Ein Popsong aus Unterägeri geht viral
Musik
Dominique Marcel Iten alias Lazer Boomerang dachte sich nichts dabei, als er vor drei Jahren einen seiner Songs online stellte. Aber in China schien er damit den Nerv zu treffen – seit letztem Sommer erhält er von dort Fan-Mails.
Unterägeri – In der Mitte des Raums steht ein grosses Pult mit Bildschirmen und Geräten drauf, in bodenebenen Regalen sind Hunderte Schallplatten alphabetisch sortiert. An der Decke Schalldämpfer, in der Ecke E-Gitarren und Bässe. Die beiden Männer, die an diesem graukalten Januartag in ihrem Musikstudio im Luzerner Bruchquartier anzutreffen sind, passen perfekt in die Umgebung, die in den vergangenen mehr als zehn Jahren auf diesen paar Quadratmetern geschaffen wurde. Rob Viso, Musikproduzent und Besitzer des Studios, lässt eine Playlist auf Spotify laufen. Das Licht ist angenehm gedimmt.
Das Studio ist ein wichtiger Ort für Dominique Marcel Itens musikalische Entwicklung. Hier hat der Unterägerer schon vor zehn Jahren Musik produziert, damals als Schlagzeuger der Luzerner Indie-Rockband Rival Kings, mit der er auf allen grossen Schweizer Festivals gebucht war. Aber das sind längst vergangene Zeiten. Die Band wurde zwar nie offiziell aufgelöst, aber mittlerweile beschäftigen sich die Mitglieder mit anderen, eigenen Projekten. So auch Iten, der sich nun als Solokünstler unter dem Namen Lazer Boomerang an Synth-Pop versucht, einem elektronischen Musikstil, der vor allem in den 1980er-Jahren Verbreitung fand. Das Zürcher Label, das ihn vor zwei Jahren unter Vertrag genommen hat, zählt auch den Schweizer Schmusesänger Luca Hänni oder die Mundartsängerin Sina zu seinen Künstlern.
Nur ein Laptop und ein Drumpad
«Ich weiss gar nicht so recht, wie mir geschieht. Meine Emotionen überfordern mich», sagt Iten, während er sich in ein Klappsofa sinken lässt. Vor wenigen Tagen ist der 35-jährige Unterägerer zum ersten Mal Papa geworden – und vor kurzem am anderen Ende der Welt, in China, unverhofft zum Star. «Ich erlebe gerade einen kompletten Umbruch im Leben.» Nach all den Jahren als Bandmitglied habe er mit der digitalen Musik aus dem Gewohnten ausbrechen wollen, sagt Iten. Aber nicht zuletzt entstand diese Neuorientierung auch aus einer Notwendigkeit heraus: «Für den Synth-Pop brauche ich nur meinen Laptop und ein Drumpad.» Auf diese Weise entstand vor drei Jahren auch der Song «Time To Pretend» in einem Zimmer in Itens Wohnung, das mittlerweile zum Kinderzimmer umfunktioniert wurde. «Ich habe den Song innert eines Tages geschrieben und für 30 Franken online stellen lassen», sagt Iten. «Und ich finde ihn nicht mal besonders gelungen. Das war eher ein erster Gehversuch.»
Nachdem «Time To Pretend» online ging, passierte zwei Jahre lang nichts, sagt Iten. Doch dann: «Die Streamingzahlen stiegen schon im vergangenen Jahr schleichend an. Im Sommer waren es dann plötzlich 900000 Streams pro Monat. Ich dachte mir: Wahnsinn! Und gleichzeitig blieb es auf meinen Kanälen ruhig und ich hatte immer noch nur 400 Instagram-Follower? Ich wollte wissen, was da los war, und begann zu recherchieren.»
Neun Millionen Mal gestreamt
Es stellte sich heraus, dass die boomenden Streamingzahlen auf die chinesischen sozialen Medien zurückzuführen sind. Chinesinnen und Chinesen scheint der textlose Song von Dominique Marcel Iten derart zu gefallen, dass er bislang für Tausende Videos verwendet wurde, vor allem für Gaming-Streams. Und dann sind auch grosse Marken wie Ford oder Timberland aufgesprungen, die den Sound für ihre Werbespots benutzen. Mittlerweile wurde der Instrumentalsong neun Millionen Mal geklickt. «Und es hört nicht damit auf, dass sie den Song einfach hören und irgendwie gut finden. Ich erhalte wahnsinnig viele Kommentare, Nachrichten, E-Mails und sogar Kurzgeschichten, in denen sie so richtig ausdrücken, wie sie den Sound abfeiern und wie er sie inspiriert.» Dominique Marcel Iten gestikuliert stark mit den Händen, während er von seinen neuen Fans erzählt. «Und sie drängen, dass ich neue Musik veröffentliche.» Das sei ihm in seiner bisherigen musikalischen Karriere nie passiert. «Ich bin doch nur irgendein Typ aus Unterägeri?!»
Chinesische Zensur hielt den Hype zurück
Es dauerte nicht lange, da flatterten die ersten Anfragen von chinesischen Plattenlabels bei diesem «Typen aus Unterägeri» rein. Iten: «Das ist nämlich das Ding mit China. Das Internet ist so stark zensiert, dass es schon nur schwierig ist, ein Profil auf deren sozialen Medien zu erstellen. Und auch wegen der Sprachbarriere brauchten wir chinesische Unterstützung.» China hat seine eigenen Versionen von Social-Media-Plattformen wie Tiktok und Twitter, wo sich chinesische Inhalte nicht mit ausländischen vermischen können. Die Zensur war denn auch der Grund, warum der Hype in China nur sehr zaghaft auf westliche Plattformen überschwappte.
Ende Monat gibt Iten einen neuen, rein instrumentalen Song heraus, der auf das chinesische Publikum ausgerichtet ist. Im Verlaufe des Jahres folgen fünf weitere Synth-Pop-Stücke, diese aber mit Gesang. Ob Iten jetzt zum Popstar wird? «Alles kann, nichts muss», sagt er und lächelt. Er gehe diesen neuen Karriereabschnitt unverkrampft an und wolle sich nicht in etwas hineinsteigern. «Die Eigendynamik, die das Ganze angenommen hat, flösst mir gehörig Respekt ein. Aber ich freue mich, zu entdecken, was da noch auf mich zukommt.» (Linda Leuenberger)