche, grandios beleuchtet und vertont.
Der ganze Nebel und das hereinbrechende Licht, das könnte bald auch hier auf dem Bösch-Hof stattfinden: Das «Kultursilo» soll nicht nur Konzertort werden, sondern viel mehr. Das sieht man Werder an, wenn er am Rand des Balkons steht, der über der Halle hängt. Ein Bienenstock, ein Haus für alles Mögliche, eines für die Zukunft. Der Konzertsaal ist ab dem Bauende im Oktober für den Rest des Jahres nahezu ausgebucht, für private Feste, Konzertveranstalter, Ländler-Stubeten und Hochzeiten. Selber veranstalten will Werder erst mal nur wenig: «Vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr. Und dann schauen, wie es läuft», sagt er.
Eine multifunktionale Halle
Auf den Wiesen rund um das «Kultursilo» richtet er die neuen kantonalen Trainingsplätze für Hundeschulen ein. Ateliers und Vereinslokale finden Platz in den Räumen rund um die grosse Halle, es gibt auch eine Küche und einen zweiten Kulturraum. Die Halle selber soll multifunktional sein: «Hier kann man auch mal einen Fasnachtswagen bauen oder ein Fotoshooting machen», erklärt der Hünenberger Filmemacher. «Oder wenn jemand etwas Grosses aufbauen muss, eine Theaterkulisse etwa.»
Dass da einer ganz auf eigene Faust und aus blosser Begeisterung einen so grossen Kulturraum bauen will, das glaubt man ihm nur, weil er auf so ruhige Art davon begeistert ist. Werder hat keine Angst, dass das «Kultursilo» nicht läuft, im Gegenteil, er ist absolut überzeugt und völlig frei: «Wir sind in der wunderbaren Lage, dass das ‹Kultursilo› nicht von Anfang an rentieren muss. Durch den Landverkauf konnten wir den finanziellen Druck tief halten», erklärt er. «Ich möchte die Halle aber auch an kommerziellere Projekte vermieten, damit ich Kultur quersubventionieren kann.» Das ginge zum Beispiel über die kostenlose Benutzung von Ateliers für eine bestimmte Zeit oder die vergünstige Benutzung des Konzertraums für externe Veranstalter.
«Gleichzeitig trenne ich nicht so scharf zwischen Kunst und Handwerk: Ob ich Dokfilme mache oder Kunstfilme: Es ist beides Handwerk, und beides Kunst», sagt er und steigt die Treppe hinunter, durch seinen zukünftigen Schnittplatz, bis hinunter in den Keller.
Langwieriger Rechtsstreit
Seine Katze springt hinter der Ecke hervor und folgt ihm, ihr fehlt am Rücken ein grosser Fleck Fell: «Sie mag keine anderen Katzen», sagt der Tierfreund und lacht, «deshalb prügelt sie sich so oft». Werder kämpft ebenfalls gerne, zumindest für eine gute Sache: Zehn Jahre lang hat es ein juristisches Hin und Her gegeben. Ein paar hundert Meter neben dem «Kultursilo» liegt ein Gasreservoirtank in der Erde vergraben, und die Betreiber des Tanks haben sich mit Werder einen langfristigen Rechtsstreit geliefert, ob er hier Kultur betreiben darf oder nicht. Er darf, jetzt sogar offiziell: Der Boden rund um das «Kultursilo» wurde umgezont in «übrige Zone Freizeit», so heisst die Funktion. Und der Kanton hat neben dem Interesse an den Hundeausbildungsplätzen auch bereits Interesse am «Kultursilo» angemeldet. «Die Kulturkommission des Kantons interessiert sich für das Projekt. Es könnte sein, dass sie sich am Programm beteiligen wollen», sagt Werder. «Dafür müssen wir aber zuerst einen Verein gründen. Und das werden wir auch.»
Schnapsbrenner, Landwirt, Filmemacher
Und die Zwetschgen und Äpfel und Kirschen? Werder hat die Landwirtschaft nicht aufgegeben. «Wir haben uns mit einer anderen Familie zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen», erklärt der gelernte Bauer. «Sie bearbeiten auch einen Teil unserer Bäume. Aber ich helfe immer noch mit, wenn es an die Ernte geht.»
Aber jetzt gerade, da bleibt nicht viel Zeit dafür, denn das «Kultursilo» soll im Herbst fertig gebaut sein. Und so eine Bauleitung, die braucht Aufmerksamkeit: «Klar hat man Profis dabei, Architekten und Handwerker. Aber man muss ja trotzdem jeden Tag dabei sein. Das ist ein Fulltimejob.» Filmemacher, Landwirt, Schnapsbrenner, Kulturveranstalter, Bauleiter – wie bringt man all das unter einen Hut? «Es funktioniert», sagt Werder und lacht, «und die ganze Familie packt mit an. Man kann es schon so sagen: Hier geht für mich ein Traum in Erfüllung.»
Text: Falco Meyer/Zug Kultur
Dieser Artikel ist erschienen in der Ausgabe Nr. 9/Mai 2014 des Zug Kultur Magazins. Die Ausgabe kann als PDF kostenlos aus dem Magazin-Archiv heruntergeladen werden: zugkultur.ch/magazin/